Frankreich:"Macron reformiert das Land schwindelig"

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Im ersten Jahr seiner Amtszeit hat Frankreichs Präsident viel angepackt und sich damit nicht besonders beliebt gemacht. Claire Demesmay erklärt, wie Emmanuel Macron seine Gegner in Schach hält und welchen Fehler die Deutschen gerade machen.

Interview von Lilith Volkert

Vor einem Jahr, am 7. Mai 2017, wurde Emmanuel Macron zum Präsidenten Frankreichs gewählt. Der damals 39-Jährige setzte sich gegen die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen durch. Zuvor hatte er mit Hilfe seiner Bürgerbewegung "En Marche!" alle Kandidaten der etablierten Parteien aus dem Rennen geworfen. Claire Demesmay leitet das Frankreich-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin.

SZ: Frau Demesmay, derzeit sind nur 44 Prozent der Franzosen mit der Politik von Präsident Macron zufrieden. Fast alle seiner Vorgänger schnitten nach dem ersten Jahr besser ab. Was gibt es an ihm auszusetzen?

Claire Demesmay: Solche Werte sind in Frankreich keineswegs ungewöhnlich. Doch das Besondere bei Macron ist, dass nicht all seine Wähler von seinem Programm überzeugt waren; viele haben ihn auch gewählt, um Marine Le Pen zu verhindern. In seinem ersten Regierungsjahr kam im linken Lager der Eindruck hinzu, dass der Präsident den Sozialstaat zu stark beschneidet. Und das, obwohl er versprochen hatte, dass sich Liberalisierung und soziale Verbesserungen bei seinen Reformen die Waage halten werden. Gut kommt hingegen an, dass sich Macron im Gegensatz zu seinem Vorgänger durchsetzen kann. Er verkörpert Autorität, auch auf der internationalen Bühne. Für die Franzosen ist das eine wichtige Eigenschaft.

Macron legt ein atemberaubendes Tempo vor. Kaum im Amt hat er mit der Reform des Arbeitsrechts begonnen, nach der Sommerpause wurde das Gesetz verabschiedet. Dann ging es mit der Steuer- und der Rentenpolitik weiter.

Das ist Teil seiner Strategie. Macron springt von einem Thema zum nächsten, er reformiert das Land schwindelig. Indem er alle paar Wochen eine neue Reform anpackt, schwächt er den Widerstand gegen einzelne Projekte. Für seine Gegner - etwa Rentner, Studenten oder Mitarbeiter der Eisenbahngesellschaft SNCF - ist es ohnehin schwer, sich zusammenzuschließen, weil sie ganz unterschiedliche Interessen verfolgen. Dadurch, dass er ständig neue Themen angreift, macht Macron es ihnen unmöglich, eine gemeinsame Front gegen ihn zu bilden.

Claire Demesmay leitet bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik das Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen. (Foto: oh)

Macron wollte auch die Art, wie in Frankreich Politik gemacht wird, grundlegend verändern. Hat er dieses Versprechen gehalten?

Zum Teil. Zwar sind überdurchschnittlich viele Abgeordnete und sogar einige Minister politische Quereinsteiger und der Premierminister kommt von den Konservativen. Außerdem befindet sich die gesamte Parteienlandschaft seit der Wahl im Umbruch. Trotzdem werden die wichtigen Fragen noch immer klassisch im Élysée-Palast entschieden - also von Macron.

Seine größte Herausforderung ist es, die Spaltung der französischen Gesellschaft in den Griff zu bekommen. Schafft er das?

Das ist noch nicht entschieden. Bislang ist vor allem die Oberschicht in den Großstädten angetan von Macron. Für die sozial Abgehängten ist er ein "Präsident der Reichen". Sicher ist, dass der Präsident bald wirtschaftliche und soziale Erfolge vorweisen muss, die die Franzosen im Alltag spüren. Allerdings kostet es Zeit, bis etwa neue Stellen geschaffen werden oder die Reform der Ausbildung greift.

Manche Beobachter befürchten, dass Macrons Politik die Gesellschaft weiter spaltet und damit den Boden für Marine Le Pen bereitet.

Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl in vier Jahren kann noch viel passieren. Aber ja, die Gefahr besteht weiterhin, wenn sich die wirtschaftliche Lage bis dahin nicht verbessert. Auch in Bezug auf den Zusammenhalt und die Identität der französischen Gesellschaft in Zeiten der Globalisierung ist die Verunsicherung nicht überwunden.

Emmanuel Macron ist mit sehr ehrgeizigen Plänen für Europa angetreten. Ist die lange Regierungsbildung in Deutschland schuld daran, dass er hier noch nicht viel bewegen konnte?

Ich denke, das liegt eher an dem vollkommen unterschiedlichen Blick, den Paris und Berlin auf die EU haben. Macron wird wie viele Franzosen von dem Gefühl getrieben, dass dringend etwas passieren muss; er fürchtet den Stillstand. Ein "souveränes Europa" ist sein Ziel. Deutsche Politiker hingegen wollen zu viel Bewegung vermeiden: Sie befürchten, dass die Europäische Union durch weitere Reformen destabilisiert wird. Dabei übersehen sie, dass für Macron innen- und europapolitische Reformen untrennbar verbunden sind. Das eine bedingt den Erfolg des anderen und umgekehrt.

In Deutschland scheint Macron bei Politikern unterschiedlichster Parteien beliebt zu sein.

Er dient hier vielen als Projektionsfläche. Jeder pickt sich den Teil heraus, der den eigenen Ansichten entspricht - die Begeisterung für Europa etwa, die knallharten Strukturreformen oder die restriktive Migrationspolitik. Die anderen Bereiche werden ignoriert. Die Deutschen sollten sich bewusst machen, dass der französische Präsident und seine Ziele viel komplexer sind.

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