Filmfest München:Stürmt die Kinos

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Regisseur Klaus Lemke mit Schauspielerin Judith Paus bei der Eröffnung des Filmfests. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Das 35. Filmfest München findet vom 22. Juni bis 1. Juli statt.
  • Nähere Informationen zum Programm finden Sie hier.

Von Josef Grübl

Buh oder Bäm? Das ist beim diesjährigen Filmfest die entscheidende Frage: Während die Festivalchefin Diana Iljine im Filmfest-Magazin den Kampfgeist der Filmemacher und den Aufbruch der Jugend feiert ("Bäm!"), wird andernorts kräftig gebuht. Beim Festival in Cannes etwa, wo es vor wenigen Wochen zu regelrechten Buh-Gewittern kam. Das an sich ist noch nichts Neues, die Zuschauer bekunden ihre Enttäuschung über schlechte Filme eben genauso deutlich wie ihre Begeisterung für gute.

Neu in Cannes war allerdings, dass nicht erst nach der Vorstellung gebuht wurde, sondern schon in den ersten Minuten - genauer gesagt während des Vorspanns, als das Netflix-Logo erschien: Gleich zwei Filme des weltweit operierenden Streaming-Dienstes hatten es in den Wettbewerb geschafft. Zwei Filme also, die außerhalb von Cannes nie auf der großen Leinwand gezeigt werden und die sich das Publikum auf Laptops, Tablets oder Smartphones ansehen sollen. Darüber erregten sich Zuschauer, Journalisten und der Jurypräsident Pedro Almodóvar gleichermaßen, Kinofilme gehören ins Kino und nirgendwo anders hin, so ihr Argument.

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Dass es auf dem Filmfest ebenfalls zu Vorspann-Radau kommt, ist eher unwahrscheinlich, was aber weniger mit dem gemütlicheren Charakter der Bayern zu tun haben dürfte: Iljine und ihr Team haben zwar rekordverdächtig viele Filme aus Cannes mitgebracht, die zwei betreffenden Netflix-Filme aber nicht. Doch auch sonst wäre die Reaktion der Filmfestgäste eine andere: In München laufen seit Jahren Produktionen, die nicht fürs Kino gemacht sind. Die Reihe "Neues deutsches Fernsehen" ist eine der beliebtesten und oft ausverkauft, auch auf den weltweiten Serien-Boom hat man in München früher als andere Festivals reagiert. Das Filmfest als Trendsetter: Bäm!

Oder doch eher Buh? Denn ausgerechnet bei den Serien droht jetzt Schmach: Mit dem Ausstieg des Hauptsponsors Sky droht nicht nur ein Loch in der Festivalkasse, sondern ist auch die wichtigste Serienbezugsquelle versiegt. Während der Pay-TV-Riese aus Unterföhring in der Vergangenheit die Vorzeigeserien seiner Vertragspartner aus Hollywood bereitstellte, stehen dieses Jahr vergleichsweise unbekannte Produktionen wie die französisch-britische Edel-Soap The Collection auf dem Programm. Dafür rüsten die Deutschen auf: Der preisgekrönte Kinoregisseur Hans-Christian Schmid präsentiert seine erste Fernsehserie, Das Verschwinden mit Julia Jentsch in der Hauptrolle läuft als Weltpremiere.

Premieren gibt es auf dem Filmfest viele, die der deutschen Jugendbuch-Verfilmung Tigermilch ist Diana Iljine aber besonders wichtig: Mit der Geschichte über zwei Teenagermädchen, die in Ringelstrümpfen und mit selbstgemixten Drinks in der Hand durch den Sommer ziehen, wolle man ein Publikum ansprechen, das bisher vernachlässigt wurde.

"Youth on the Move" lautet eines der großen Themen

Die Berlinale, das nach wie vor größte und bedeutendste Filmfestival Deutschlands, hat seit Jahren eine eigene Sektion speziell für Teenager ("Generation 14plus"), in München gab es für sie bisher kaum etwas zu sehen: Für das Programm des Kinderfilmfests fühlten sie sich zu alt, die meisten Produktionen der anderen Reihen blieben ihnen aufgrund der strengen Altersfreigaben auf Festivals verwehrt. "Das Live-Erlebnis, die Begegnung mit Stars und anderen Fans, dabei zu sein, wenn ein Film zum allerersten Mal und auf einer großen Leinwand gezeigt wird", das interessiere doch auch junge Zuschauer, so die Hoffnung der Festivalchefin.

Überhaupt, die Jugend: Um sie dreht sich dieses Jahr ziemlich viel, wenn schon nicht im Kinosaal, dann wenigstens auf der Leinwand. "Youth on the Move" lautet eines der großen Themen in der bunten Wundertüte aus 180 aktuellen Filmen aus 60 Ländern, in vielen dieser Produktionen sind die Protagonisten jung, engagiert - und im Aufbruch. "On the Move" eben. Der italienische Regisseur Roberto de Paolis zum Beispiel erzählt in seinem Drama Cuori puri von einer jungen Liebe unter erschwerten Bedingungen, im griechischen Spielfilm Park dagegen schaffen sich Jugendliche in den Ruinen des Olympischen Dorfes in Athen ihre eigene Welt.

Auch Ava, die 13 Jahre alte Titelheldin des gleichnamigen Jugenddramas von Léa Mysius, lebt nach ihren eigenen Regeln: Sie verbringt den Sommer mit ihrer Mutter am Meer, lässt sich treiben, lockt einen Hund an, nachts küsst sie Jungs. Doch bald wird für sie nichts mehr sein wie es einmal war: Ihre hübschen braunen Augen können immer weniger erkennen, sie erblindet. Deshalb möchte sie etwas erleben, so viel und schnell wie möglich. Ein Fatalismus liegt über diesem Film, doch Ava gibt nicht auf, sie ist in Aufbruchsstimmung. Die Gesellschaft verändert sich, die Alten in ihren halbwegs bequemen Lebenswelten spüren das vielleicht noch nicht so sehr, die Jungen schon eher. In welcher Welt sie einmal leben werden? Filmemacher aus der ganzen Welt versuchen, darauf Antworten zu finden.

Denn sie wissen: Nicht nur die Gesellschaft verändert sich, sondern auch das Kino. Und damit auch die Festivals: Auch sie müssen sich wandeln, sonst werden sie zum Anachronismus. In München hat man darauf reagiert (und wird es weiterhin tun), mit Kooperationen, mit noch mehr Events und Premieren, mit einem umfangreichen Rahmenprogramm und einem größeren Aufgebot an Stars. Für Festivalmacher sind die Zeiten vorbei, in denen sie nur ein paar Kinos angemietet und die Filme aufgeführt haben, die sie kriegen konnten.

Denn selbst das Aufführen ist heute nicht mehr so leicht: In Zeiten des allgegenwärtigen Terrorverdachts herrschen auch bei Kulturgroßveranstaltungen erhöhte Sicherheitsbestimmungen, siehe Manchester, Paris oder Rock am Ring. Beim Festival in Cannes bildeten sich im Mai lange Warteschlangen vor den Kinos, die Kontrollen waren so scharf wie nie. Auch das Filmfest hat aufgerüstet: "Wir geben so viel Geld für Security aus wie nie zuvor", sagte Diana Iljine am Rand der Programmpressekonferenz, mit großen Taschen und Rucksäcken werde niemand mehr in die Kinos gelassen. Das eingangs zitierte "Bäm!" soll schließlich keine andere Bedeutung bekommen - alles andere wäre ein klares Buh.

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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