Münchner Neueste Nachrichten vom 2. Juli 1914:Bomben unterm Mittagstisch

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Letzte Meldungen zur Thronfolger-Ermordung: Der Depeschendienst auf der Seite 4 der Münchner Neuesten Nachrichten vom 2. Juli 1914 (Foto: Daniel Hofer)

Österreichs Thronfolger hatte kaum eine Chance, seiner Ermordung zu entgehen. So berichtet es das SZ-Vorgängerblatt nur wenige Tage nach dem Attentat in Sarajewo. Da ist das folgenschwere Ereignis für die Zeitung allerdings schon nicht mehr das wichtigste Thema.

Von Barbara Galaktionow

SZ.de dokumentiert, wie die Münchner Neuesten Nachrichten vor 100 Jahren über den Weg in den Ersten Weltkrieg berichtet haben. Die Tageszeitung war die Vorgängerin der Süddeutschen Zeitung .

Der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand hätte schon Glück haben müssen, um am 28. Juni 1914 in Bosnien nicht zu sterben. Es war jedoch ein Zufall, dass es gerade der Gymnasiast Gavrilo Princip mit seinem Revolver war, der die mörderische Tat vollbrachte. Das wird in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 2. Juli 1914 deutlich.

Von einem "mörderischen Komplott" war in der Zeitung bereits drei Tage zuvor die Rede. Nun mehren sich dem Blatt zufolge die Hinweise auf eine Reihe von Bomben, die sich auf dem geplanten Weg des Erzherzogs befanden. Ein "hoher Hoffunktionär aus dem Gefolge des Erzherzog-Thronfolgers" spricht gegenüber der Zeitung davon, dass Franz Ferdinand und seine ebenfalls getötete Frau "auf dem Rückwege eine förmliche Allee von Bombenwerfern passieren hätten müssen".

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Andere Personen aus dem Gefolge Franz Ferdinands sagten dem Blatt, dass "ganz Bosnien eine einzige Falle war, in der der Erzherzog unbedingt zugrunde gehen mußte". Demnach hätte der Thronfolger auch beim für 12 Uhr angesetzten "Dejeuner" den Tod finden können - wenn er es bis dahin geschafft hätte. Denn: "Unter der gedeckten Tafel fanden sich zwei Bomben mit Uhrwerk vor und in demselben Gemach eine Bombe mit Uhrwerk im Rauchfang."

Sechs Bomben - so viel ist heute bekannt - waren damals im Besitz der Verschwörer. Und tatsächlich verteilten sich die jungen Männer damit an der geplanten Wegstrecke des Erzherzogs. Bomben unterm Esstisch tauchen hingegen nicht in den gängigen Darstellungen des Attentats auf - auch im Hofgefolge scheint das Attentat die Gerüchteküche angeheizt zu haben.

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Nicht einmal 24 Stunden nach der Ermordung von Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand berichtet die Vorläufer-Zeitung der SZ eine Fülle von Details über das Attentat. Ebenfalls enthalten: ein erster Bericht über Wasserski und die Debatte über die Zukunft von Kinos. Was heute vor 100 Jahren in der Zeitung stand.

Von Barbara Galaktionow

Auch von den anderen Details, die die Zeitung am 2. Juli 1914 berichtete, erwies sich jedenfalls eines als nicht zutreffend:

  • Zum Attentäter Gavrilo Princip: Es sei festgestellt worden, dass dieser "bereits um 17 Tage älter als 20 Jahre ist". Sein Alter sei damit "kein Hindernis dafür, daß er zum Tode verurteilt werden kann". Eine Meldung, die sich erst später als falsch erwies. Entgegen dem Eintrag auf der Geburtsurkunde war Princip nämlich nicht im Juni geboren, sondern erst im Juli. Beim späteren Gerichtsprozess wurde er daher - weil er zum Tatzeitpunkt noch jünger als 20 Jahre war - doch "nur" zu zwanzig Jahren schwerer Zwangsarbeit verurteilt (mehr zum Leben und den Motiven Gavrilo Princips hier).
  • Zum Transport der "entseelten Körper": Die Leichen der Ermordeten werden dem Blatt zufolge zunächst an Bord des Großkampfschiffs Viribus Unitis transportiert und von Triest aus mit der Bahn zum Wiener Südbahnhof gebracht. "Überall am Gestade der Adria, das der mächtige Panzer passiert, ertönen Trauerglocken und erweist die Bevölkerung dem Toten, der für Oesterreichs Weltstellung lebte und arbeitete, den Einheitsgedanken im vielgestaltigen Reiche verkörperte, die letzte Ehrung". In Wien sollen die Toten dann in der Hofburg-Pfarrkirche aufgebahrt werden, bevor sie in der Gruft im Schloss Artstetten, der Sommerresidenz der kaiserlichen Familie, ihre letzte Ruhe finden sollten.
  • Zu den Unruhen in Bosnien: Sarajewo zeige das "gewohnte Bild", heißt es. "Fast sämtliche Läden sind geöffnet, es herrscht vollkommene Ruhe." Wegen serbenfeindlichen Kundgebungen und übergriffen in anderen bosnischen Städten wurde jedoch das "Standrecht" über Bosnien verhängt, "damit weiteren derartigen Exzessen seitens der erregten lokalen Volksmassen vorgebeugt werde".

Den vielen Informationen zum Trotz ist die Thronfolger-Ermordung an diesem Tag jedoch bereits nicht mehr DIE zentrale Nachricht (in der Abendausgabe ist sie nicht einmal mehr als eigenständiges Thema auf der Titelseite vorhanden). Viel Raum erhält in dem Blatt die neue Ausstellung "Das Gas" in München - dem Rezensenten zufolge eine überzeugende Schau, die deutlich macht, wie das "Gas und seine Nebenprodukte in unendlichen Verästelungen in jeden Haushalt, in jedes Gewerbe hineinwirke".

Viel Raum für den Militäretat und eine Gas-Ausstellung, und ein bisschen was über die Thronfolger-Ermordung: die Münchner Neuesten Nachrichten vom 2. Juli 1014 (Foto: Daniel Hofer)

Wichtigstes Thema der Morgenausgabe ist jedoch der bayerische Militäretat für 1914. Der ist, wie es scheint, kein Aufreger. "Der vorliegende Etat unterscheidet sich ohnehin nicht allzusehr von dem vorjährigen", heißt es lapidar. Nichts weist darauf hin, dass der Zustand der Armee schon kurze Zeit darauf schlagartig massive Bedeutung bekommen sollte.

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Auch der Anzeigenteil lässt den kommenden Weltkrieg nicht erahnen. Bei den Reiseannoncen wirbt nicht nur der Nassauer Hof Wiesbaden als "vornehmstes Weltbad" um Besucher, sondern auch das Hotel Savoia in Rapallo bei Genua. Die Königlich Holländische Lloyd bietet einen Schnell- und Postdampferdienst von Amsterdam oder Boulogne s/Mer nach Rio de Janeiro oder Buenos Aires an und das Amtliche Bayerische Reisebureau Reisen von München nach England.

Etwa einen Monat später sollten viele Reisende froh sein, wenn sie noch in einem überfüllten Schiff oder Zug einen Platz für die Heimreise finden konnten.

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