Hans-Christian Ströbele:Der ewige Grüne geht

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Hans-Christian Ströbele war oft unbequem, und seine Biografie ist nicht arm an haarsträubenden Irrtümern. Trotzdem verlieren die Grünen mit ihm eine ihrer wichtigsten Integrationsfiguren im Bundestag.

Von Joachim Käppner

Viele Weggefährten von einst haben später beschämt ihre Biografien umgeschrieben. Hans-Christian Ströbele ist geblieben, wie er war: ein demokratischer Linker, unbequem, mitunter nach Art der Alt-68er schwer berührbar durch Kritik und Selbstzweifel, ein Mann mit einer Mission.

Nun verabschiedet er sich aus dem Bundestag, in den er 1985 erstmals eingezogen war. Er ist jetzt 78 Jahre alt und tritt nicht mehr an, für die Grünen ist der Ausstieg eines ihrer bekanntesten Mitbegründers ein herber Verlust.

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Seit 2002 hat er den Szeneviertel-Wahlkreis Berlin 84 (Friedrichshain-Kreuzberg) vier Mal hintereinander direkt gewonnen. Für die flaumbärtigen Hipster dort muss der Altlinke Ströbele, wenn er mit dem Fahrrad vom Parlament zur Antifa-Demo zischt, den roten Schal umgehängt, wie eine Erscheinung aus jener geisterhaften Vorzeit wirken, als die Menschheit noch keinen Latte to go kannte.

Für seine Wähler aber ist er eine Integrationsfigur, ein Veteran der sozialen Bewegungen, der es meist schaffte, über deren selbstzerfleischenden Theoriedebatten zu stehen. In Interviews sagt er noch immer: "Ich will die Welt verändern." Sein Instrument dazu war und ist das Aktenstudium.

Vom Sozialisten und RAF-Anwalt zum Vorzeige-Demokraten

Ströbele , geboren 1939 in Halle, studierte Jura und Politik. Er hat 1969 das "sozialistische Anwaltskollektiv" mitbegründet und RAF-Terroristen verteidigt. Ulrike Meinhof beschimpfte ihn als "sozialdemokratisches Schwein", weil er den Häftlingen nicht fügsam genug war. Andererseits bekam er massiven Ärger mit der Justiz, ein besonders guter Deutscher schickte ihm eine Patrone und einen Zettel: "Dein Todesurteil". Es war eine Zeit der Kälte.

Ströbele saß in Untersuchungsausschüssen wie dem zum NSU-Terror und zur NSA-Abhöraffäre, im Rechtsausschuss sowie im Parlamentarischen Kontrollgremium für Geheimdienste, für seine Detailkenntnis bekannt und oft genug gefürchtet. Seine Biografie ist nicht arm an haarsträubenden Irrtümern wie jenem, als er während des Golfkrieges 1991 sinngemäß erklärte, Israel sei selber schuld daran, dass der Irak es mit Raketen beschieße.

Aber sie ist noch reicher an Verdiensten, vor allem an der Verteidigung der Bürgerrechte. Einst hatte er die Republik durch den Sozialismus ersetzen wollen, heute zählt er zu ihren streitbarsten Verfechtern.

In Berlin war er Wegbereiter des rot-grünen Bündnisses 1989; aber als Joschka Fischer 1998 in einer solchen Koalition zum Außenminister und Superrealo wurde, forderte ihn Ströbele heraus: "Ströbele wählen heißt Fischer quälen!" In der Debatte um den Afghanistaneinsatz 2001 war Ströbele das pazifistische Gewissen der Partei, andererseits sicherte er der rot-grünen Koalition dank eines raffinierten Manövers die Mehrheit, ohne selber zustimmen zu müssen.

Dank des Direktmandats versteht er sich eben als ein Abgeordneter, dessen Gewissen über der Parteipolitik steht - so anstrengend das für seine Partei auch sein mag.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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