Krisenpolitik der Bundeskanzlerin:Merkel auf Frontalkurs

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In den Krisen Europas hat Angela Merkel politische Führung übernommen - endlich. (Foto: AFP)

Griechenland taumelt, in der Ukraine herrscht Krieg: Die beiden Krisen beherrschen die europäische Politik. Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt die Bedrohungen ernst - und übernimmt endlich politische Führung.

Gastbeitrag von Joschka Fischer

In den vergangenen zwei Wochen sind die beiden Krisen Europas - die in der Ukraine und die in Griechenland - weiter eskaliert. In beiden Fällen standen Deutschland und seine Kanzlerin Angela Merkel in der Mitte der Versuche, die Konflikte diplomatisch zu lösen. Das ist eine neue Rolle für Deutschland, eine Rolle, an die es sich noch nicht gewöhnt hat.

Der jüngste Versuch, den Krieg in der Ukraine mit diplomatischen Mitteln zu stoppen, hatte eine noch kürzere Überlebenszeit als der erste Versuch vom vergangenen September. Die Übereinkunft in Minsk erkannte de facto an, dass die Ukraine bereits mit militärischen Mitteln geteilt worden ist.

Putin zeigt nur Geringschätzung für Europa

Wo genau die trennende Linie in dem Land verläuft, bleibt unklar, denn der russische Präsident Wladimir Putin könnte immer noch versuchen, den strategischen Seehafen Mariupol am Schwarzen Meer zu erobern und den Kreml so in die Lage versetzen, eine Landbrücke zwischen Russland selbst und der Halbinsel Krim zu schaffen. Mehr noch, die Einnahme von Mariupol würde die Option offenhalten, den Süden der Ukraine mitsamt der Stadt Odessa zu erobern und die russische Kontrolle bis nach Transnistrien auszudehnen, Russlands illegaler Enklave in Moldawien.

Durch den permanenten Einsatz militärischer Gewalt hat Putin das Hauptziel von Russlands Politik erreicht: Kontrolle der Ostukraine und anhaltende Destabilisierung des Landes als Ganzes. Minsk II spiegelt dabei nur die tatsächlichen Verhältnisse auf den Schlachtfeldern der Ukraine. Die Frage bleibt jedoch, ob es nicht klüger gewesen wäre, wenn die einzige Macht, die Wladimir Putin ernst nimmt, die Vereinigten Staaten, die Verhandlungen geführt hätte. Angesicht der Geringschätzung, die Putin für Europa zeigt, wird dies früher oder später sowieso unvermeidbar werden.

Trotz aller Risiken bleibt es wichtig, dass Deutschland und Frankreich in Abstimmung mit der EU und den USA diesen diplomatischen Versuch der Konfliktentschärfung unternommen haben. Obwohl Minsk II die begrenzte Durchsetzungskraft Europas offenbarte, bestätigte der Versuch doch auch, dass die Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland unverzichtbar ist, und wie sehr sich Deutschlands Rolle innerhalb der EU geändert hat.

Bundeskanzlerin Merkel setzt sich mit diesem Wandel auseinander. Ihre zehn Jahre im Amt werden im Allgemeinen als neues deutsches "Biedermeier" charakterisiert. Die Sonne schien über Deutschland und seine Wirtschaft, und Merkel betrachtete es als ihre vornehmste Aufgabe, den gefühlten Wohlstand der Bürger nicht durch Politik zu stören. Doch Deutschlands neue Rolle in Europa hat Merkels Neo-Biedermeier brutal beendet. Sie definiert ihre Politik nicht mehr als einen Weg der "kleinen Schritte", sie nimmt stattdessen strategische Bedrohungen ernst und geht sie frontal an.

Joschka Fischer, 66, war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und mehr als 20 Jahre lang führender Politiker der Grünen. (Foto: Getty Images)

Das trifft auch auf die griechische Krise zu, in der Merkel - entgegen ihrem Image in Südeuropa - sich nicht hinter die Falken in ihrer Partei und ihrer Regierung gestellt hat. Tatsächlich scheint sich Merkel der unkontrollierbaren Risiken eines griechischen Ausstiegs aus dem Euro wohl bewusst zu sein. Trotzdem bleibt abzuwarten, ob sie die Entschlossenheit aufbringen kann, die verfehlte Austeritäts-Politik zu revidieren, die man bisher Griechenland verordnet hat.

Ohne eine Revision mit dem Ziel der Wachstumsförderung wird Europa bedrohlich schwach bleiben, sowohl nach innen, als auch nach außen. Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine sind das düstere Aussichten, schließlich sind innere Schwäche und äußere Bedrohung direkt miteinander verbunden.

Griechenland hat gezeigt, dass die Euro-Krise weniger eine Krise der Finanzen als vielmehr eine der Souveränität ist. Mit der jüngsten Wahl der austeritätsfeindlichen Syriza-Partei lehnten sich die griechischen Wähler auf gegen die von außen ausgeübte Kontrolle über ihr Land durch die "Troika" (die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds), oder auch durch Deutschland oder irgendjemand anderem.

Die Europäische Währungsunion funktioniert nicht

Allerdings - wenn Griechenland vor dem Bankrott gerettet wird, dann hat es das ausschließlich dem Geld ausländischer Steuerzahler zu danken. Und es wird fast unmöglich sein, Europas Steuerzahler und deren Regierungen davon zu überzeugen, dass sie weitere Milliarden Euros zur Verfügung stellen ohne verlässliche Garantien und die notwendigen Reformen.

Der Konflikt um Griechenland zeigt, dass die Europäische Währungsunion nicht funktioniert, weil die demokratisch legitimierte Souveränität des einen Landes gegen die demokratisch legitimierte Souveränität des anderen steht. Nationalstaat und Währungsunion vertragen sich eben nicht gut. Aber es nicht schwer zu erkennen, dass bei einem "Grexit", sollte es tatsächlich zu diesem Schritt kommen, der einzige geopolitische Gewinner Russland wäre, während in Europa jedermann verlieren würde.

Während die geopolitischen Risiken in der deutschen Debatte bisher kaum vorkommen, überwiegen sie bei Weitem das innenpolitische Risiko, das darin liegt, die deutsche Öffentlichkeit von der neuen Rolle zu überzeugen. Den Deutschen sollte man sagen: Griechenland wird in der Euro-Zone bleiben, und die Bewahrung dieser Euro-Zone wird weitere Schritte der Integration notwendig machen, einschließlich Transfers und der Vergemeinschaftung von Schulden, wenn denn die geeigneten Institutionen dafür eingerichtet werden können.

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So ein Schritt verlangt Mut, aber die Alternativen - Fortsetzung der Krise in der Euro-Zone oder die Rückkehr zu einem System von Nationalstaaten - sind viel weniger attraktiv. (Deutschland hat eine neue national-konservative Partei, die AfD, deren Führer das erklärte Ziel verfolgen, zu einer Politik wie vor 1914 zurückzukehren). Angesichts der dramatischen globalen Umbrüche und der direkten militärischen Bedrohung Europas durch Wladimir Putins Russland sind diese Alternativen in Wirklichkeit gar keine, und das griechische Problem macht sich im Vergleich unbedeutend aus.

Merkel und der französische Präsident François Hollande sollten die Initiative ergreifen und endlich die Euro-Zone auf solide Beine stellen. Deutschland muss seinen geliebten Geldbeutel etwas öffnen, Frankreich muss etwas von seiner wertvollen politischen Souveränität opfern. Die Alternative wäre, tatenlos dazustehen und zuzusehen, wie Europas Nationalisten stärker werden, während das Projekt der europäischen Integration trotz sechs Jahrzehnten Erfolgs immer näher dem Abgrund entgegen taumelt.

© SZ vom 16.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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