Proteste gegen Koranverbrennung in Afghanistan:Bundeswehr gibt Stützpunkt vorzeitig auf

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Wütende Demonstranten, fliegende Steine - angesichts der gewaltsamen Proteste in Afghanistan hat die Bundeswehr ihre Soldaten aus einem Lager im Norden des Landes vorzeitig abgezogen. Die Wut in der Bevölkerung über die Verbrennung von Koran-Ausgaben auf einem US-Stützpunkt hält an. Nach den Freitagsgebeten werden landesweit schwere Ausschreitungen befürchtet.

Nach den schweren Unruhen der vergangenen Tage sind am Freitag in Afghanistan erneut zahlreiche Menschen wegen der Verbrennung von Koran-Ausgaben auf die Straße gegangen. In Kabul zogen Hunderte zum Präsidentenpalast und skandierten "Tod für Amerika". Auch in anderen Provinzen des Landes kam es wieder zu Demonstrationen - unter anderem in Kundus und Baghlan, wo die Bundeswehr das Kommando über die Isaf-Truppen hat. Bislang blieben die Proteste friedlich. Nato-Kommandeur John Allen rief die Afghanen zu Geduld und Zurückhaltung auf.

Deutsche Bundeswehrsoldaten im Jahr 2010 bei einem Appell in ihrem Stützpunkt in Talokan. (Foto: REUTERS)

Die Bundeswehr zog sich wegen der gewaltsamen Proteste vorzeitig aus ihrem Stützpunkt Talokan zurück. Angesichts einer Menschenmenge von 300 Demonstranten vor dem Lager ließ der Kommandeur der Nordregion die dort stationierten Kräfte ins 70 Kilometer entfernte Feldlager Kundus abrücken. Die rund 50 Soldaten verließen am Donnerstag das Lager und nahmen alle Fahrzeuge, Waffen und Munition mit, wie ein Bundeswehrsprecher am Freitag sagte. Ein ZDF-Reporter berichtete, das Lager sei mit Steinen beworfen worden. Der relativ kleine Komplex sei schwierig zu sichern, weil er mitten in der Stadt liegt.

Der Abzug sei eine "reine Vorsichtsmaßnahme" gewesen, sagte ein Bundeswehrsprecher. Bereits am 15. Februar sei der militärische Auftrag dieser Außenstelle des Regionalen Wiederaufbauteams Kundus erfüllt gewesen. Bis Ende März sollte das Lager ohnehin geräumt werden. Der vorzeitige Abzug der Kräfte dürfte den Rückbau jedoch verzögern. Unklar sei, ob die Bundeswehr in das Lager zurückkehren werde, etwa, um dort verbliebenes Material abzuhole. Das werde "lageabhängig" entschieden. Das Lager in der 200.000-Einwohner-Stadt wird einstweilen von afghanischen Wachen gesichert.

Bereits im vergangenen Frühjahr war die Hauptstadt der Provinz Tachar zweimal in die Schlagzeilen geraten. Bei einem Angriff von Demonstranten auf das Camp wurden im Mai mehrere Menschen erschossen. Keine zwei Wochen später wurden bei einem Anschlag auf den Gouverneurspalast von Talokan unter anderen der Polizeichef für Nordafghanistan und zwei Bundeswehrsoldaten getötet. Der Bundeswehr-Kommandeur für Nordafghanistan, Generalmajor Markus Kneip, wurde verletzt.

Gingrich kritisiert Entschuldigung der USA

Am Donnerstag waren bei gewalttätigen Protesten mindestens acht Menschen getötet worden. Darunter waren neben sechs Demonstranten auch zwei Soldaten der Internationalen Schutztruppe Isaf, die ein Angehöriger der afghanischen Armee erschoss. Bereits am Mittwoch waren mehrere Demonstranten in Afghanistan ums Leben gekommen. Die Taliban schworen Rache und riefen Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte zur Fahnenflucht auf.

US-Präsident Barack Obama entschuldigte sich für die unbedachte Koranschändung. Der republikanische US-Präsidentschaftsbewerber Newt Gingrich kritisierte unterdessen die Entschuldigung der US-Regierung. Afghanistan verdiene dies nicht, erklärte Gingrich am Donnerstag auf einer Wahlkampfveranstaltung. Vielmehr schulde umgekehrt Karsai den USA eine Entschuldigung.

Die Isaf teilte mit, ein Team aus Isaf-Angehörigen und Vertretern der afghanischen Regierung habe inzwischen das Gefängnis auf dem Stützpunkt Bagram untersucht, um die Umstände der Koranverbrennung zu prüfen. Die Koran-Exemplare, die entsorgt werden sollten, waren dort Häftlingen zur Verfügung gestellt worden. Zwei afghanische Untersuchungskommissionen mit Regierungsvertretern, Geistlichen und Abgeordneten verurteilten die "beleidigende und schändliche Tat der Koranverbrennung".

Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) verurteilte die Koranverbrennung und betonte in einer Erklärung, die Tat stehe im Widerspruch zu den gemeinsamen Bemühungen von muslimischen Ländern und internationaler Gemeinschaft, Intoleranz und religiösen Hass zu bekämpfen. Zugleich begrüßte die Organisation, der 57 Staaten angehören, die Entschuldigungen der Isaf und der USA.

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/sebi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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