NS-Vergangenheit der Konzerne:Die Wagenburg der "Anständigen"

Deutsche Bank

Der Gebäudekomplex in der Berliner Mauerstraße im Jahre 1929. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war hier die Zentrale der Deutschen Bank beheimatet.

(Foto: Deutsche Bank)

Ein neues Buch zeigt, wie Konzerne bis in die jüngste Zeit ihre Rolle in der NS-Zeit beschönigten. Ganz vorne mit dabei: die Deutsche Bank.

Von Tim Schanetzky

Dass deutsche Unternehmer und Manager nach 1945 in Nürnberg vor Gericht gestellt wurden, war historisch beispiellos. Was aber bewirkte die Erfahrung von Haft und Verhör, Anklage und Verurteilung, Entnazifizierung und Wiedergutmachung? Hat sie in den Führungsetagen der Wirtschaft eine Vorstellung von der eigenen Schuld entstehen lassen?

Das Gegenteil ist richtig. Nürnberg etablierte jene Verteidigungs- und Entlastungslegenden, die sich bis in die 1990er-Jahre hartnäckig halten sollten: Im totalitären NS-Staat habe es auch für die Wirtschaft nur Befehl und Gehorsam gegeben. Da habe man sich schon um des Überlebens willen anpassen müssen. Allenfalls einige radikale Nationalsozialisten im Unternehmerlager hätten sich schuldig gemacht - die breite Masse hingegen sei "anständig" geblieben.

Sebastian Brünger schildert ein weiteres Mal, wie sich Manager und ihre Anwälte in dieser Wagenburg der Selbstgerechtigkeit verschanzten. Doch sein Buch weist darüber weit hinaus, weil es den unternehmerischen Umgang mit der NS-Vergangenheit erstmals bis in die jüngste Vergangenheit quellengestützt rekonstruiert. Er blickt auf Bayer, Daimler-Benz, Deutsche Bank und auf die Degussa (heute ein Teil von Evonik), um zu fragen, wie Unternehmen ihre Geschichte sahen und wie sie diese nach außen kommunizierten.

Wer die westdeutsche Wirtschaft symbolisch treffen wollte, zielte auf Abs

In den frühen 1950er-Jahren gab es noch eine große Bereitschaft, über die NS-Zeit zu sprechen oder zu schreiben - wenngleich in apologetischer Absicht. Erst die Erfolge des Wirtschaftswunders ließen die Festschriften-Kapitel über die NS-Zeit immer kürzer und floskelhafter werden. Dennoch: Wie die Vergangenheit gedeutet werden sollte, das entschieden nicht die PR-Abteilungen. Schon weil es sie selbst betraf, kontrollierten mächtige Vorstandsvorsitzende wie Fritz ter Meer (Bayer) das Geschichtsbild persönlich. Weitgehend wirkungslos blieben die Kampagnen der DDR-Propaganda.

Erst nach "1968" sah es für einen Moment so aus, als könnten protestierende Studenten und kritische Intellektuelle im Westen im Verein mit marxistischen Historikern und der Stasi im Osten die Entlastungslegenden erschüttern. Den Anlass dazu schuf 1970 das hundertjährige Jubiläum der Deutschen Bank - in der alten Bundesrepublik das Zentralgestirn der über Kapitalbeteiligungen eng miteinander verflochtenen Bank-, Versicherungs- und Industriekonzerne. Aus dem Aufsichtsrat lenkte noch immer Hermann Josef Abs die Geschicke der Bank, in deren Vorstand er 1938 eingetreten war.

Wer also die westdeutsche Wirtschaft symbolisch treffen wollte, der zielte auf Abs. Das tat Martin Walser, als er sich im Spiegel über die unkritische Festschrift ereiferte, mit der die Bank ihr Jubiläum bestritt. Und so hielt es auch der Ost-Berliner Historiker Eberhard Czichon, dessen Band "Der Bankier und die Macht" pünktlich zum Jubiläum erschien. Er bezichtigte Abs diverser NS-Verbrechen und präsentierte ihn als heimlichen Herrscher der Bonner Republik.

