Hartz IV:Wie die Jobcenter Arbeitslose in die Insolvenz drängen

Andreas Nahles

Neue, harte Linie: Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) lässt die Jobcenter ausstehende Schulden bei Arbeitslosen rigoros eintreiben.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • Wer der Arbeitsagentur Geld schuldet, darf nicht auf Milde hoffen. Das Bundesarbeitsministerium verbietet in der Regel außergerichtliche Einigungen über die Ausstände.
  • Seit Jahresbeginn hat die Behörde sogar einen eigenen Inkassodienst beauftragt.
  • Dabei sind gerade Arbeitslose besonders häufig von der Privatinsolvenz betroffen - und finden dann auch noch schwerer einen neuen Job.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Wer seinen Job verliert und plötzlich auf sein Gehalt verzichten muss, der macht schnell Schulden. Arbeitslosigkeit ist die wichtigste Ursache für Überschuldung, für jeden fünften deutschen Schuldner war sie im vergangenen Jahr der Hauptauslöser für ihre finanzielle Notlage, erhob das Statistische Bundesamt. Zugleich verhindern Schulden oft, dass ein Arbeitsloser wieder einen Job findet: Arbeitgeber schreckt es meist ab, wenn ihr Bewerber in einem Insolvenzverfahren steckt. Dies sei "natürlich ein absolutes Vermittlungshemmnis", sagt eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit. Nicht umsonst schicken viele Jobcenter die Hartz-IV-Empfänger zur Schuldnerberatern. Deren Aufgabe ist es, mit den Gläubigern der Menschen zu verhandeln und sich mit ihnen auf kleinere Summen zu einigen.

Ganz anders verhält sich die Arbeitsagentur jedoch, wenn sie selbst die Gläubigerin ist und auf einen Teil ihres Geldes verzichten müsste, um einem überschuldeten Arbeitslosen zu helfen. Ein Papier aus dem Haus von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, schreibt der Agentur vor, dass sie sich nicht mehr auf außergerichtliche Einigungen einlassen darf - außer in besonderen Härtefällen. Damit ist bei allen verschuldeten Arbeitslosen, die auch bei der Arbeitsagentur in der Kreide stehen, ein Insolvenzverfahren programmiert. Denn bei diesen vorgerichtlichen Einigungen gilt: Entweder machen alle Gläubiger mit - oder keiner.

An Hartz-IV-Empfänger wird immer mehr Geld verliehen

Dabei verleihen gerade die Jobcenter immer mehr Geld an Arbeitslose. Im vergangenen Jahr erreichten die Darlehen, die Hartz-IV-Empfänger für Anschaffungen wie etwa einen Kühlschrank bekamen, eine Rekordsumme von 86,4 Millionen Euro - vor neun Jahren waren es noch 33 Millionen Euro. Auch die Summe, die einzelne Arbeitslose im Schnitt bekommen und dann an das Jobcenter zurückzahlen müssen, hat sich seitdem verdoppelt, auf 430 Euro. Auch Aufstocker häufen oft Schulden beim Jobcenter an, weil ihr Einkommen und damit die Unterstützung vom Amt schwankt und sie ihm zeitverzögert Geld zurückzahlen müssen. Aufstocker, errechnete das Statistische Bundesamt, seien "überproportional häufig überschuldet".

Seit Anfang dieses Jahres hat die Arbeitsagentur einen eigenen Inkasso-Dienst aktiviert, der sich verstärkt um solche Forderungen kümmern soll. Die Behörde verspricht sich dadurch Mehreinnahmen von rund 70 Millionen Euro im Jahr. Bundesweit machen Schuldnerberater seither die Erfahrung, dass sich Jobcenter nun auf keine Verhandlungen mehr einlassen. "Wir haben de facto mit dem Inkasso-Service keinen Partner, der Vergleiche schließt", sagt Matthias Butenob von der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hamburg. Er hat sich die Einsicht in das Dokument, mit dem Nahles solche Einigungen einschränkt, unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz erstritten.

Nahles' Sprecher erklärt, man werde weiterhin jeden Einzelfall prüfen. Wenn die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen ernsthaft bedroht sei oder die Überschuldung ihn "dauerhaft demotiviert und ihn unter dem Druck der Verhältnisse sozial abgleiten" lasse, sei eine Einigung noch immer möglich. Nach Einschätzung des Rechtsanwalts Marcus Köster von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wird es für Arbeitslose jedoch schwer, eine solch starke Belastung zu beweisen: "Für so einen Beleg müsste man einen Arzt einschalten und ein Attest liefern", sagt er.

Den Preis für die harte Linie von Andrea Nahles zahlen nicht nur die Arbeitssuchenden, sondern auch die Bundesländer. Etwa 2000 Euro kostet ein Insolvenzverfahren, das den Menschen bei einer gescheiterten Einigung bevor steht - bei mittellosen Bürgern müssen die Länder diese Kosten übernehmen. Eigentlich will das Bundesjustizministerium diese teuren Verfahren vermeiden, eben deshalb gibt es eine Verhandlungspflicht. Man verhandle ja, sagt der Sprecher der Arbeitsministerin. Doch auf Geld verzichten werde man nur dann, "wenn dies für den Bund zweckmäßig und wirtschaftlich ist".

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