Kanzlerin auf US-Besuch:Warum Merkel wieder auf Obama zugeht

Lesezeit: 4 min

USA-Besuch: US-Präsident Obama und Kanzlerin Merkel 2011 im Weißen Haus (Foto: dpa)

Ukraine, Freihandelsabkommen, NSA: Angela Merkel absolviert ihren Besuch in Washington auf ihre typisch pragmatische Art. Die Kanzlerin lässt sich in ganz eigener Weise von Interessen und Sympathien leiten - auch im Umgang mit Barack Obama.

Von Nico Fried, Berlin

Gemessen an ihren Vorgängern ist das persönliche Verhältnis zu anderen Staats- oder Regierungschefs für Angela Merkel keine unbedeutende, aber eine nachrangige Kategorie ihrer Außenpolitik. Es gibt Kollegen, mit denen sich die Kanzlerin gut versteht, wie den Inder Manmohan Singh oder den Polen Donald Tusk. Und es gibt Kollegen, mit denen sie es schwieriger findet, wie Israels Benjamin Netanjahu oder Tayyip Erdoğan aus der Türkei. Manchen, wie dem Griechen Antonis Samaras, gelingt es, nach anfänglicher Abneigung ihre Anerkennung zu gewinnen. Bei einigen läuft es andersrum.

Die übrigen Staatenlenker würden auf einer fiktiven Skala von Merkels persönlicher Zuneigung mehr oder weniger an der Markierung für Indifferenz rangieren. Unter ihnen alle aktuellen Chefs aus den G-8-Staaten, also die formal wichtigsten Partner. Und damit auch Barack Obama, der amerikanische Präsident. Die persönliche Distanz zwischen Merkel und Obama ist selbst durch Gesten wie die amerikanische Medal of Honor für die Kanzlerin oder den gemeinsamen Auftritt vor dem Brandenburger Tor nie wirklich überwunden worden. Sie hat aber dem deutsch-amerikanischen Verhältnis auf der politischen Ebene auch nicht geschadet.

Die Leidenschaftslosigkeit, mit der Merkel dem Kandidaten Obama wie auch dem jungen Präsidenten in den ersten Jahren begegnete, verschonte sie später davor, von ihm allzu sehr enttäuscht zu werden. Umgekehrt fand Merkel stets auch Worte der Verteidigung, wenn Obama von allen Seiten kritisiert wurde. Diese nüchterne Betrachtungsweise macht es für Merkel einfacher, nach Belastungen der transatlantischen Beziehungen wieder auf Obama zuzugehen, wenn es politisch notwendig ist. So wie in der Ukraine-Krise.

"Enge Abstimmung" und "großes Einvernehmen" - das sind die Kernbegriffe, die nun fortwährend im Kanzleramt zu hören sind, wenn es um die Politik Deutschlands und der Vereinigten Staaten gegenüber Russland geht. In der Betonung der Harmonie schwingt mit, dass es eben auch eine Menge abzustimmen gibt, weshalb einvernehmliche Ergebnisse schon als Wert an sich betrachtet werden können. Unverkennbar ist, dass die Obama-Regierung, wie zuletzt in der Frage weiterer Sanktionen, immer wieder - auch unter innenpolitischem Druck - auf eine härtere Gangart gegenüber Russland drängt, während die Bundesregierung - auch aus innenpolitischer Rücksichtnahme - eher moderierend bis bremsend auftritt. Dass dann zwei verschiedene Sanktionslisten herauskommen, wird in Berlin damit begründet, dass die amerikanischen Regeln für derartige Strafmaßnahmen der US-Regierung mehr Freiheiten lassen als die Vorgaben der EU. Mit politischen Differenzen habe das nichts zu tun - enge Abstimmung, großes Einvernehmen.

Dank Merkels Telefonaten mit Putin gilt das Kanzleramt als wichtigster Kanal in den Kreml

Dass es bislang gelungen ist, nicht nur 28 Staaten der Europäischen Union mit ihren unterschiedlichen Interessen und Sorgen beisammenzuhalten, sondern auch die EU und die USA, ist deshalb aus der Sicht Merkels schon ein Erfolg. Mit stiller Genugtuung nimmt man in Berlin zudem wahr, dass die USA von der Europäischen Union und - wegen der guten Kontakte nach Moskau - gerade auch von Deutschland mittlerweile mehr erwarten, als noch vor ein paar Monaten in der "Fuck the EU"-Bemerkung der für Europa zuständigen Diplomatin Victoria Nuland zum Ausdruck kam. Das Kanzleramt gilt dank Merkels häufiger Telefonate mit Putin als der wichtigste Kanal in den Kreml. Dass Obama sich für die Kanzlerin nun in Washington vier Stunden Zeit nimmt, wird in Berlin mit leisem Stolz als "freundliche Geste" des Präsidenten bewertet.

Die Ukraine-Krise bringt es zudem mit sich, dass Merkel und Obama gegenüber der Öffentlichkeit einem Thema weniger Beachtung zumessen müssen, das beiden, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen, nicht besonders liegt: die NSA-Affäre. Obama ist um den Eindruck bemüht, dass die Angelegenheit mit seinen Reformvorschlägen für die Geheimdienste erledigt ist. Angeblich lehnte das Weiße Haus nach der Einladung an Merkel ursprünglich eine Pressekonferenz ab, wohl aus Sorge, dass die Fragen der deutschen Medien sich vor allem um die NSA und das Kanzler-Handy drehen würden. Nun, da die Ukraine Vorrang haben dürfte, gibt es doch eine Pressekonferenz.

In kleinerer Runde hörte man die Kanzlerin auch mal motzen

Merkel muss wegen der Entscheidung, Snowden nicht einreisen zu lassen, mit Fragen rechnen. Sie wird versuchen, das mit rechtlichen Argumenten von sich fernzuhalten. Zugleich hat sie sich über das US-Gebaren ohnehin nie so empört wie weite Teile der deutschen Öffentlichkeit. Ihr Verhältnis zu Obama wurde in den Jahren zuvor eher durch Streit um Haushaltsdefizite in der Finanz- und Eurokrise belastet oder durch den Schwenk der US-Regierung in der Libyen-Krise, als Obama die Verbündeten mit seiner Zustimmung zu einem Militäreinsatz überraschte. Darüber hörte man sie in kleiner Runde auch mal motzen.

In der Abhöraffäre hingegen gab sich Merkel meist wie jemand, der mangels Illusionen nicht überrascht werden kann. In ihrer Regierungserklärung am 29. Januar sprach sie zwar von Fragen, die durch die Enthüllungen aufgeworfen worden seien, von Vertrauen, das wieder hergestellt werden müsse, und Gesprächen, die sie mit Nachdruck führen werde. Doch so pflichtgemäß, wie die Kanzlerin die Angelegenheit anfangs hatte untersuchen lassen, so unambitioniert klingen nun die Ansagen aus ihrem Amt, dass mit schnellen Ergebnissen nicht zu rechnen sei.

Hinzu kommt, dass Merkel in einer Mischung aus Politik und Mathematik abwägt, dass es im transatlantischen Verhältnis zu viele Abhängigkeiten, aber eben auch Chancen gibt, als dass ein dauerhafter Knatsch deutschen Interessen diente. Neben den Dauerthemen Nahost, Syrien, Iran und Afghanistan konzentriert sich Merkel auf die Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen von EU und USA. Der Satz, den sie in ihrer Regierungserklärung zu den Forderungen formulierte, diese Gespräche wegen der NSA-Affäre auszusetzen, war ihr eigentliches Bekenntnis zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen: "Trotzhaltungen haben noch nie zum Erfolg geführt."

© SZ vom 02.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: