Machtkampf in der FDP:Warum Brüderles Attacke Rösler nützen könnte

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Der FDP-Bundesvorsitzende Philipp Rösler beim Wahlkampfabschluss in Hannover. (Foto: dpa)

War da was? Einen Tag vor der Niedersachsen-Wahl müht sich die FDP, die gegen den Parteichef gerichteten Sätze Rainer Brüderles zu relativieren. Manche beschimpfen die Presse, andere empören sich über die kaum kaschierte Attacke des Fraktionschefs. Und Philipp Rösler zeigt in Hannover, dass er mit Verve kämpfen kann.

Oliver Das Gupta, Hannover

Bitterkalt ist es, als am Freitagmorgen Philipp Röslers schwarze Dienstlimousine durch die Innenstadt Hannovers rollt. Neben ihm sitzt Hans-Dietrich Genscher, einer seiner Amtsvorgänger als FDP-Vorsitzender und Vizekanzler. Der betagte Ex-Außenminister ist kurzfristig nach Hannover gekommen, um zu helfen. Keine Rede, kein Riesen-Tamtam. Nur Fototermin, zehn, zwanzig Minuten posieren mit Rösler und Funktionären vor vielen Kameras.

Kurz vorher trat Rainer Brüderle in der ARD auf und sorgte für einen Paukenschlag. Ja, er stehe hinter Parteichef Rösler. Aber man sollte den für Mai angesetzten Parteitag vorziehen, meinte der Chef der Bundestagsfraktion. Im Februar oder März, so Brüderle, könnte man das Spitzenpersonal neu wählen. Ob er, der nach außen bislang stets Loyalität bekundete, Röslers Posten anstrebe? Er diskutiere nicht über "ungelegte Eier", wand sich Brüderle, um zu kaschieren, was nicht zu kaschieren war: Seine Attacke auf den glücklosen Rösler. Eine Breitseite ausgerechnet von ihm, dem Mann, der Rösler politisch beerben könnte. Und das zwei Tage vor der Landtagswahl in Röslers niedersächsischer Heimat, bei der die FDP um den Einzug ins Parlament bangt.

Als und Rösler und Genscher in Hannover aus dem Auto steigen, dürften ihnen Brüderles Aussagen längst bekannt sein. Zumindest Rösler ist ungewöhnlich still, als sie am zentralen FDP-Stand zusammenstehen. Stattdessen referiert Generalsekretär Patrick Döring über die Steueruntaten, die SPD und Grüne angeblich planen. Genscher nimmt ein kleines, gelb-weißes Bonbon mit FDP-Schriftzug und steckt es sich in den Mund. Der Alte hört zu, lächelt, nennt den Landesspitzenkandidaten Stefan Birkner "Zukunftsminister". Als ein Journalist wissen möchte, ob er einen Tipp für Philipp Rösler habe, antwortet Genscher mit einem Tipp an den Rest der Partei: "Niedersachsen ist Rösler", krächzt er, "gewinnt die FDP in Niedersachsen, gewinnt Rösler." Rösler steht daneben und lächelt.

Genschers Botschaft lautet: Röslers Hürde ist Niedersachsen. Reißt er sie, ist er seinen Vorsitz los. Kommt die FDP über fünf Prozent, hat er die Chance weiterzumachen. Das ist nicht neu, das ist seit Monaten parteiintern klar, auch Rösler sprach zuletzt davon. Aber Genschers stärkende Sätze zu diesem Zeitpunkt wirken wie ein Fanal für das, was in den Stunden danach folgt. In der FDP macht sich Verärgerung breit über das Vorpreschen von Rainer Brüderle. Das sei indiskutabel zwei Tage vor einer Wahl, sagt ein Freidemokrat, der nicht gerade ein Rösler-Fan ist. Andere weisen auf die bald 68 Lebensjahre Brüderles hin und sprechen von einer altersbedingten Unkonzentriertheit.

Dass zustimmende Signale für Brüderle von NRW-Landeschef Christian Lindner kamen, bringt manchen Liberalen richtig in Wallung. Ebenso, dass Brüderles Statement zu ähnlichen Äußerungen des berüchtigten Kieler Fraktionschefs Wolfang Kubicki passt, wurmt manchen. Manche unken von einer konzertierten Aktion, die mit den Querschlägen von Entwicklungsminister Dirk Niebel zur Jahreswende begonnen hat.

Warum jetzt, warum nicht die Wahl abwarten? Wer in die Partei derzeit hineinhört, vernimmt in verschiedenen Landesverbänden den einmütigen Tenor: "So etwas hat der Philipp nicht verdient". Selbst der ewige Quertreiber Kubicki kritisierte Brüderle: "Ich verstehe den Vorstoß von Rainer Brüderle nicht, weil wir am Montag im Bundesvorstand über die weitere Arbeitsplanung sprechen", erklärte der schleswig-holsteinische Fraktionsvorsitzende gegenüber Zeit Online.

