Mittelmeer:Libyens Küstenwache gefährdet Flüchtlinge und Helfer

Libysche Küstenwache nähert sich Flüchtlingen

Ein Schiff der libyschen Küstenwache unterstützt eine Rettungsaktion der MOAS. Andere Hilfsorganisationen berichten von Zusammenstößen mit den Libyern.

(Foto: Andreas Solaro/AFP)

Bewaffnete Grenzschützer gehen auf dem Mittelmeer zum Teil aggressiv gegen Flüchtlingsboote und Rettungsschiffe vor - zuletzt mit tödlichen Folgen. Trotzdem will die Bundesregierung die Libyer unterstützen.

Von Kristiana Ludwig, Malta

Als das Schiff seine Lichter löschte und davonfuhr, brach auf dem Schlauchboot Panik aus. Die Männer in Uniformen, die nun in die schwarze Nacht verschwanden, hatten die Bootsinsassen geschlagen. Jetzt war einer der Schläuche beschädigt, Wasser sammelte sich zwischen den Füßen der Menschen. Um 3.25 Uhr morgens, so schildert es der Kapitän des nahen Rettungsschiffs Sea Watch 2 in seinem Logbuch, seien die ersten Menschen ins Meer gefallen oder hineingesprungen. "The boat is clearly sinking", notierte er um diese Uhrzeit.

Bis zu 30 Menschen seien in jener Nacht ertrunken, sagte ein Sea-Watch-Sprecher später. Die Organisation hat mittlerweile bei der Staatsanwaltschaft Hamburg Strafanzeige erstattet - wegen "Angriffs auf den Seeverkehr". Die Uniformierten hätten ihren Rettungseinsatz massiv behindert.

Der Vorfall vor der Küste Libyens am 21. Oktober, den die deutsche Hilfsorganisation einen "Überfall der libyschen Küstenwache" nannte, ist der bisherige Höhepunkt eines Konflikts zwischen europäischen Rettungsschiffen und bewaffneten Booten aus Libyen, die in diesem Jahr immer häufiger aneinandergeraten.

Zivile Seenotretter aus Europa wurden mit Waffen bedroht, eines ihrer Schiffe beschossen, ein anderes beschlagnahmt. Zwei deutsche Besatzungsmitglieder saßen im September in libyscher Untersuchungshaft. Die Botschaft in Tripolis und die Deutsche Marine holten sie schließlich zurück.

Das Klima für Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer hat sich verändert. Doch wer für das, was zwischen Libyen und Italien passiert, verantwortlich ist, darauf findet die Bundesregierung bislang keine Antwort.

Immer mehr private Hilfsschiffe vor Libyen

Seit zwei Jahren kreuzen immer mehr private Hilfsschiffe vor Libyen. Sie wollen die Menschen, die dort ein Schlauchboot besteigen, um nach Italien überzusetzen, vor dem Ertrinken retten und sind von den Schleppern längst einkalkuliert. Deutsche Vereine wie Jugend rettet, SOS Mediterranee oder Sea Watch starten mit ihren Schiffen aus Malta, genauso wie die spanische Rettungstruppe Proactiva Open Arms, die Privatinitiative Migrant Offshore Aid Station (Moas) oder Ärzte ohne Grenzen.

Die Suche nach Flüchtlingen auf dem Mittelmeer hat sich professionalisiert. Freiwillige Helfer und angestellte Rettungsschwimmer stimmen ihre Einsätze miteinander ab und arbeiten auf See zusammen. Koordiniert werden ihre Einsätze von der Seenotrettungsleitstelle in Rom, die die Schiffscrews sowohl mit der Nothilfe als auch mit dem Transport geretteter Migranten nach Italien beauftragt.

In Libyen ist die Situation dagegen unübersichtlich. Das Land ist gespalten, mehrere Regierungen konkurrieren um die Herrschaft im Land. Während Tausende Flüchtlinge aus Afrika und anderen Kontinenten von hier aus nach Europa übersetzen wollen, kontrollieren unterschiedliche politische Gruppen die See-, Luft und Landgrenzen. Die libysche Einheitsregierung in Tripolis, mit der die Europäische Union verhandelt, sicherte im Sommer lediglich Teile der Seegrenzen im Raum Tripolis. Entlang der übrigen Grenzstädte übernahmen Milizen anderer politischer Gruppen die Küstenwacht.

Helfer bei einer Rettungsaktion im Mittelmeer

Ein NGO-Mitarbeiter hilft einem Kleinkind auf ein Rettungsboot. Künftig sollen Helfer nur noch bei offensichtlicher Lebensgefahr eingreifen dürfen.

(Foto: Andreas Solaro/AFP)

Trotz dieser diffusen Lage hat die EU Ende Oktober begonnen, 78 Angehörige derjenigen Küstenwache, die von Tripolis kontrolliert wird, auf Marineschiffen zu schulen. Sie sollen europäische Soldaten dabei unterstützen, "Menschenhandel und Schleusernetzwerke zu stören", heißt es vom Europäischen Auswärtigen Dienst, und außerdem auf dem Mittelmeer "Leben retten". Dabei sind viele der Vorfälle zwischen zivilen Schiffen und Küstenwachleuten bis heute nicht geklärt.

Bereits im April hatten bewaffnete Männer in Tarnjacken und Sturmhauben die Sea Watch 2 gestoppt. Von einem motorisierten Schlauchboot schossen sie zunächst in die Luft und enterten dann mit Sturmgewehren das Rettungsschiff. Nach einem Gespräch mit den Freiwilligen an Bord zogen sie ab. Dem EU-Operationshauptquartier in Rom zufolge habe es sich um "Vertreter der sogenannten libyschen Küstenwache" gehandelt, die illegale Fischerei vermutet hätten.

