Hotspots in Libyen:Überraschung aus Paris

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wagt einen Vorstoß in der Flüchtlingspolitik. (Foto: AFP)
  • Präsident Emmanuel Macron kündigt an, wer wolle schon bald "Hotspots" in Nordafrika einrichten lassen.
  • Die EU-Kommission zeigt sich von dem Vorstoß überrascht.
  • Allerdings gab es bereits mehrere Ideen, die in diese Richtung wiesen; auch aus Deutschland.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Die Nachricht, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wolle schon bald "Hotspots" in Nordafrika einrichten, erwischte die EU-Kommission am Donnerstag auf dem falschen Fuß. Auch sie habe das vor 15 Minuten zum ersten Mal gehört, sagte eine Sprecherin am Mittag. Man müsse erst einmal klären, was Macron genau gesagt habe. Abgesprochen war der Vorstoß also offensichtlich nicht.

Die Verwendung des Begriffs Hotspot muss in der Behörde auf Bedenken stoßen. Denn er beschreibt ein Konzept, das die Kommission 2015 speziell für die Bewältigung der Flüchtlingskrise auf europäischem Boden entwickelte. Damit wollte sie verhindern, dass Italien und Griechenland die gelandeten Migranten weiter einfach durchwinkten. Stattdessen sollten alle in Registrierungsstellen auf Inseln oder an der Küste gebracht werden. Dort stellen nationale Behörden mit EU-Hilfe ihre Identität fest, prüfen ihre Schutzbedürftigkeit und schicken sie anschließend entweder in ein anderes EU-Land oder nach Hause.

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Nach großen Anlaufschwierigkeiten funktioniert das nun im Grunde, auch wenn große Probleme bleiben, etwa weil die griechische Asylbürokratie sehr langsam vorankommt und deshalb viele Menschen monatelang in Abschiebelagern warten.

Der Idee, dieses Konzept auch außerhalb der EU anzuwenden, steht die Kommission skeptisch gegenüber, weil sie um die vielfältigen rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten weiß. Das betrifft neben vielem anderen die extraterritoriale Anwendung von EU-Recht. Außerdem müssten die Asylentscheidungen dafür gänzlich europäisiert, also von nationaler in EU-Verantwortung überführt werden - politisch ein gewaltiger Schritt. Ungeklärt ist auch noch immer, wohin in Europa die Schutzbedürftigen gebracht würden.

In den EU-Hauptstädten ist man weniger zimperlich. Die Idee, Lager oder Aufnahmezentren in Drittstaaten zu errichten, wird seit mehr als zehn Jahren von Innen- wie Außenpolitikern aller Couleur vorgebracht. Besonders häufig von Österreichern, aber auch von Innenminister Thomas de Maizière. Eine Art Vorstufe existiert bereits, ein "Informationszentrum" der EU in Niger. Macron fordert nun echte Registrierungsstellen in Libyen und anderen nordafrikanischen Staaten.

Kanzlerin Merkel spricht von "humanitären Korridoren"

Damit ist er keinesfalls isoliert. Das Prinzip dahinter hat EU-Ratspräsident Donald Tusk zuletzt auf dem G-20-Gipfel in Hamburg formuliert: "Unser Ziel sollte es sein, diese Welle wirksam an der Quelle zu stoppen, also in Nordafrika. Das ist die Hauptaufgabe der EU." Wenn man so will, war das auch die Ursprungsidee des EU-Türkei-Abkommens. In den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel geht es darum, "ungeordnete in geordnete Migration zu überführen". Die Afrikaner sollen sich mithin gar nicht erst auf die gefährliche See-Reise nach Europa begeben.

Deshalb will man schon auf afrikanischem Boden sortieren. Die wenigen, die wirklich schutzbedürftig sind - und vielleicht auch einige, die aus "rein wirtschaftlichen" Gründen kommen - würden nach Europa geflogen. Die übrigen müssten zurück in ihre Herkunftsländer. Auf dem EU-Gipfel in Malta im Januar sprach Merkel von "humanitären Korridoren", die es in Afrika zu errichten gelte. Ihr maltesischer Kollege Joseph Muscat sagte der niederländischen Volkskrant am Donnerstag, man müsse verhindern, dass die Migration als unkontrollierte "Invasion" empfunden werde. "Es geht nicht um (Flüchtlings-)Zahlen, sondern um die Methode. Wenn wir wissen, wie viele kommen, und um wen es sich handelt, spielt es keine Rolle, ob es 40 000, 60 000 oder 80 000 sind."

Das mag sich gut anhören, wird in der Praxis aber schwierig. Auch Macron weiß, dass man nicht einfach in ein Land wie Libyen spazieren und eine Registrierungsstelle aufziehen kann. Nach seiner Rede am Donnerstag in Orléans beeilte sich das Präsidialamt hinzuzufügen, dass für die Errichtung solcher Hotspots zunächst die Sicherheitslage ausreichend gut sein müsse. Dies sei derzeit in Libyen nicht der Fall. Macron will sich davon nicht abschrecken lassen: "Wir werden versuchen, es zusammen mit Europa zu machen. Aber Frankreich wird es machen."

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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