Die Geschichtswissenschaft ließ sich bereitwillig zum Werkzeug der Unternehmen machen

Ironischerweise strengten die DDR-Propagandisten jenen Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht selbst an, der die geschichtspolitische Position der westdeutschen Wirtschaft festigen sollte. Erst nachdem die Deutsche Bank Gegenklage erhoben hatte, prüften mehrere Historiker in Ost-Berlin das Buch. Sie gelangten zu demselben Ergebnis wie die Abs-Berater: Czichon hatte schlampig gearbeitet; gegen die Klage der Bank war juristisch nichts auszurichten.

Hermann Josef Abs

Manager, Vorstandssprecher, Aufsichtsratschef: Hermann Josef Abs, hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1982, war eher mäßig daran interessiert, dass die NS-Vergangenheit der Deutschen Bank aufgearbeitet wurde.

(Foto: Roland Witschel/dpa)

Der Schadenersatzanspruch der Bank bedrohte mit Pahl-Rugenstein den angesehensten unter den von der DDR im Westen finanzierten Verlagen. Abs war klug genug, seinen Sieg öffentlich nie auszukosten. Stattdessen verständigte man sich unter der Hand darauf, den Schadenersatz nicht beizutreiben. Ost-Berlin sagte zu, die Angriffe auf Abs und die Bank einzustellen. Das Czichon-Buch sollte vom westdeutschen Markt verschwinden.

Probekäufer überprüften, ob sich der Verlag daran hielt; antiquarisch erhältliche Exemplare kaufte die Bank. Und was auf lange Sicht das Wichtigste war: Abs stellte sich energisch hinter die Bemühungen, eine Gesellschaft für Unternehmensgeschichte zu gründen, um der marxistischen Geschichtsschreibung eine fundierte Position gegenüberzustellen.

Eindrucksvolle Schilderung

Brünger schildert höchst eindrucksvoll, wie sich die akademische Geschichtswissenschaft bereitwillig zum Werkzeug der Unternehmen machte. Mustergültig verkörperte das ein Mann wie Wilhelm Treue, der Abs im Streit mit Czichon unterstützte. Ihm gelang zu dieser Zeit das Kunststück, gleichzeitig als Professor an der Universität Hannover, Archivleiter beim Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim und als kommissarischer Leiter des Historischen Archivs der Deutschen Bank tätig zu sein.

Treue und sein Frankfurter Mitarbeiterstab lieferten das Material, mit dem Abs vor Gericht siegte. Als Journalist rezensierte Treue das Czichon-Buch in der Zeit. Und als Wissenschaftler klärte Treue in drei Fachzeitschriften, was von der ostdeutschen Geschichtsschreibung und dem Prozess zu halten sei. Redigiert wurden diese Manuskripte nicht von anonymen Gutachtern der Zeitschriften, sondern von den Justiziaren der Deutschen Bank.

Kooperationen wie diese sollten die wissenschaftliche Geschichtsschreibung über Unternehmen in Deutschland eigentlich fördern. Tatsächlich handelte es sich wohl eher um eine Marginalisierung. Die Historiker interessierten sich wenig dafür, wie amerikanische Business Schools den Theoriewerkzeugkasten mit Analyseinstrumenten bestückten. Dass Industriesoziologen die Allmacht der Führungsebene als Mythos entlarvten, hinterließ bei ihnen keine Spuren. Und als das Thema Zwangsarbeit in den Fokus des öffentlichen Interesses rückte, ging auch dies an der Unternehmensgeschichte zunächst vorbei.

