Jahresbericht von Human Rights Watch:Menschenrechtler kritisieren Sportevents

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Verschiedene NGOs demonstrierten im vergangenen Jahr in Paris gegen Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Olympischen Winterspiele in Sotschi.

(Foto: AFP)
  • Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat ihren Bericht über das Jahr 2014 veröffentlicht.
  • Die Organisation weist auf den Zusammenhang zwischen Mega-Sportereignissen wie Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften und Menschenrechten hin.
  • Besonders das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Fifa sehen sie in der Pflicht, die Verhältnisse in Ländern stärker zu berücksichtigen, die sich um die Events bewerben.
  • Das IOC hat HRW zufolge hier schon wichtige Schritte unternommen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Der Jahresbericht von Human Rights Watch (HRW) ist eine Lektüre des Schreckens. Die akribische Sammlung der Gräueltaten, zu denen es 2014 gekommen ist, erschüttert - angefangen mit den Verbrechen des "Islamischen Staats" bis hin zu den Massenhinrichtungen im mexikanischen Drogenkrieg.

Und immer wieder weist die Organisation in ihrem Bericht auf die Verantwortung westlicher Staaten hin, die diese - wenn auch indirekt - an den Menschenrechtsverletzungen tragen.

Dieses Mal enthält der Bericht aber darüber hinaus noch ein weiteres Kapitel, das vom Thema und von der Zielgruppe her heraussticht: Es geht um internationale Mega-Sportereignisse und den Umgang von Organisationen wie dem Internationalen Olympischen Komitee oder der Fifa mit Ländern, in denen diese ausgerichtet wurden und werden.

Außergewöhnlich ist dieses Kapitel auch deshalb, weil Human Rights Watch nicht nur darauf hinweist, was in der Vergangenheit für Missstände herrschten, sondern auch einen Ausblick gibt auf positive Entwicklungen und die Chancen, die in den Mega-Veranstaltungen für die Menschenrechte liegen. Die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi 2014 könnten hier ein Wendepunkt gewesen sein, schreibt die Amerikanerin Minky Worden von Human Rights Watch. Die Vorbereitungen auf die Spiele waren geprägt von der Ausbeutung ausländischer Arbeiter, die für den Aufbau der neuen Infrastruktur rund um die Stadt angeheuert worden waren, und der Zwangsumsiedlung von Bewohnern Sotschis. Das IOC setzte sich angesichts der massiven Kritik an Russland schließlich für die Arbeiter ein.

Darüber hinaus wurde die Winterolympiade von Medien und teilnehmenden Sportlern dazu genutzt, die Regierung von Wladimir Putin für den Umgang mit Homosexuellen und anderen diskriminierten Minderheiten heftig zu kritisieren. Das IOC änderte danach sogar seine Charta. Die Diskriminierung wegen "sexueller Orientierung" sei nicht vereinbar mit der Teilhabe an der Olympischen Bewegung, heißt es dort nun.

Massiv in die Kritik geraten ist auch der internationale Fußballverband Fifa für die Entscheidung, die Weltmeisterschaft 2022 vom Golfstaat Katar ausrichten zu lassen. Zwar hatte das Land versprochen, die Bedingungen für ausländische Arbeiter zu verbessern, die Stadien errichten sollen. Diese Versprechungen wurden Human Rights Watch zufolge nicht eingehalten. Schon beim Bau der Spielhallen für die derzeit stattfindende Handball-WM sollen Hunderte Arbeiter ums Leben gekommen seien.

Und kürzlich gab es eine heftige Diskussion um ein Spiel des FC Bayern München in Saudi-Arabien gegen Al-Hilal. Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge betonte danach, der Verein verurteile jegliche Diskriminierung und Gewalt sowie jede Form grausamer Bestrafung, die nicht im Einklang mit den Menschenrechten stehe. Er bezog sich auf den Fall des Bloggers Raif Badawi, der zu 1000 Peitschenhieben verurteilt worden war. "Es wäre besser gewesen, das im Rahmen unseres Spieles in Saudi-Arabien deutlich anzusprechen", räumte Rummenigge ein.

Typische Menschenrechtsverletzungen vor Mega-Sportevents

Human Rights Watch identifizierte fünf typische Formen von Menschenrechtsverletzungen:

  • Wiederholt kam es zur Zwangsumsiedelung von Teilen der Bevölkerung, deren Wohnhäuser für neue Sportarenen abgerissen wurden. Bevor 2008 die Olympischen Sommerspiele in Peking stattfanden, waren Tausende Bürger aus ihren Häusern vertrieben worden - wer protestierte, wurde verhaftet.
  • Gastarbeiter errichteten die riesigen olympischen Stadien immer wieder unter lebensgefährlichen Umständen, die Arbeiter wurden ausgebeutet.
  • Kritiker, die vor oder während der Olympischen Spiele in Peking oder Sotschi vor den Folgen für die Umwelt oder die Menschen warnten, wurden verhaftet oder anders zum Schweigen gebracht.
  • Die Pressefreiheit wurde beschnitten, Journalisten bedroht und festgenommen.
  • Die Diskriminierung von Frauen offenbarte sich in manchen Ländern besonders deutlich im Rahmen der Sportveranstaltungen. So sandte Saudi-Arabien 2012 erst nach massiver Kritik durch Menschenrechtler wie Human Rights Watch nicht nur männliche Sportler zur Olympiade in London. Die iranische Regierung verbietet es, beim Frauenfußball und -Volleyball zuzuschauen. Die Fifa hat diesbezüglich noch nicht genügend Einfluss ausgeübt, bemängelt Human Rights Watch.

Erfolge des IOC in der Vergangenheit

Die Menschenrechtler finden auch lobende Worte: In der Vergangenheit half das IOC, Diskriminierung im Sport zu bekämpfen, indem es sich gegen die Apartheid in Südafrika und die Diskriminierung von Frauen in Afghanistan eingesetzt hatte, heißt es in dem Bericht. Selbst die südkoreanische Militärdiktatur hatte es unter Druck gesetzt mit der Drohung, die Spiele 1988 in Seoul abzusagen, wenn keine Wahlen stattfinden würden.

Auch die Reformen, die IOC-Präsident Thomas Bach mit dem Ziel ins Leben gerufen hat, sieht HRW als Zeichen für einen kritischeren Umgang mit Ländern, in denen die Menschenrechte verletzt werden. Aber wie ernst es der Organisation und anderen wie der Fifa oder den Europäischen Olympischen Komitees (EOC) damit wirklich ist, wird sich bereits bald am Umgang mit den Ausrichtern kommender sportlicher Großereignisse messen lassen.

Aserbaidschan etwa veranstaltet in Baku noch dieses Jahr die Europaspiele der EOC. Erst jüngst aber hat die Regierung einige der wichtigsten Fürsprecher der Menschenrechte und Journalisten wie die Regierungskritikerin Khadija Ismayilova ins Gefängnis geworfen.

Bewähren muss sich der Anspruch des IOCs auch nach der Wahl des Austragungsortes für die Olympischen Winterspiele 2022. Es sind nur noch zwei Kandidaten dafür im Rennen: Peking und Almaty in Kasachstan. In beiden Ländern steht die Presse unter Druck. "Peking hat die brutalsten Maßregelungen seit den mit einem Blutbad beendeten Protesten auf dem Tiananmen-Platz 1989 begonnen, steckt Journalisten ins Gefängnis und bricht internationale Vereinbarungen für eine freie Wahl in Hongkong", kritisiert HRW.

In der kasachischen Stadt Almaty, dem möglichen Austragungsort der Winterspiele 2022, würden friedliche Dissidenten regelmäßig verhaftet und die Rechte der Arbeiter missachtet.

"Es ist Zeit, die Spielregeln zu verändern", fordert HRW-Aktivisitin Minky Worden. IOC-Präsident Bach habe mit der "Agenda 2020" Reformen begonnen, die zum ersten Mal die Menschenrechte schützen sollen. "Jetzt ist es Zeit für die Fifa und andere internationale Sportorganisationen, dies ebenfalls zu tun." Ein deutliches Signal wäre es ihr zufolge auch, wenn etwa Saudi-Arabien wegen der Diskriminierung von Frauen von den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro ausgeschlossen würde. Mit dem Ausschluss von Afghanistan unter den Taliban hätte das IOC in der Vergangenheit ein gutes Beispiel gesetzt, sagte sie der FAZ.

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