Nach Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs:"Assads Regime ist sich keines Fehlverhaltens bewusst"

Lesezeit: 4 min

Die Türkei berät sich mit ihren Nato-Partnern über die weitere Vorgehensweise in Syrien, aber bringt das auch konkrete Ergebnisse? Nein, sagt Heiko Wimmen von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Außerdem erklärt er, warum Syrien nicht mit Libyen vergleichbar ist und ob Iran dem Assad-Regime im Kriegsfall beistehen würde.

Matthias Kohlmaier

Die Lage in Syrien spitzt sich immer weiter zu. Nachdem die syrische Luftabwehr einen türkischen Jet abgeschossen hat, berät die Nato über weitere Schritte gegen das Assad-Regime. Heiko Wimmen ist Nahost- und Syrien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, die sowohl den Bundestag als auch die Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik berät.

"Wie der Vater, so der Sohn": Menschen demonstrieren vor der syrischen Botschaft in London gegen die Politik von Baschar al-Assad. (Foto: AFP)

SZ.de: Nach dem Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs durch Syriens Luftabwehr haben sich die EU-Außenminister mit dem Thema beschäftigt und weitere Sanktionen, wie zum Beispiel Einreiseverbote in die EU, gegen syrische Offizielle verhängt. Wird das einen Einfluss auf die Politik des Assad-Regimes haben?

Heiko Wimmen: Nach allem, was passiert ist, wird das in Syrien wohl niemanden mehr sonderlich beeindrucken. Diese Leute müssen sich im Zweifel mehr Sorgen machen, in Den Haag zu landen als irgendwo ein Einreiseverbot zu bekommen. Das sind nur rhetorische Maßnahmen, wenn auch die richtigen. Wir sprechen hier von einem Regime, das sich - aus subjektiver Sicht - in einem politischen und vielleicht auch physischen Überlebenskampf befindet. Dass die EU diese Positionen hat, ist bekannt und nichts Neues. Auswirkungen wird das keine haben.

SZ.de: Eine militärische Intervention schließt die EU nach wie vor kategorisch aus. Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt noch, um auf Syrien einzuwirken?

Wimmen: Die einzige diplomatische Option wäre sicherlich, sich intensiv an unseren russischen Freunden abzuarbeiten. Moskau lässt ja gelegentlich durchblicken, dass man nicht mehr den schwarzen Peter als Schutzherr der Diktatoren aus aller Welt haben will. Da müsste die EU einhaken und die Russen dazu bringen, zu verstehen, dass sie sich mit ihrer Strategie keinen Gefallen tun.

SZ.de: Könnte man in dieser Sache denn wirklich darauf hoffen, dass sich Russland einsichtig zeigt?

Wimmen: Da sind die Aussichten natürlich beschränkt. Die russische Denke in der Außenpolitik ist eben nach wie vor eine andere. Da wird weiterhin eher in Einflusssphären gedacht. Man muss auch ganz klar sagen: Die EU hat in der Vergangenheit nicht genug getan, um mit Russland eine Sicherheitspartnerschaft aufzubauen.

SZ.de: Geht es Russland denn überhaupt darum, Eingriffe in die nationale Souveränität Syriens zu verhindern? Oder ist es Moskau vielmehr wichtig, den russischen Militärhafen in Tartus nicht zu verlieren?

Wimmen: Ich denke nicht, dass sich das so simpel auf dieses eine Interesse reduzieren lässt. Für die Russen ist die Frage eher, ob sie völlig aus dieser Region hinausgedrängt werden. Syrien und Iran sind zwei Dinge, die unmittelbar miteinander verknüpft sind - und Iran ist bereits ein Anrainer des Kaspischen Meeres. Da geht es dann schon viel mehr ans russische Eingemachte. Russland denkt womöglich, dass eine derartige Einflusszone auch ein gewisses Maß an Vorwärtsverteidigung erfordert.

SZ.de: Ist die Problematik in Syrien vergleichbar mit der in Libyen vor dem Sturz Gadaffis?

