Die Liste umfasst fast zwanzig Namen. Nur Männer, keine Frau. Viele sind Ingenieure, und alle arbeiten bei Daimler. Sie haben von Berufs wegen mit dem Diesel zu tun, der jetzt so viel Ärger macht. Manche arbeiten im Bereich "Diesel Engine Calibration", andere bei "AGN & Abgas-OBD"; Kürzel, mit denen nicht mal jeder bei Daimler etwas anfangen kann.
Die Liste haben Spezialisten des US-Justizministeriums (Department of Justice/DOJ) in Washington aufgestellt. Sie wollen die Deutschen zum Thema Diesel ausfragen. Das DOJ betreibt seit etlichen Monaten eine Art Vorermittlungsverfahren und drückt aufs Tempo. Daimler-Manager, die in den USA arbeiten, sind schon befragt worden.
In Deutschland läuft bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen zwei Daimler-Beschäftigte ein ordentliches Strafverfahren wegen Verdacht des Betruges. Aber mehr als 90 weitere Daimler-Mitarbeiter haben schon Anwälte an ihrer Seite, und vielen von denen wurden wiederum in den USA Anwälte zugeteilt. Nicht wenige von ihnen bezahlt Daimler. Es gibt die Angst vor dem deutschen Staatsanwalt, aber noch größer scheint die Angst vor dem zu sein, was da in den USA drohen könnte.
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Deutsche Anwälte sind eher skeptisch
Unter den gut neunzig Daimler-Leuten sollen auch jene zwanzig sein, die das DOJ derzeit so interessieren. Aber kann man einem Mandanten raten, in die USA zu reisen und dort auszusagen? Die US-Anwälte sehen offenbar kein Problem. Deutsche Anwälte sind eher skeptisch: "Ich bin strikt dagegen" sagt einer von ihnen. Zwar sicherten die Amerikaner "freies Geleit" zu. Das ist ein Begriff, den man schon im Mittelalter kannte. Dabei handelt es sich um die Zusicherung, jemanden bis zur sicheren Rückkehr zu schützen.
Aber wird das freie Geleit auch funktionieren, wenn einer der Ingenieure aus Sicht der Amerikaner nicht die Wahrheit sagt? Welches Material liegt dem DOJ überhaupt vor und was passiert mit der Aussage? Wo wird sie am Ende landen? US-Juristen kennen den Begriff "Queens Day". Demnach ist einer, der auspackt, nicht für das verantwortlich, was er in der Vergangenheit gemacht hat, aber wehe, er lügt. Dann rettet ihn auch die Queen nicht.
Der Diesel-Skandal hat nicht zuletzt wegen Daimler etwas Grundsätzliches bekommen. Es geht um Glaubwürdigkeit, um Verlässlichkeit, um Anstand und Moral und auch um den Industriestandort Deutschland, dessen Reputation gefährdet scheint. Daimler ist nun mal eine große deutsche Marke.
Aber es geht auch um wichtige Rechtsfragen. Beispielsweise: Wie geht man mit den Begehrlichkeiten des DOJ um? Ist es für einen Daimler-Ingenieur ratsam, in die USA zu reisen? Und: Was will Daimler? Das Thema wird heiß unter den Anwälten diskutiert. Es ist ja kein Geheimnis, dass ein VW-Manager, der mit dem VW-Diesel zu tun hatte, im Urlaub in den USA festgenommen wurde. Ihm drohen viele Jahre Haft. Klar war es leichtsinnig von ihm, die Reise zu machen, aber sein Fall zeigt auch, was passieren kann. Außerdem liegen gegen mehrere VW-Leute internationale Haftbefehle vor.
Also: fliegen oder hier bleiben? Neulich kam in einer Runde der Daimler-Anwälte die Idee auf, die DOJ-Leute sollten doch nach England reisen, um dort ihre Fragen zu stellen. Sicher ist sicher. Der Arbeitgeber sowie die amerikanische Kanzlei Gibson Dunn & Crutcher, die den Diesel-Fall im Auftrag Daimlers intern aufarbeitet, sind an bester Kooperation mit den US-Behörden interessiert. Alles muss auf den Tisch. Das wollen die Ermittler. "Es gehört heute zu den Unternehmensführungsstandards, zu dokumentieren, dass in vorauseilendem Gehorsam die Suche nach Straftaten im Unternehmen betrieben wird", hat der Anwalt Wolf Schiller mal gespottet.
