Merkel in Griechenland:Was die Kanzlerin in Athen erwartet

Lesezeit: 4 min

Besuch im Kokon: Die griechische Polizei ist erfahren darin, Regierungsgebäude abzuriegeln. Angela Merkel wird bei ihrem Besuch am Dienstag deshalb von den wütenden Protesten gegen sie womöglich gar nicht viel merken. Und auch nicht sehen, was die Sparpolitik im Land anrichtet. Die Wirtschaftsleistung soll um 6,5 Prozent schrumpfen, jeder vierte Grieche ist arbeitslos.

Christiane Schlötzer

Roter Teppich und blutroter Protest, Häme und die Hoffnung auf ein Wunder: Wenn Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag zum ersten Mal seit Beginn der griechischen Krise nach Athen kommt, dann muss sie mit vielem rechnen, was den Gepflogenheiten von Besuchen in anderen EU-Staaten nicht entspricht.

Der Griechische Gewerkschaftsbund will die deutsche Kanzlerin mit einer Großdemonstration empfangen. Von zwölf Uhr mittags an soll in Behörden und privaten Betrieben gestreikt werden, damit möglichst viele Griechen das Zentrum der Hauptstadt blockieren können, wo sich auch das Megaro Maximou, der Amtssitz von Premier Antonis Samaras, befindet.

Gewerkschaftssprecher Stathis Anestis hat zudem eine "Blutspendeaktion" angekündigt - eine spöttische Reaktion auf Merkels kürzliches Bekenntnis, ihr "Herz blute", wenn sie an Griechenland denke. Auch linke Parteien wollen protestieren, und die rechte Partei der "Unabhängigen Griechen" hat zu einer "Umzingelung" der deutschen Botschaft in Athen aufgerufen.

Die Beziehungen zwischen Berlin und Athen haben sich seit der Krise drastisch verschlechtert. Seitdem schlägt Angela Merkel in griechischen Medien und auf Demonstrationen Unmut entgegen (Bild vom Februar 2012). (Foto: REUTERS)

Griechische Medien hatten Merkel wiederholt mit Nazi-Symbolen gezeigt

Das deutsch-griechische Verhältnis hat sich im Lauf der Krise geradezu dramatisch verschlechtert. Die griechische Zeitung Kathimerini, eine der wenigen besonnenen Stimmen, macht dafür "arrogante Politiker und populistische Medien" verantwortlich. "Heil", so titelte ein Boulevardblatt am Sonntag. Immer wieder hatten griechische Medien Merkel zuletzt mit Nazi-Symbolen gezeigt, deutsche Medien und auch Politiker vergossen im Gegenzug Spott über die "Pleitegriechen".

Nicht wenige Griechen schämten sich für die Entgleisungen in ihrem Land: Schriftsteller und Universitätsprofessoren, griechisch-deutsche Vereine, schrieben lange Leserbriefe an Zeitungen in Deutschland und Griechenland, in denen sie an die besseren Zeiten der Beziehungen erinnerten.

Kathimerini nannte den Besuch Merkels nun "hochsymbolisch" und berichtete, Samaras habe sich entschlossen, die deutsche Kanzlerin nach Athen einzuladen, trotz des politischen Risikos, das ein solcher Besuch für seine Regierung darstelle. Das Risiko dürfte allerdings auf beiden Seiten liegen. Denn es gibt außer Spott für Merkel auch hohe Erwartungen.

"Was wird sie bringen, was wird sie fordern?"

Die Zeitung Ta Nea fragte auf ihrer Titelseite: "Was wird sie bringen, was wird sie fordern?" To Vima kritisierte in einem Leitartikel die eigene Regierung dafür, dass es "keine Pläne für eine nationale Währung" gebe. Das mache das Land erpressbar. "Auf diese Weise kontrolliert Deutschland eine inflexible Währung, zum eigenen Nutzen."

Die fragile Regierungskoalition in Athen dürfte nur dann eine Überlebenschance bis über den Jahreswechsel hinaus haben, wenn sie sicherstellt, dass Griechenland zuvor von seinen Kreditgebern aus EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) die nächste Finanzspritze erhält.

