Unruhen nach Koranverbrennung:Mehrere Tote bei Bombenanschlag auf afghanischen Flughafen

Die Taliban sprechen von einer Vergeltungsaktion für die Koranverbrennung durch US-Soldaten: Bei einem Autobomben-Anschlag auf den Flughafen von Dschalalabad nahe einer Militärbasis sind mindestens neun Menschen getötet worden - darunter auch Zivilisten.

Seit Tagen hält die Wut über die Koranverbrennung durch US-Soldaten an. Jetzt kam es zu einem Selbstmordanschlag auf einen NATO-Militärstützpunkt im Osten Afghanistans, neun Menschen starben am Flughafen Dschalalabad, der Hauptstadt der Provinz Nangarhar: sechs Zivilisten, zwei Wachleute und ein afghanischer Soldat.

Laut Polizei sprengte sich vor dem Haupteingang des Flughafens ein Selbstmordattentäter mit seinem Auto in die Luft. Ein Sprecher der NATO-geführten ISAF-Truppe sagte, Gebäude der ISAF seien nicht getroffen worden. Die Militärallianz unterhält auf dem Flughafen einen ihrer wichtigsten Luftwaffenstützpunkte.

Die Taliban bekannten sich zu der Tat und erklärten, es handle sich um eine Vergeltungsaktion wegen der Koranverbrennung durch US-Soldaten. "Die ausländischen Truppen haben unsere Religion beleidigt und diese Attacke war die Rache", sagte Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid der Nachrichtenagentur AFP.

Ein Sprecher der Internationalen Schutztruppe Isaf sagte, drei ausländische und fünf afghanische Soldaten sowie fünf Wachmänner seien verwundet worden. Der Flughafen der Hauptstadt der Provinz Nangarhar wird zivil und militärisch genutzt. Er war in der Vergangenheit bereits mehrfach Ziel von Taliban-Angriffen.

Außerdem behaupteten die Taliban, sie hätten die Nahrungsmittel für die im Land stationierten Nato-Soldaten vergiftet. In Früchten und Kaffee seien auf einem Stützpunkt in der östlichen Provinz Nangarhar "Spuren von Bleichmittel" entdeckt worden, sagte ein Isaf-Sprecher der Nachrichtenagentur AFP. In der dortigen Küche arbeiteten Nato-Angehörige, Afghanen und Mitarbeiter eines Drittstaats. "Es gab keine Schäden", sagte der Sprecher. Der Vorfall werde untersucht. Die Taliban erklärten, ein afghanischer Koch habe die Lebensmittel vergiftet.

Die Vereinten Nationen zogen wegen der Angriffe von Demonstranten auf ein Büro ihre internationalen Mitarbeiter vorübergehend aus der afghanischen Provinz Kundus ab. Ein Mob hatte am Samstag versucht, das UN-Büro sowie das Polizeihauptquartier in Kundus zu stürmen. Dabei wurde zwar kein UN-Mitarbeiter verletzt, aber es gab Tote aufseiten der Demonstranten.

Der Pentagon-Sprecher George Little sagte, US-Verteidigungsminister Leon Panetta und Generalstabschef Martin Dempsey seien trotz der tödlichen Unruhen in Afghanistan wegen der Koran-Verbrennung der Auffassung, dass die "Grundlagen unserer Strategie bleiben". Die USA träten "unerschütterlich" dafür ein, bis Ende 2014 den afghanischen Sicherheitskräften die Kommandogewalt zu übergeben.

Angesichts der Gewalt sagten der afghanische Verteidigungsminister und der afghanische Innenminister eine geplante USA-Reise ab. Dies teilte das Pentagon mit. Panetta wollte die beiden Minister aus Kabul ursprünglich am Donnerstag empfangen.

Wegen der unbedachten Verbrennung von Koran-Exemplaren durch US-Soldaten kommt es in Afghanistan seit Tagen zu schweren Ausschreitungen. Die Unruhen hatten am Dienstag begonnen, nachdem Afghanen verbrannte Reste des Korans auf dem US-Stützpunkt Bagram, etwa 60 Kilometer von Kabul, gefunden hatten. Der Koran ist im Islam heilig. Das Buch zu beschädigen, gilt als eines der schlimmsten Vergehen. Mehr als 30 Menschen sind im Zuge der Gewalttätigkeiten getötet worden.

Am Wochenende zog die Bundesregierung ihre Berater aus den Behörden in Kabul vorerst ab. Es handele sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme, teilte Entwicklungsminister Dirk Niebel am Sonntag in Berlin mit. Der Schritt war eine Reaktion auf die Eskalation der Gewalt bei den Protesten gegen die Koranverbrennung: Im Kabuler Innenministerium waren am Samstag zwei US-Militärberater erschossen worden.

"Die Sicherheit unserer Experten vor Ort hat oberste Priorität", sagte Niebel. Dennoch stehe man fest zum Engagement in Afghanistan. "Sobald sich die Lage wieder beruhigt hat, werden die betroffenen Mitarbeiter ihre Arbeit selbstverständlich wieder aufnehmen", so der Minister weiter. Nach Ministeriumsangaben sind insgesamt 2000 Entwicklungsexperten in deutschem Auftrag in Afghanistan im Einsatz.

Vor der Bundesregierung hatte bereits die Isaf ihre Mitarbeiter aus den Ministerien in und um Kabul abgezogen. Auch Frankreich kündigte entsprechende Schritte an.

Am Samstag schoss ein afghanischer Polizeibeamter im hochgesicherten Kontrollraum des Innenministeriums im Herzen von Kabul zwei amerikanischen Offizieren aus nächster Nähe in den Kopf und tötete beide. Die beiden Amerikaner berieten die afghanische Regierung. Der Täter, der bereits einige Zeit für das Ministerium arbeitete, soll sich nach wie vor auf der Flucht befinden.

US-Präsident Barack Obama drückte in einem Telefonat mit Isaf-Kommandeur General John Allen sein Bedauern über den Tod der beiden US-Berater aus, wie das Weiße Haus am Samstag mitteilte. Auch am Sonntag kamen wieder zwei Menschen ums Leben, als eine aufgebrachte Menge in der nördlichen Provinz Kundus ein Isaf-Lager stürmen wollte. Wie der stellvertretende Polizeichef der Provinz, Sayed Sarwar Hussaini, mitteilte, gingen im Bezirk Imam Saheb rund 20.000 Menschen gegen die Koranverbrennung auf die Straße. Dabei hätten Demonstranten auch Handgranaten in das Lager geworfen. Sechs US-Soldaten und 15 afghanische Polizisten seien verletzt worden.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai forderte die Bestrafung der Verantwortlichen der Koranverbrennung. "Im Namen des afghanischen Volkes und der gesamten islamischen Welt rufen wir die US-Regierung dazu auf, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen", sagte er in einer Fernsehansprache. Gleichzeitig rief er seine Landsleute erneut zu Zurückhaltung auf.

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