Nach den Anschlägen von Paris:Die wahre Bedrohung der Freiheit

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Vollkommene Sicherheit ist unmöglich.

(Foto: REUTERS)
  • Die größte Gefahr für freie Gesellschaften sind nicht die Terroranschläge, sondern die Angst, die daraus entstehen kann.
  • Schärfere Sicherheitsgesetze und Eingriffe in die Privatsphäre bedrohen die Freiheit. Wer sie schützen will, muss die Gemeinschaft pflegen, statt sie zu überwachen.

Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Die Freiheit verteidigen. Mit allen Mitteln. Das ist eine der oft gehörten Forderungen seit dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo. Sie ist gut. Und richtig: Freiheit ist ein hohes Gut. Vielleicht das höchste, das Menschen haben. Nur in freien Gesellschaften können die Menschen sich ausprobieren, ihre Wege finden.

Diese Freiheit ist in Gefahr. Aber nicht durch die feigen Attentäter von Paris. Nicht durch die Attentäter vom 11. September, von Madrid oder London. Solche Taten fordern den Rechtsstaat heraus. In ernste Gefahr gerät die freie Gesellschaft nur durch die Angst der Menschen, die in ihr leben. Und durch Politiker, die sich dieser Ängste bedienen.

Freiheit muss geschützt werden - auch mit Hilfe der Polizei

Der 11. September 2001 hat der Welt gezeigt, wie verletzlich ein freies Land sein kann. Wie schnell es Grundüberzeugungen von Freiheit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit über Bord wirft, um seinen Bürger ein Gefühl von Sicherheit zu geben.

Natürlich, Freiheit muss geschützt werden. Auch mit Hilfe der Polizei, auch mit Hilfe der Geheimdienste. Aber die von Edward Snowden aufgedeckte NSA-Affäre hat einen Überwachungswahn bloßgelegt, der ansonsten nur in totalitären System zu vermuten wäre. Als Reaktion auf den 11. September haben die USA den "Full Take" aller verfügbaren Daten zur obersten Maxime erklärt. Jeder ist verdächtig. Jeder muss überwacht, überprüft, gescannt werden.

Es sind solche verschärften Sicherheitsgesetze, die eine Gefahr für die Freiheit sind. Wie es anders geht, hat Norwegen nach den Breivik-Attentaten gezeigt. Im Sommer 2011 hat Anders Behring Breivik 69 Menschen erschossen - sie waren zu einem Ferienlager auf der Insel Utøya zusammengekommen. Einem von Breivik kurz zuvor als Ablenkung inszenierten Bombenanschlag auf das Büro des Ministerpräsidenten in Oslo fielen acht weitere Menschen zum Opfer.

Ministerpräsident Jens Stoltenberg sagte damals: "Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit."

Debatten über eventuelle Gesetzesverschärfungen wurden erst einmal vertagt. Die Norweger wollten in diesen sensiblen Fragen keine Schnellschüsse - ihre Freiheit war ihnen wichtiger. Sie haben erkannt, dass Freiheit immer auch mit Risiko verbunden ist. Manche Menschen verirren sich in der Freiheit, radikalisieren sich, wenden sich am Ende womöglich gegen die Gesellschaft.

Das kann schreckliche Folgen haben. Die dürfen aber nicht dazu führen, das freiheitliche Prinzip in Frage zu stellen.

Gelassenheit ist eine Stärke

Nach den Anschlägen von Paris mit insgesamt 20 Toten gilt es wieder, die Freiheit zu verteidigen. Gegen jene, die glauben, Vorratsdatenspeicherung könnte solche Anschläge verhindern. Oder die Speicherung von Fluggastdaten. Oder höhere Gefängnisstrafen. Die Totalüberwachung aller Bürger wäre das Ende jener Freiheit, wie wir sie kennen. Nicht ihre Verteidigung.

Die Stärke eines freiheitlichen Landes liegt in der Gelassenheit, nicht jedes Mal ein Stück Freiheit zu opfern, in der Hoffnung, dass dies ein Quäntchen mehr Sicherheit bringen würde.

Neue Sicherheitsgesetze bekämpfen nur die Symptome. Wer wirklich etwas dafür tun will, dass sich weniger Menschen radikalisieren, der muss woanders anfangen. In den Schulen, in den Familien, am Arbeitsplatz. Überall dort, wo es darum geht, Menschen Wertschätzung entgegenzubringen. Überall dort, wo Gemeinschaft entsteht, die immer noch das beste Mittel ist gegen Abgrenzung und Radikalisierung.

Es ist ein mühsamer Weg. Und auch er verspricht keinen vollkommenen Erfolg. Aber es ist der Weg, den freie Gesellschaften gehen sollten, wenn ihnen ihre Freiheit am Herzen liegt.

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