Seit August - und damit länger als je zuvor - verhandelt die Troika aus IWF, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission nun schon über die Auszahlung dieser Tranche von 31 Milliarden Euro aus dem längst vereinbarten Hilfsprogramm für Athen. Das Volumen des neuen Sparprogramms: 13,8 Milliarden Euro.

Krawalle in Athen
:Sparpaket empört die Griechen

Der Zorn der Demonstranten ist nun für jedermann sichtbar: Hunderttausende Bürger sind auf die Straßen Griechenlands gestürmt, um gegen das neue Sparpaket der Regierung zu protestieren. Am Rande der Demonstrationen in Athen kam es dabei zu Ausschreitungen.

Auch in der Geldgeber-Troika selbst gibt es offenbar Meinungsunterschiede, vor allem zwischen IWF und EU. Am vergangenen Montag erschien es schon so, als gehe gar nichts mehr. Ein Treffen zwischen Samaras und den Troika-Spitzen endete an diesem Tag schon nach 35 Minuten - ohne Ergebnis.

Danach griff Samaras in seiner Not zum Telefon, rief den Chef der EU-Kommission, José Manuel Barroso, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und auch Merkel an. Seine Botschaft: So geht es nicht weiter, Griechenland könnte nicht mehr sparen. Kurz danach reisten zwei Emissäre aus Athen nach Berlin, enge Berater von Samaras. Details für den Blitzbesuch von Merkel in Griechenland wurden vereinbart.

Als sich die Nachricht von der Visite am vergangenen Freitag in Athen verbreitete, erklärte die radikale linke Oppositionspartei Syriza von Alexis Tsipras umgehend, der Merkel-Besuch sei nur eine Unterstützung "für ein korruptes Regime". Wenige Stunden später sagte Tsipras - dessen Partei den regierenden Konservativen in Umfragen dicht auf den Versen ist - auf einer Kundgebung vor mehreren Tausend Anhängern: "Wir werden Merkel so empfangen, wie es ihr gebührt", ihr Athen zeigen, wie sie es "im gläsernen Turm des Maximou nicht zu sehen bekomme".

Die Kanzlerin wird von den wütenden Protesten gar nicht so viel merken

In Twitter-Botschaften schmückten viele Griechen dann aus, wie Athen sich präsentieren sollte: in "Sack und Asche". Einer schrieb: "Wir lassen unseren Porsche und unseren Mercedes ungewaschen, damit Merkel das Ausmaß unseres Elends kapiert." Ein anderer Twitterer meinte: "Wissen wir, was uns der Besuch kosten wird? Es wäre vielleicht günstiger, wenn Antonis eine Schachtel Süßigkeiten kaufen und zu ihr reisen würde."

Samaras hatte den Merkel-Besuch sofort als "sehr positiv" begrüßt. Es ist anzunehmen, dass der Premier seinem Gast die Lage im Land in düsteren Farben schildern wird: Jeder vierte Grieche ist arbeitslos. Nach den jüngsten Angaben der staatlichen Statistiker war die Rezession in den vergangenen zwei Jahren noch schlimmer als angenommen: Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte 2010 um 4,9 Prozent (statt 3,5 Prozent) und 2011 um 7,1 Prozent (statt 6,9 Prozent).

Für dieses Jahr erwartet man nun einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 6,5 Prozent. Denn seit die Griechen zum Sparen gezwungen werden, konsumieren sie immer weniger. Zehntausende kleine und mittlere Betriebe mussten bereits schließen.

Die griechische Polizei ist mittlerweile sehr erfahren darin, die Straßen rund um die Dienstvilla des Premiers herum so zu sperren, dass Demonstranten sie kaum erreichen können. Und Präsident Karolos Papoulias, mit dem sich Merkel auf Deutsch unterhalten kann, residiert gleich nebenan. Deshalb wird die Kanzlerin von den wütenden Protesten womöglich gar nicht so viel merken.

Auch auf dem Rückweg zum Flughafen muss sich der deutsche Tross nur ganz kurz durch das Zentrum bewegen. In einem Innenstadt-Hotel will Merkel deutsche Unternehmer treffen. Erinnerungsfotos, etwa auf der Akropolis, sind erst gar nicht eingeplant.

© SZ vom 08.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: