Reformen:Der unbezahlbare Freund

Antrittsbesuch des franzËÜsischen PrâÄ°sidenten Macron

Bisher gibt es viele schöne Bilder von Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron - hier kurz nach seinem Amtsantritt im Mai auf der Dachterrasse des Bundeskanzleramts -, aber beim Thema Europa nur wenig Harmonie.

(Foto: dpa)
  • Am kommenden Dienstag, nur zwei Tage nach der Wahl in Deutschland, will Frankreichs Präsident Macron seine Reform-Vorstellungen präsentieren.
  • Das französische Tempo dürfte der Kanzlerin und der Union gar nicht gefallen.
  • Der größte Konflikt wird sich wohl am Thema Reform der Euro-Zone und Euro-Zonen-Budget entzünden.

Von Stefan Kornelius

Mit dem Endspurt zur Bundestagswahl hat auch ein zweites Rennen begonnen: der Wettlauf um Ideen und Interessen für die künftige EU, um Einfluss, Geld und die nächste Reform. Denn nach Brexit, Griechenland-Drama und anderen Dauerkrisen ist den 28 und wohl bald 27 Mitgliedern der EU klar: Jetzt ergibt sich eine der seltenen Gelegenheiten, der Gemeinschaft ein frisches Kleid zu verpassen und Defizite auszubügeln.

Die Bundestagswahl bildet eine Art Startlinie, zumindest sieht es die britische Premierministerin Theresa May so, die bereits am Freitag ihre Pflöcke in einer Rede in Florenz einrammen will. Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker hat vergangene Woche vorgelegt. Aber von größter Bedeutung ist der 26. September. Am kommenden Dienstag, nur zwei Tage nach der Wahl in Deutschland, will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seine Reform-Vorstellungen präsentieren.

Was genau er sagt, wo er das tut, wer ihm die Rede schreibt? Im Élysée hüten sie dieses Geheimnis, aber der Termin lässt eine klare Aussage über die taktische Absicht zu: Macron will die Tagesordnung diktieren, wenn das große Reformpalaver beginnt. Drei Tage später treffen sich die Staats- und Regierungschefs in Tallinn, Macron will seinen Führungsanspruch eindeutig zementieren.

Die Wahl Macrons wurde von der Bundesregierung mit vielen warmen Worten begleitet. Und unter EU-Enthusiasten quollen die Erwartungen über: eine neu legitimierte französische und deutsche Regierung, Europawahlen erst in zwei Jahren, und der Brexit hat noch Zeit - wann, wenn nicht jetzt sollte das große Reformwerk beginnen? Wer allerdings genauer hinschaut, der sieht eher verzweifelte Mienen, besonders in Berlin. Das französische Tempo taugt der Kanzlerin und der Union gar nicht. Als müsse man in Paris die Regeln der Koalitionspolitik erklären. Bis eine neue Regierung steht, könnten Monate vergehen. Allein: Macron nutzt den Zeitvorsprung, sehr zum Missfallen auch der nordischen und östlichen EU-Mitglieder.

Macron lässt nichts anbrennen, er treibt seine Agenda voran

Denn seine Vorstellungen haben es in sich. Geradezu sprachlos war man in Berlin, als am 30. August die Presse ausgewertet wurde und ein Interview des Präsidenten mit der Zeitschrift Le Point auf den Tisch kam, in dem von einem zweiten EU-Budget in bisher nicht vorstellbarer Größe die Rede war. Wie schon bei der französischen Botschafterkonferenz einige Tage zuvor wurde klar: Dieser Präsident lässt nichts anbrennen, er treibt seine Agenda voran - und die hat wenig mit dem zu tun, was Angela Merkel vorschwebt.

Recherchen in Paris und Berlin belegen: Sollte Merkel erneut eine Koalition anführen, werden Deutschland und Frankreich nach der Bundestagswahl nicht als Traumpaar in die Flitterwochen fahren, sondern erhebliche Auseinandersetzungen um Finanzen und Institutionen in Europa austragen. Auch der Umgang mit schwachen oder aufmüpfigen EU-Mitgliedern belastet die vermeintliche deutsch-französische Antriebsachse.

Etatismus, Schulden, die Geschlossenheit aller EU-Mitglieder: Sollte Merkel wiedergewählt werden, wird sie mit Macron einen Strauß auszufechten haben. Die vielen Gespräche seit der Wahl des Präsidenten haben jedenfalls in der Sache nicht viel Annäherung gebracht. Dafür gibt es ein Déjà-vu: Es ist, als wäre Nicolas Sarkozy auferstanden, heißt es in Berlin spöttisch. Dort ist der Ex-Präsident als ungeduldig und pompös in Erinnerung geblieben.

Wo die französische Regierung - oder besser ihr Präsident - mit dickem Pinsel Visionen malt, bemühen sich die Kalligrafen in der Bundesregierung um den feinen Strich. Allein: Im Detail gab es bisher nicht viel zu besprechen. Arbeitsgruppen der Finanzministerien beider Länder haben auch vier Monate nach der Amtsübernahme Macrons nichts vorzuweisen.

Frankreich denkt in großen Linien und Institutionen

Die Bundeskanzlerin und der Präsident pflegen zwar sehr guten Kontakt. Zueinandergefunden haben sie aber nicht. Oder, wie einer der Verhandler sagt: Frankreich denkt in großen Linien und Institutionen. Die Deutschen suchen hingegen das Problem, schauen sich die verschiedenen Lösungswege an und prüfen anschließend, mit welcher Mehrheit sie zum Ziel kommen können. Wer glaubt, dass Merkel ihren Regierungsstil ändert und zur Visionärin mutiert, der wird sich irren.

Mehrmals hat der Präsident schon zum großen Wurf ausgeholt, zuletzt am 7. September in Athen, wo er eine Demokratie-Rede hielt - eine Kopie des letzten großen Auslandsauftritts des früheren US-Präsidenten Barack Obama. Vor der Kulisse der stets eingerüsteten Akropolis baute er ein großes Stützwerk für Europa, ein "Europa, das beschützt", wie der Präsident mit Blick auf die protektionistische und EU-feindliche Linke und Rechte zu Hause in Frankreich immer wieder betont.

Zwei Motive hat sich Macron ausgedacht, die in Berlin freilich Augenrollen auslösen. Erstens: mehr Souveränität - nicht für Frankreich, sondern für die EU. Dahinter verbirgt sich der Wunsch nach mehr Integration bei den Themen Wirtschaft, Währung, Flüchtlinge, Digitales, Klima und Verteidigung. Notfalls will Macron dies auch in einem Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten, die EU würde in Zonen zerfallen. "Selektive Integration", stöhnen sie in Berlin.

Das Ganze verpackt der Präsident, zweitens, in ein Versprechen für mehr Demokratie. Macron hat die Europawahl 2019 vor Augen und will angesichts von Europamüdigkeit eine breite Bürgerdebatte lostreten, organisiert in Konventen, was die deutsche Seite fatal an die 2005 gescheiterten Verfassungsbemühungen für Europa erinnert. Macron hält auch Vertragsänderungen für nicht ausgeschlossen, zumindest hält er die Angst vor der großen EU-Reform für vorgeschoben, dies sei ein Blockadeargument für eine große Vision, wie es in seinem Umfeld heißt. Man werde mit dem Ziel Vertragsänderung starten und sehen, wie weit man komme.

Der Kanzlerin ist diese visionäre Umtriebigkeit suspekt. Ihre Erfahrung lehrt, dass Europa momentan keine Volksabstimmungen über Vertragsänderungen zulässt. Überhaupt ist die deutsche EU-Strategie bodenständig, auf Bewahrung und Stabilisierung angelegt. Größte Sorge bereitet das Spaltungspotenzial, das nach wie vor im Brexit steckt. Außerdem hält Merkel stoisch an einer Gemeinschaftsidee fest, die allen 27 Mitgliedern einen Platz bietet. Als Macron unlängst ein Mehrzonen-Modell für den Euro ins Spiel brachte, konterte sie trocken mit der Frage, ob er sich denn die Euro-Zone ohne Italien vorstellen könne.

Macron treibt auch ein innenpolitisches Motiv

Berlin steht dabei unter Beobachtung der nördlichen und östlichen Mitglieder und muss Äquidistanz wahren. Im Streit um die von Frankreich betriebene Verschärfung der Entsenderichtlinie, die EU-Arbeitsmigranten neue Auflagen macht, ist Merkel Macron entgegengekommen - prompt kam Protest von den östlichen Nachbarn. Diese Zerreißproben zwischen Nordost und Südwest erwarten die Europaexperten in Berlin nun häufiger.

So hat sich die vermeintliche neue Traumkonstellation binnen Monaten als alte Ehe mit den üblichen Hakeleien entpuppt. Der größte Konflikt aber wird sich am Thema Reform der Euro-Zone und Euro-Zonen-Budget entzünden. Macron, so viel ist aus seinen Reden und Interviews ablesbar, will ein Budget für die Euro-Zone mit einer eigenen institutionellen Verankerung, also einer Art Euro-Zonen-Finanzminister. Le Point sagte er, dass für dieses Budget "multiple points", mehrere Prozentpunkte, des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bereitgestellt werden sollten.

Zwei Fragen treiben seitdem die Experten um: Was heißt mehrere? Linguisten rätselten schon, wo "mehrere" beginnt - bei zwei oder bei drei Prozentpunkten? Zur Erinnerung: Das bereits existierende EU-Budget wird mit einem Prozent des BIP aus den nationalen Haushalten gefüttert.

Frage Nummer zwei: Woher soll das Geld kommen, und wofür wird es ausgegeben? Der Verdacht ist nicht ganz unbegründet, dass Macron ein durch Anleihen finanzierter Haushalt vorschwebt - für Berlin die Einführung von Euro-Bonds durch die Hintertür. Unnötig zu erwähnen, dass eine unionsgeführte Bundesregierung dafür nicht zu haben wäre. "Da ist man schnell in Griechenland", sagt ein Experte.

Natürlich treibt Macron auch ein innenpolitisches Motiv. Ende September muss er seinen Haushalt vorlegen, da klafft wohl noch eine Lücke von rund 20 Milliarden Euro. Außerdem wird er die harten Reformen besser verkaufen, wenn er als großer Akteur in Europa wahrgenommen wird, der möglicherweise gar ein neues Budget für Frankreich erschließt. Am Erfolg der Reform hat auch Deutschland Interesse. Denn, so viel ist Merkel und ihren Leuten klar: Wenn Macron innenpolitisch scheitert, können sie alle EU-Pläne vergessen.

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