Wenn der Münchner Anwalt Werner Leitner die Lage beschreiben will, erzählt er gern die Geschichte vom nordamerikanischen Ochsenfrosch. Exemplare des Frosches aus Philadelphia wurden 1934 in die Lüneburger Heide gebracht, der Frosch wurde zur Plage, weil er so gefräßig ist. Die Lieblingsstelle von Leitner steht bei Wikipedia: Dort ist zu lesen, dass der Ochsenfrosch in die Liste der "in Europa unerwünschten Arten" aufgenommen wurde. Der Ochsenfrosch ist aus Sicht Leitners das amerikanische Rechtssystem, das sich in deutschen Wirtschaftsstrafverfahren immer stärker ausbreitet. Die US-Justiz mimt mittlerweile den Weltstaatsanwalt. So sehen das jedenfalls Kritiker.
"In Springerstiefeln und in Wild-Westmanier", sagt die Düsseldorfer Anwältin Anne Wehnert, seien amerikanische Anwälte in Wirtschaftsstrafverfahren als interne Ermittler durch deutsche Unternehmen gezogen. "Sie kennen nicht das deutsche Rechtssystem. Sie kennen nicht die deutsche Strafprozessordnung, aber sie ziehen durch."
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Die US-Behörden drohen mit Milliarden-Geldbußen - das macht Druck
Es geht hier nicht um juristische Fußnoten, um juristische Feinheiten, um das Übliche also, sondern um etwas Grundsätzliches. Ist es richtig, dass amerikanische Anwälte im Auftrag eines deutschen Unternehmens Mitarbeiter interviewen, dem Arbeitnehmer erklären, er sei aufgrund des Arbeitsverhältnisses zur umfassenden Auskunft verpflichtet, ansonsten müsse er möglicherweise mit Kündigung rechnen? Und ist es richtig, dass der Arbeitnehmer kein Protokoll lesen darf und nicht weiß, wer in den USA oder in Deutschland die Mitschrift, die er nicht selbst überprüfen konnte, bekommen wird? "Dass ein solches Vorgehen keinen Standards entspricht, die rechtsstaatlichen Erfordernissen genügen oder sich an Fairnessgrundsätzen orientieren, liegt auf der Hand", hat der Dortmunder Anwalt Tido Park in einem Aufsatz geschrieben.
Überall Sheriffs. "America first!"
Bei nahezu allen multinationalen Unternehmen beharren amerikanische Behörden auf Durchsetzung ihrer Gesetze. Sie können als Druckmittel härteste Sanktionen einsetzen. Geldbußen in astronomischer Milliardenhöhe oder die Drohung, Unternehmen künftig in den USA von öffentlichen Aufträgen auszuschließen.
Es gibt manchmal ein Ereignis, das die Zeit in ein Davor und ein Danach scheidet. In Deutschland war das die Siemens-Korruptionsaffäre, die von 2006 an von der Münchner Staatsanwaltschaft aufgerollt wurde. Die amerikanische Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton, sowie die Wirtschaftsprüfer von Deloitte& Touche wurden damals von Siemens eingeschaltet. Beide zusammen kosteten mehr als eine halbe Milliarde Euro, aber für Siemens hat sich das am Ende ausgezahlt. Es gab keine Sanktionen in USA, die den Konzern aus der Bahn hätten werfen können.
Das alles kostet viel Geld, viel Zeit, viele Nerven, aber es kann schon sein, dass es sich am Ende auszahlt.
VW steht nach dem Dieselbetrug unter Kontrolle des US-Justizministeriums
Zu den Besonderheiten, die auch im Fall Daimler kommen könnten, gehört es, dass in die Unternehmen amerikanische Aufpasser einziehen. So steht VW nach dem Dieselbetrug unter Kontrolle des US-Justizministeriums, und vor ein paar Wochen ist der frühere US-Staatsanwalt Larry Thompson mit großer Mannschaft dort eingezogen. Er ist eine Art Bewährungshelfer. In drei Jahren muss er einen Abschlussbericht vorlegen, und falls sein Votum gut für VW ausfällt, wird der Konzern aus der US-Aufsicht entlassen. Ähnliche Konstellationen gab oder gibt es bei der Commerzbank, bei Bilfinger oder bei der Deutschen Bank, wo viele Aufpasser am Werke sind.
Auch Daimler hat bereits Erfahrungen mit einem US-Aufseher gemacht. Vor gut sieben Jahren kam der frühere FBI-Chef Louis Freeh nach Stuttgart, weil es Schmiergeldvorwürfe gegeben hatte. Er soll wie ein Machthaber agiert haben. Knüppelhart. Solche Aufpasser oder Bewährungshelfer, sagt die Anwältin Wehnert, würden Unternehmen "fremdsteuern".
Bei Daimler gibt es bislang nur den Verdacht des Abgasbetrugs, aber auf einen neuen Aufpasser sollte sich das Unternehmen schon einstellen.