In den Unternehmen hingegen spürte man viel schneller die herannahende Wende. Bei Daimler-Benz, wo Ende 1982 die Vorbereitungen für das hundertjährige "Autojubiläum" begannen, registrierte der Konzernarchivar, dass Nutzer verstärkt wegen der NS-Zeit anfragten. Intern schloss man daraus, die Akten systematisch auswerten zu lassen und damit am besten die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte zu betrauen. Es war der erste Auftrag dieser Art. Nach außen zeigte sich Daimler weiter verschlossen. Mal stand dem Quellenzugang eine fantasievoll erdachte "60-jährige Sperrfrist" im Weg, mal behauptete man dreist, über Zwangsarbeit seien "keine Unterlagen vorhanden".

Vom Problemlöser zum Problemverursacher

Jetzt erwiesen sich die eigentlich als Problemlöser bestellten Historiker als Problemverursacher. Brünger rekonstruiert minutiös, wie der Konzern-PR im Jubiläumsjahr 1986 die Fäden aus der Hand glitten. Die Auftragsstudie war wertlos, weil sie für das Thema Zwangsarbeit nur wenige Seiten übrig hatte. Bald musste der Konzern unter öffentlichem Druck einen weiteren Forschungsauftrag erteilen, Volkswagen und die Deutsche Bank zogen bald nach. Jetzt erst setzte eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Verhalten von Unternehmen im Nationalsozialismus ein, die ihren Höhepunkt dann mit der Debatte über die Zwangsarbeiterentschädigung an der Jahrtausendwende erreichen sollte.

"Geschichte und Gewinn" ist ein gutes Buch, weil es die nüchterne Analyse der billigen Skandalisierung vorzieht. Was schon oft vermutet wurde, kann Brünger empirisch zeigen: Mitte der 1990er-Jahre, als von den Sammelklagen früherer Zwangsarbeiter enorme finanzielle Risiken ausgingen, konnte kaum ein Konzern auf verlässliche Informationen über die eigene Vergangenheit zurückgreifen. Fast 50 Jahre systematische Geschichtspolitik hatten dazu geführt, dass zwischen Wahrheit und Legende gar nicht mehr zu unterscheiden war. Umgekehrt waren es gerade die Pionierunternehmen der 1980er-Jahre wie Daimler-Benz und Volkswagen, deren Erfahrungen nun den Weg zur Entschädigung der Zwangsarbeiter wiesen.

Noch als diese bereits Gesetz geworden war, demonstrierte die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, wie schwer sie sich mit diesen Veränderungen tat. Ein erster Versuch der Selbsthistorisierung anlässlich ihres 25-jährigen Gründungsjubiläums scheiterte kläglich. In der hauseigenen Zeitschrift rekonstruierte die damalige Geschäftsführerin auf der Grundlage von Archivquellen erstmals die Gründung der Gesellschaft.

Die Probleme offenbar bereits antizipierend, schlug sie einen äußerst diplomatischen Ton an. Wilhelm Treue etwa hatte nun als "schillernde Persönlichkeit" mit einer "gewissen Nähe zu den Unternehmen" zu gelten. Im Jahr 2001 genügten diese vagen Andeutungen, um einen Sturm der Entrüstung losbrechen zu lassen. In einer Replik verwahrte sich ein Weggefährte Treues gegen derlei "persönlich-charakterliche Schmähungen".

Die Zeiten haben sich geändert. Im Jahr 2016 hat die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte Sebastian Brünger mit ihrem Preis für Unternehmensgeschichte ausgezeichnet.

Tim Schanetzky vertritt derzeit den Lehrstuhl für Neueste Geschichte in Marburg. Jüngst erschien von ihm "Kanonen statt Butter - Wirtschaft und Konsum im Dritten Reich" (Lizenzausgabe der Bundeszentrale für Politische Bildung).

Sebastian Brünger: Geschichte und Gewinn. Der Umgang deutscher Konzerne mit ihrer NS-Vergangenheit, Wallstein Göttingen 2017, 452 Seiten, 39,90 Euro. E-Book: 31,99.

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Sebastian Brünger: Geschichte und Gewinn. Der Umgang deutscher Konzerne mit ihrer NS-Vergangenheit, Wallstein Göttingen 2017, 452 Seiten, 39,90 Euro. E-Book: 31,99.

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