Wimmen: Überhaupt nicht. In Libyen gab es eine deutliche Spaltung der Streitkräfte und auch der politischen Elite. Dadurch sah es anfangs so aus, als müsste man den Rebellen quasi nur eine Luftwaffe "leihen", die das Blatt aus militärischer Sicht zu ihren Gunsten wendet. Im Nachhinein hat sich das zwar etwas komplizierter dargestellt, aber man hatte immerhin eine militärisch ausgerüstete und politisch handlungsfähige Opposition. In Syrien aber stellen sich doch ganz andere Fragen: Wem sollte man denn die Luftwaffe "leihen"? Wen könnte man auf welchem Weg mit militärischem Gerät ausrüsten?

SZ.de: Ist das regimetreue Militär in Syrien besser ausgestattet als das in Libyen der Fall war?

Wimmen: Ja. Das zeigt der Abschuss des türkischen Flugzeugs doch ganz deutlich. Eine Phantom holt man nicht einfach so vom Himmel. Da waren Leute am Werk, die wussten, was sie taten.

SZ.de: Was eine militärische Intervention noch schwieriger und unwahrscheinlicher macht.

Die Grafik zeigt, wo das türkische Flugzeug von Syriens Luftabwehr abgeschossen wurde. (Foto: dpa)

Wimmen: Würde man intervenieren, müsste man auf jeden Fall wissen, mit wem man sich anlegt. Die Syrer haben, wenn man Medienberichten glauben darf, von Russland landgestützte Antischiffs-Raketen bekommen, mit denen sie über Hunderte von Kilometern Schiffe attackieren können. Als Militär würde ich meiner Regierung sagen: "Hier mit irgendeinem Klein-Klein anzufangen, ist lebensgefährlich und unverantwortlich!" Man bräuchte eine regelrechte Invasionsstreitmacht oder gar eine wochenlange Bombenkampagne, um diese Luftabwehrzentren zu zerstören. Ich sehe niemanden, der dazu bereit wäre - von der Legitimation mal ganz abgesehen.

SZ.de: Die aktuelle Situation in Syrien bietet also noch keine ausreichende Legitimation für eine Invasion?

Wimmen: Nein. Und es ist auch niemand, wie das noch 2003 der Fall war, bereit zu sagen: "Wir bilden eine coaliton of the willing und machen es dann eben ohne Sicherheitsrat!"

SZ.de: Der Nato-Vertrag sieht in Artikel 5 eine Beistandsverpflichtung für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf eines der Mitglieder vor. Die Türkei hat nun die Nato-Partner zusammengerufen, um über den abgeschossenen Kampfjet zu debattieren. Könnte der Bündnisfall eintreten?

Wimmen: Die Türkei kann nicht einfach den Bündnisfall erklären, das wäre schon sehr konstruiert. Es wird Beratungen geben und am Ende vermutlich ein Statement, dass die Entwicklung mit großer Besorgnis gesehen wird. Dass der Bündnisfall wirklich eintritt, halte ich für abwegig.

SZ.de: Es soll eine Übereinkunft zwischen Teheran und Damaskus geben, einander im Verteidigungsfall beizustehen. Würde Iran Syrien im Zweifel militärisch unterstützen?

Wimmen: Solche Vereinbarungen haben oft eher eine politische Bedeutung als einen militärischen Wert. Ich habe große Zweifel, ob die Iraner in einem solchen Fall etwas ausrichten würden und ob sie das überhaupt könnten. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Iran dem syrischen Regime Militär-Experten zur Verfügung stellen würde, beispielsweise für Luftabwehrsysteme. Ein militärisches Eingreifen Irans halte ich aber für absurd.

SZ.de: Welche Effekte hat der Zwischenfall mit der Türkei für das syrische Regime in der näheren Zukunft?

Wimmen: Für das Regime sind die Auswirkungen positiv. Es führt allen, die darüber eventuell nachdenken, nochmal die immensen Kosten und Gefahren einer militärischen Intervention vor Augen. Außerdem zeigt es, dass die Streitkräfte noch immer in guter Verfassung sind, dass alle Systeme funktionieren. Innenpolitisch kann das Regime kommunizieren: "Wir haben weiterhin alles unter Kontrolle." Aus syrischer Sicht kommt dieser vermeintliche Zwischenfall sehr gelegen.

SZ.de: Wird die Führung um Präsident Baschar al-Assad also trotz aller Anschuldigungen von EU- und Nato-Seite genauso weitermachen wie bisher?

Wimmen: Davon gehe ich aus. Die sind sich keines Fehlverhaltens bewusst.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: