Koranverbrennungen in Afghanistan:Religionsrat unterstellt US-Soldaten Vorsatz

Lesezeit: 2 min

US-Präsident Obama beteuert, die Koranverbrennungen in Afghanistan seien unbeabsichtigt geschehen. Ein afghanisches Untersuchungsgremium widerspricht - und verweist auf die hohe Anzahl der zerstörten Bücher.

Entgegen amerikanischen Regierungsangaben sind die Koranverbrennungen durch US-Soldaten in Afghanistan nach einer Untersuchung des Religionsrats vorsätzlich geschehen. Die Darstellung der US-Regierung, es habe sich um ein Versehen gehandelt, sei "nicht hinnehmbar", sagte Ratsmitglied Maulawi Chalikdad der Nachrichtenagentur dpa in Kabul.

Chalikdad war Mitglied einer Untersuchungskommission aus Vertretern des Religionsministeriums und des Ulema-Rats. Sie ist eine von mindestens drei Kommissionen unterschiedlicher Zusammensetzung, die den Vorfall untersucht hat. Chalikdad sagte: "Unsere Untersuchung deutet darauf hin, dass es beabsichtigt war."

Ein afghanischer Armeeoffizier auf der US-Basis Bagram habe sich zuvor bei den US-Soldaten erkundigt, was mit den religiösen Schriften geschehen solle. Ihm sei gesagt worden, sie würden in einen Container gebracht und dort gelagert. Stattdessen hätten die Amerikaner die Bücher ins Feuer geworfen.

Die Koranverbrennung vor zwei Wochen hatte tagelange Unruhen im Land ausgelöst, bei denen mindestens 30 Demonstranten getötet wurden. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt. Die Vereinten Nationen hatten Disziplinarverfahren gegen die Verantwortlichen der der Tat gefordert.

Auch wegen der schieren Menge der Bücher sei ein Versehen unglaubwürdig, sagte Chalikdad. "Wenn sie ein oder zwei Exemplare verbrannt hätten, dann hätten wir sagen können, es hätte ein Versehen sein können." Afghanische Mitarbeiter auf der Basis hätten 216 Bücher aus den Flammen gerettet, darunter 48 Koran-Exemplare. Unklar sei, wie viele Bücher zuvor verbrannt worden seien.

Die Amerikaner hätten den Verdacht gehabt, Häftlinge hätten sich mit Botschaften, die sie in die Bücher schrieben, untereinander ausgetauscht oder auf diesem Weg Nachrichten der Taliban empfangen, sagte Chalikdad. Bei der Untersuchung in Bagram habe seine Kommission aber keine Hinweise darauf erhalten, dass der Verdacht begründet gewesen sei.

De Maizière bei Bundeswehr in Afghanistan

Aussortierte Bücher seien entweder gar nicht oder mit harmlosen Nachrichten beschriftet gewesen, etwa mit Hinweisen auf Textstellen in der jeweiligen Schrift. "Es gab keine geheimen oder politischen Botschaften, nichts, wovor man Angst haben müsste."

Chalikdad sagte, die Entschuldigung von US-Präsident Barack Obama wegen des Vorfalls sei nicht ausreichend. Es habe sich um ein Verbrechen gehandelt, das nicht mit einer Entschuldigung aus der Welt geräumt werden könne. Die Verantwortlichen müssten vor Gericht gestellt und bestraft werden. Seine Kommission habe Präsident Hamid Karsai und das Parlament über ihr Untersuchungsergebnis unterrichtet.

Der Religionsrat gilt als mächtig - und forciert eine konservative Politik. So will das Gremium in der Verfassung verbrieften Frauenrechte weiter einschränken: Er schlug der Regierung vor, Frauen zu untersagen, ohne enge männliche Verwandte öffentliche Transportmittel zu nutzen. Frauen sollten zudem nicht mehr in gemischten Büros mit Männern zusammenarbeiten dürfen, die nicht der unmittelbaren Familie angehörten. Die vom Ulema-Rat angestrebten Verbote wecken Erinnerungen an das Ende 2001 gestürzte Taliban-Regime. Das untersagte Frauen, ohne männliche Verwandte das Haus zu verlassen.

Unterdessen ist Verteidigungsminister Thomas de Maizière zu einem nicht angekündigten Besuch bei der Bundeswehr im Norden Afghanistans eingetroffen. Einer Mitteilung der Bundeswehr zufolge informierte sich de Maizière in zwei Außenposten in der Provinz Baghlan südlich von Kundus über die Sicherheitslage.

Wenige Stunden vor dem Besuch wurde in der Region eine deutsche Patrouille beschossen. Dabei seien jedoch keine Soldaten zu Schaden gekommen, teilte die Bundeswehr mit. In Baghlan habe der Minister auch mit Soldaten des Ausbildungs- und Schutzbataillons über die Einsatzbedingungen gesprochen. Zuvor war de Maizière nach Bundeswehrangaben auf dem Luftwaffenstützpunkt Termes in Usbekistan mit dem neuen Kommandeur der Internationalen Schutztruppe Isaf für Nordafghanistan, Bundeswehr-Generalmajor Erich Pfeffer, zusammengetroffen.

Wie ein Sprecher des Verteidigungsministerium betonte, war die Reise schon seit längerer Zeit geplant und keine Krisenvisite nach den jüngsten Unruhen in Afghanistan. Nach den Koranverbrennungen hatte es auch an mehreren Bundeswehr-Standorten Demonstrationen gegeben. Aus Angst vor Übergriffen räumten daraufhin deutsche Soldaten vorzeitig ihren Stützpunkt in der Stadt Talokan.

© AFP/dpa/gal/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: