Neues Plakat der Grünen:Mudda ist im Wahlkampf

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"Meine Mudda wird Chef": Neues Wahlplakat der Grünen (Foto: Screenshot: gruene.de)

Bei Shakespeare, im Hiphop, auf Schulhöfen: "Deine Mudda"-Sprüche haben eine lange Geschichte. Jetzt bedienen sich die Grünen daran, für ihren Bundestagswahlkampf. Soll gegen Merkels Baldrian wirken. Ist aber gewagt.

Von Michael König, Berlin

Der genaue Ursprung ist unklar. War es Shakespeare? In seinem Stück Timon von Athen sagt ein Maler zu Apemanthus, dem zynischen Philosophen: "Ihr seid ein Hund!" Woraufhin Apemanthus antwortet: "Deine Mutter ist von meinem Stamme. Was war sie, wenn ich ein Hund bin?" Es ist, wenn man so will, der erste überlieferte Deine-Mutter-Spruch, entstanden vermutlich in den Jahren 1605 bis 1608. Jetzt, gute 400 Jahre später, findet diese Art des Humors Eingang in den Bundestagswahlkampf - den Grünen sei Dank.

Die Öko-Partei hat am Mittwoch zehn Wahlplakate mit gewohnt schmissigen Slogans vorgestellt. Einer sticht heraus: "Meine Mudda wird Chef", sagt da ein verschmitzt grinsendes Kleinkind. Eine Anspielung auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Frauenquote, beides Programmpunkte der Grünen.

"Antwort auf Merkels sedierte Gesellschaft"

"Das ist ein Sympathieplakat, das ein sehr klares Statement abgibt", sagt Wahlkampfleiterin Steffi Lemke. Und Spitzenkandidat Jürgen Trittin tönt: "Mit dieser Kampagne geben wir die Antwort auf Merkels sedierte Gesellschaft. Es ist die Strategie von Angela Merkel, die ganze Gesellschaft unter Baldrian zu setzen."

Mit der Mudda gegen Merkel. Das ist gewagt: Erstens ist der Deine-Mudda-Spruch sehr zielgruppenspezifisch, bei älteren Wählern wird er womöglich Stirnrunzeln auslösen. Das liegt - zweitens - daran, dass der Mudda-Witz einen Hintergrund hat, der vielen Grünen nicht gefallen dürfte.

"Deine Mudda heißt Bernd"

Nach Shakespeare waren es amerikanische Jugendliche, die sich in den sechziger Jahren mit "Deine Mudda"-Sprüchen duellierten. Der Linguistik-Professor Jannis Androutsopoulos hat das im Interview mit Spiegel Online 2011 so erklärt:

"Die Sprüche funktionieren nach einem festen Schema, bei dem die Mutter des Gegners herabgewürdigt wird (...). Hier ein O-Ton-Beispiel: 'Your mother is so old she got spider webs under her arms.' Auch die Interaktionsform ist festgelegt. Der eine klopft den Spruch, der andere erwidert und übertreibt ihn."

Das geht dann so: "Deine Mudda ruft die Feuerwehr zum Duschen." - "Deine Mudda guckt sich im Restaurant die Speisekarte an und sagt dann zum Kellner: okay." - "Deine Mudda hat Homezone aufm Kiez." - "Deine Mudda heißt Bernd und boxt auf der Kirmes."

Die Mudda als Heldin

Der Mutter werden also Fettleibigkeit, Hässlichkeit, Bildungsferne unterstellt, häufig auch sexuelle Freizügigkeit. Um nur einige Punkte zu nennen. Die Duelle fanden Eingang in die Hiphop-Musik und kamen so nach Europa. Die Zeit schrieb 2011 über "Deine dicke Mutter" als "Zentralfigur der neuen deutschen Witzkultur":

"Die doofe, lüsterne, dicke Mutter, über die vor allem der Mittelschichtsnachwuchs so gern lacht, ist zweifellos eine Unterschichtsmutter, eine RTL-II-Tussi. Und der neue Mutter-Witz ist ein Spiel um den sozialen Abstieg, ein spaßhaftes Hinabstoßen."

Die Grünen gehen die Gefahr ein, sich mit diesem "Hinabstoßen" gemein zu machen, den frauenverachtenden Mudda-Witz implizit zu verbreiten. Dabei ist ihr Plakat eine Karikatur: Die grüne Mudda hat offenbar ein glückliches Kind und eine aufstrebende Karriere, sie ist die Heldin in diesem Stück, eine Art weiblicher Shakespeare.

Nachtrag: Sein Debüt auf Landesebene feierte der Spruch 2011 im Landtagswahlkampf der Grünen in Rheinland-Pfalz. Damals allerdings als "Mudder" und mit der Erde im Bild, hier zu sehen.

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