Erste Stimmen sagen, wenn die Niedersachsen-Wahl für die FDP trotz steigender Umfragewerte schief geht, sei Brüderle mitverantwortlich. Einen Tag vor der Wahl darf sich Philipp Rösler sicherer fühlen als die Monate zuvor - auch dank der Brüderle-Attacke.

Wahlkämpfen in Hannover: Philipp Rösler (rechts) und Hans-Dietrich Genscher. (Foto: Oliver Das Gupta)

Nach außen mühen sich die liberalen Funktionäre, die Äußerungen des Pfälzers herunterzuspielen oder lieber ganz zu schweigen. Stillhalten bis zur Wahl, lautet die Devise, das Ganze nur nicht schlimmer machen. Andere halten brachial dagegen, wie Jürgen Koppelin aus Schleswig-Holstein. Der Bundestagsabgeordnete und Kubicki-Freund warf im Deutschlandfunk der Presse vor, die FDP fertig machen zu wollen: Wenn die Presse mit Blick auf Brüderle nun vom "Dolch im Gewande" und von der "Fiesen Demokratischen Partei" schreibe, sei das "Blödsinn", "übel", ein "schlimmer Zustand des Journalismus", da "arbeiten nur noch Volontäre". Einigen Medienleuten "geht es nur noch darum, der FDP zu schaden", grollte Koppelin. Dass besonders scharfe Kritik an Brüderle ausgerechnet von konservativen Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Welt kam, ließ er unerwähnt.

Philipp Rösler selbst lässt sich den Wirbel nicht anmerken. Als er am Freitag seine Wahlkampftour in Hannover und dem Umland absolviert, besucht er ein Kinderkrankenhaus, schüttelt viele Hände und nimmt sich Zeit, Schülern wie Rentnern Wahl-Flyer zu signieren. Stoisch lächelt er, stoisch wiegelt er Fragen nach Brüderle ab. Wie es ihm so gehe? "Super!", sagt Rösler und strahlt. "Wollen Sie auch ein Autogramm?" Am Abend tritt er bei der Abschlussveranstaltung der Liberalen auf, in einer hohen geziegelten Halle, in der einst die Kavallerie des Königs von Hannover zu Hause war. Ein paar Hundert Menschen drängen sich dort, viele davon sind Journalisten und Kameraleute. Die Stimmung ist tatsächlich gut. Döring und Birkner reden, ebenso Bundesjustizministerin und FDP-Vize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Als Rösler aufsteht und zum Pult geht, ist der Jubel am lautesten. Manche Liberale halten Rösler für einen Redner, dem oft das Feuer fehlt. Der witzig an den falschen Stellen ist, der zu abstrakt und sophisticated formuliert. Sie vermissen bei ihm, dass er nicht zuspitzt wie Guido Westerwelle, dass er weniger poltert als Brüderle. An diesem Abend sind Elemente von beiden in Röslers Rhetorik und Inhalt zu finden. Formeln wie "lohnende Leistung" und "mehr Brutto vom Netto".

Vor allem aber zeigt sich bei Rösler das kostbare Gut eines Politikers: Glaubwürdigkeit. Stolz könne die FDP in Niedersachsen sein auf das, was sie in zehn Jahren in der schwarz-gelben Koalition erreicht haben, "stolz auf alles, was wir gemeinsam geschaffen haben". Rösler wirkt in diesen Minuten nicht wie ein Parteivorsitzender auf Abruf. Da steht einer, der nicht aufgegeben hat, sondern mit Verve kämpft.

Am Ende holt Rösler alle auf die Bühne, Birkner, die Justizministerin, Direktkandidaten. "Standing on the right side", donnert es aus den Boxen. Der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland klatscht im Takt, immer wieder johlt er. Die anwesenden Liberalen sind nun froh, viele trinken noch ein Glas Wein, als Rösler schon längst weg ist. Der Optimismus für die Wahl ist greifbar. Mit "sechs Prozent plus" rechnet Spitzenkandidat Birkner, manche seiner Parteifreunde träumen sogar von einer Sieben vor dem Komma.

Diskutiert wird auch über Brüderle. Viele empfinden es als zutiefst ungerecht, wie Rösler seit der Übernahme des Parteivorsitzes behandelt wird, die Rede ist davon, dass er "eingezwängt" sei. Wie gewinnend und leidenschaftlich Philipp Rösler sei, habe man gerade erleben können, sagt ein Liberaler: "So kann Philipp sein, wenn man ihn lässt."

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