Merkel vor dem EU-Gipfel: Strafen für Schuldenstaaten:Die Eiserne Lady pokert hoch

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Angela Merkel gibt sich vor dem EU-Gipfel kompromisslos: Länder, welche die Stabilitätskriterien verletzen, will sie härter bestrafen. Die Kanzlerin hat dabei ihre Wähler im Blick. In Brüssel muss Merkel aber mit heftigem Widerstand rechnen.

Cerstin Gammelin

Gelegentlich entsteht der Eindruck, die Bundeskanzlerin passe die Farbe ihrer Kleidung den bevorstehenden Terminen an. Wie an diesem Mittwoch. Für ihren letzten öffentlichen Auftritt vor Beginn des Europäischen Gipfels, der hinter verschlossenen Türen stattfindet und den sie selbst zu einem Treffen "von größter Bedeutung" erhob, wählte Merkel einen streng geschnittenen, dunkelgrauen Hosenanzug. Er unterstrich die ohnehin selbstbewusst klingende Botschaft ihrer Regierungserklärung: Ich habe recht. Ich werde die deutschen Forderungen in Brüssel verteidigen. Ich werde nicht nachgeben.

Die zwei marschieren voraus - ob die 25 anderen ihnen folgen? Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy vereinbarten vergangene Woche in Deauville - im Bild beim Strandspaziergang - ihre Pläne für eine Reform des EU-Regelwerks; Defizitsünder sollen künftig härter bestraft werden. Viele der anderen Staats- und Regierungschefs fühlen sich übergangen. (Foto: dpa)

Tatsächlich setzt Merkel nun schon zum dritten Mal in diesem europäischen Krisenjahr alles auf eine Karte. Zweimal gelang es ihr, ihre widerstrebenden Partner auf ihre Seite zu ziehen. Das Rettungspaket für Griechenland und der gigantische Rettungsschirm für die Euroländer wurden am Ende trotz des zunächst heftigen Widerspruchs aus mehr als 20 europäischen Hauptstädten weitgehend nach deutschen Vorstellungen verabschiedet. Freilich auch, weil ohne die Deutschen wirksame Finanzhilfen schlicht nicht vorstellbar sind.

Jetzt gibt die Kanzlerin erneut die Eiserne Lady. Kurz vor Beginn des Gipfels spricht sie klare Worte. Sie besteht darauf, künftig auch private Gläubiger wie Banken an den Kosten einer Staatskrise zu beteiligen sowie permanent schlecht wirtschaftenden Ländern, die ihre Partner gefährden, das Stimmrecht zu entziehen - wofür allerdings die EU-Verträge geändert werden müssen, was viele Länder bisher ablehnen. Merkel ficht das nicht an. Sie droht vielmehr, nur dann den bereits einvernehmlich von den europäischen Finanzministern beschlossenen strengeren Regeln des EU-Stabilitätspakts zuzustimmen, wenn Ratspräsident Herman Van Rompuy zugleich ein klares Mandat aller 27 europäischen Staats- und Regierungschefs erhält, bis März 2011 konkrete Vorschläge für die geforderten Vertragsänderungen vorzulegen.

Merkel weiß, dass sie hoch pokert. Trotz der vielen Telefonate zwischen den europäischen Hauptstädten ist wenige Stunden vor dem entscheidenden Treffen in Brüssel längst noch nicht klar, ob die 27 Regierungen ein Mandat für Vertragsveränderungen erteilen werden. Die Gemengelage ist unübersichtlich. Außer dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy hat sich bisher kein Staats- oder Regierungschef mit einem klaren Ja zur deutschen Forderung bekannt. Einige Länder verhalten sich ausgesprochen ruhig. Sie warten wohl ab, wie sich die Stimmung entwickelt.

Dass bisher kaum ein Land die deutsche Position unterstützt, liegt sowohl an den deutschen Forderungen selbst als auch an der undiplomatischen Verhandlungstaktik der Bundesregierung. Die spanische Regierung erklärte, es sei jetzt nicht der richtige Moment, die Verträge zu öffnen, "da andere Probleme dringend gelöst werden müssen". Die Niederländer fühlen sich schlicht hintergangen, weil Berlin ohne Absprache gemeinsame Verhandlungspositionen bei der Stabilitätspolitik geräumt hat. Der Sprecher der Euroländer, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, hat Mühe, seinen Ärger nicht öffentlich zu machen. Schwungvoll knallte er kürzlich auf einer Pressekonferenz der Euroländer seine Unterlagen auf den Tisch und bemerkte süffisant, er sei froh, dass er nebenbei auch noch ein Großherzogtum zu regieren habe. Inzwischen ist der Unmut wieder der Ratio gewichen. Wenige Stunden vor dem Gipfel erklärte Juncker in einem Radiointerview, eine "leichte Revision" der EU-Verträge sei vorstellbar, um einen Krisenmechanismus festzuschreiben. Er sei jedoch "radikal" dagegen, souveränen Staaten Stimmrechte zu entziehen. Diese Forderung dürfte nach Ansicht von EU-Diplomaten ohnehin während des Gipfels vom Verhandlungstisch verschwinden. Sie halten deren Durchsetzung für aussichtslos. Die Regierung in Athen werde absehbar nicht zustimmen, da sie auf Grund der akuten Krise wohl als erste Regierung davon betroffen sein könnte. Auch die irische Regierung signalisierte bereits ein Nein. Nach der mühevollen Ratifizierung des jetzt gültigen Lissabon-Vertrages wolle man sich keinesfalls erneut auf eine Volksabstimmung einlassen, hieß es in Dublin. Genau die wäre nötig, sollte der Stimmrechtsentzug durchgesetzt werden. Und auch das Verlangen der Regierung in Prag, den so europakritisch wie erratisch agierenden Präsidenten Václav Klaus erneut um eine Unterschrift unter einen geänderten EU-Vertrag bitten zu müssen, wird sich in Grenzen halten.

Die verlässlichsten Unterstützer dürfte Merkel allerdings dennoch in Ländern finden, die nicht mit dem Euro zahlen und nicht direkt betroffen sind. Britische EU-Diplomaten halten eine Änderung der Verträge zwar für "nicht notwendig". Sie befürchten vielmehr, dadurch könne den europakritischen Stimmen auf der Insel eine neue Plattform gegeben werden. Dass eine Änderung der Verträge an einem Nein aus London scheitern könnte, schließen sie allerdings aus. Woanders löst die Aussicht auf Vertragsänderungen und damit verbundene Formalitäten sogar verhaltene Freude aus. "Wir unterstützen sie, wenn es dadurch gelingt, die wirtschaftliche Aufsicht zu verbessern", sagte der polnische Europaminister Mikolaj Dowgielewicz. Polen sei bereit, die für eine Vertragsänderung nötige Regierungskonferenz während seiner EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2011 zu organisieren.

Kurz vor den entscheidenden Verhandlungen in Brüssel zeichnet sich also ein möglicher Teilerfolg für Merkel ab. Verzichtet sie auf die Forderung, Stimmrechte entziehen zu dürfen, könnten ihr die Kollegen beim Krisenmechanismus entgegenkommen und Van Rompuy das nötige Mandat erteilen.

© SZ vom 28.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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