Schiff der Ärzte ohne Grenzen beschossen

Im August wurde ein Schiff der Organisation Ärzte ohne Grenzen von einem Schnellboot aus beschossen. Auch hier habe es sich um ein Versehen gehandelt, heißt es in einer Einschätzung der Bundesregierung, "um unerfahrenes und nicht entsprechend ausgebildetes Personal" der Küstenwache, das bei Warnschüssen "nicht beabsichtigte Treffer" gemacht habe. Dies hatte ein Sprecher der libyschen Marine erklärt.

In einem Protokoll von Ärzte ohne Grenzen heißt es dagegen, die Männer hätten das Schiff systematisch durchsucht, überall seien Einschusslöcher zu finden. Damals eilten ein deutsches und ein britisches Militärschiff sowie ein Hubschrauber zur Hilfe. Die Leitstelle in Rom empfahl allen Hilfsorganisationen, umgehend das Seegebiet zu verlassen.

Bis heute wurde der Widerspruch nicht geklärt. Zwar hatte die libysche Marine angekündigt, den Fall zu untersuchen. Doch bis heute, heißt es aus dem Auswärtigen Amt, "liegen keine weiteren Informationen vor".

Wegen eines weiteren Vorfalls verhandelt die Bundesregierung ebenfalls seit zwei Monaten mit der Einheitsregierung in Tripolis. Anfang September hatten Kontrolleure ein Speedboot der Regensburger Organisation Sea Eye mitsamt der zwei Freiwilligen an Bord nach Libyen geschleppt. Sie hätten auf See versucht, zu flüchten, heißt es von einem Marinesprecher.

"Ich sah ein Schnellboot mit sehr hoher Geschwindigkeit auf uns zukommen. Dann haben wir uns ein kurzes Rennen geliefert", sagte auch Speedbootfahrer Dittmar Kania dem Bayerischen Rundfunk. Als er Uniformen und Gewehre erkannte, habe er sich jedoch ergeben.

Die deutsche Botschaft setzte sich für die Freilassung der beiden Aktivisten ein, nach drei Tagen brachte sie ein Schiff der Bundeswehr zurück. Ihr Boot allerdings blieb in Libyen. Deutsche Diplomaten stünden "seitdem im ständigen Kontakt" mit den Libyern, um den Sachverhalt zu klären und die Herausgabe des Bootes zu erreichen, ist aus dem Auswärtigen Amt zu hören. Sea-Eye-Schatzmeister Tilman Mischkowsky denkt darüber nach, wie er einen Koffer Lösegeld nach Libyen transportieren könnte.

Ein Großteil der europäischen Hilfsorganisationen hat mittlerweile ihr Sicherheitskonzept auf den Umgang mit bewaffneten Angriffen ausgerichtet. Die Schiffscrews trainieren den Rückzug in Sicherheitsräume. Zuletzt flüchtete die Besatzung des Vereins Jugend rettet im September vor Uniformierten mit vorgehaltenen Waffen in das Innere ihres Schiffs.

Umstrittene Zusammenarbeit mit der libyschen Marine

Die Initiative Moas, die auch mit Drohnen der österreichischen Rüstungsfirma Schiebel das Meer nach Flüchtlingsbooten absucht, hat sich dagegen auf eine besondere Form der "Diplomatie" mit der libyschen Küstenwache eingelassen. Im blauen T-Shirt der Organisation begleiteten im September zwei Angehörige der libyschen Marine das Rettungsschiff. Eine Moas-Sprecherin erklärt, man verspreche sich davon weniger Probleme an den Grenzen auf See und in der Luft: "Wir brauchen eine gute Beziehung".

Der Libyer Salah Sabri, der die Moas begleitete, nannte noch einen anderen Grund für seine Entsendung in den Hafen von Malta. Er solle im Auftrag des Verteidigungsministeriums die Schiebel-Drohnen testen, die bald auch von libyschen Grenzschützern eingesetzt werden könnten.

Eine Sprecherin des Unternehmens sagt, die beiden Soldaten seien hauptsächlich "Vor-Ort-Vermittler", die im Zweifelsfall Missverständnisse auf See klären könnten. Das schließe "natürlich nicht grundsätzlich aus", dass sie sich für die Drohnen "interessieren und dementsprechend vor Ort informiert haben". Den Libyern zufolge hat das Verteidigungsministerium bereits mehrere Fluggeräte von Schiebel erworben.

Während sich so Rüstungshersteller und die libysche Einheitsregierung miteinander arrangieren, hat die Bundesregierung zu dem jüngsten Vorwurf, die Küstenwache sei für den Tod von Flüchtlingen verantwortlich, noch "kein eindeutiges Lagebild". Sowohl zum Ort des Geschehens als auch zu den Vorfällen selbst gebe es bisher widersprüchliche Aussagen, erklärt der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Markus Ederer. Man setze sich für eine weitere Aufklärung ein. "Umso wichtiger" sei es deshalb, dass Europäer nun die libysche Küstenwache ausbildeten.

Der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko kritisiert diese Zusammenarbeit dagegen scharf. Es sei nicht hinnehmbar, "wenn diese brutalen libyschen Einheiten jetzt auf EU-Kriegsschiffen ausgebildet und unterstützt werden", sagt er. Deren Aufgabe würde es schließlich werden, Flüchtlinge auf dem Weg in die Europäische Union abzufangen und in libyschen Lagern festzuhalten. In einem zerrissenen Land, in dem es laut Bundesregierung "regelmäßig zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch Milizen verschiedener Lager" kommt - "auch an Flüchtlingen und Migranten".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: