Gut so, schlecht so (12):Es kann nicht scharf genug sein

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Wahl-Watching mit Frauentausch: Was das TV-Publikum von Dorothee Bär und Claudia Roth lernen kann. Die Kolumne zum Medien- wahlkampf.

Hans-Jürgen Jakobs

Eine Wahl macht Menschen interessant, die während einer Legislaturperiode eher zu den unbekannten Wesen zählen. Über die Wähler - deren Zahl seit Jahren sinkt - weiß man beispielsweise dank einer Auftragsarbeit von Hamburger Sozialforschern für das Magazin Cicero jetzt einiges Neues: Anhänger der FDP sind tatsächlich mit durchschnittlich 2,1 mal Geschlechtsverkehr in der Woche sexuell aktiver als die Fans von Union und Linken (je 1,8), Grünen (1,7) und Sozialdemokraten (1,5).

Grünen-Chefin Claudia Roth in Dirndl und ihrem Element (Foto: Foto: Steffen Junghans/ZDF)

Die SPD und die Demoskopen, das scheint keine Glücksbeziehung zu sein. Wann immer Meinungsforscher sich der Traditionspartei widmen, schneidet sie in den anschließenden Ergebnissen schlecht ab. Andererseits sagen sexuelle Frequenzergebnisse wohl noch lange nichts darüber aus, wie die SPD am 27. September abschneidet. Ihr Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier hat sich ja bereits vorzeitig aus dem Urlaub in den Südtiroler Bergen hinab begeben, und im großen TV-"Sommerinterview" vor Alpenpanorama für sich als Ich-kann-Kanzler geworben. Das soll die eigene Partei richtig mobilisiert haben.

Angela Merkel hat sich davon nicht abschrecken lassen und ist trotzdem in den Sommerurlaub abgetaucht. Sie weiß, dass gegen die schönen Bilder vom G20-Gipfel wenige Tage vor der Bundestagswahl wenig ankommen wird. Steinmeiers Teint wird dann verblasst sein, und der Wähler wird noch immer aufgerüttelt sein von der Intimforschung, die so günstig für die FDP ausfiel.

In diesen Wochen leuchten die großen Fernsehsender auch die Politiker in besonderen Formaten aus. Der Mensch soll zur Geltung kommen, die Persönlichkeit hinter der Fassade, denen das Publikum Jahr für Jahr in den Nachrichtensendungen begegnet. Jetzt, wo das ZDF seine "grüne Hölle" hat, ein digitales Newsstudio, das seine Okkupanten sichtbar überfordert und wie Replikanten der Informationswelt aussehen lässt, wagen die Mainzer auch die qualifizierte Innenschau des Berliner Betriebs.

In der Reihe "Drei Tage Leben" tauschen Politiker für 72 Stunden ihre Welt mit dem Alltag normaler Deutscher - was am Samstag im Fall der CSU-Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär bedeutete, dass sie den Job einer Sozialpädagogin in Bayreuth übernahm. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth wiederum stieg als Chefin eines Brauereigasthofs im oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg ab. Im roten Dirndl machte sie sich gut, auch wenn Gäste allzu zackig bestellten: "Nix Grünes, bitte!"

Man kennt solche Formate ja aus den vergangenen Fernsehjahren. Sie heißen bei RTL 2 zum Beispiel "Frauentausch" und bringen am Ende stets das Resümee mit sich, dass auch andere ein schweres Leben haben, es sich aber um eine reizvolle Erfahrung gehandelt habe.

Ungeeignete Kroko-Pumps

Im Fall der jungen, attraktive CSU-Bundestagsabgeordneten Bär war die Kunst des Delegierens zu bewundern. Sie wurde als "moderne Karrierefrau" eingeführt, und verfügte in der Jugendwerkstatt - wenig erfolgreich -, dass alle außer ihr das Mittagessen kochen. Im Kreise ihrer Gastfamilie klappte das mit dem Kochen-lassen schon besser. Und der Filius räumte tatsächlich sein Zimmer auf.

Die Christdemokratin präsentierte sich durchweg als patente Pragmatikerin, die mit ihrer Du-machst-was-für-mich-ich-mach-was-für-dich-Taktik gut durchkam. "Mir kann es gar nicht scharf genug sein", enthüllte sie über Speisenvorlieben. Holla!, da steht der katholischen CSU noch einiges bevor. Nur als Frau Bär den sozial benachteiligten Jugendlichen Politik unterrichten sollte, war der Geräuschpegel einfach zu hoch. Und ihre Kroko-Pumps waren auf jenem Bauernhof ungeeignet, auf dem sie nach einem Zögling, der dort Praktikum machte, Ausschau hielt.

Claudia Roth dagegen kam in der Rolle der fröhlichen Teilzeit-Wirtin bei ihrem "Abenteuer Oberpfalz" aus dem Politisieren kaum heraus. Wann immer sich die Gelegenheit bot, ratschte sie am Stammtisch über ökologische Themen. Da fehlte sie wohl ein bisschen beim Servieren und Organisieren. Ansonsten brauchte sie drei Stunden für den ökologisch eher unbedarften Großeinkauf, hatte aber das Glück, dass der Koch die Knackfrische des mitgebrachten Spargels akzeptierte. Claudia Roth busselte sich durchs Gasthaus und brachte den Kindern der Gastwirtin singend jenen Rio Reiser ("Der König von Deutschland") näher, dem sie einst in jungen Jahren als Managerin geholfen hat.

Verdammt weit weg

Am Ende hat die Grünen-Chefin Claudia Roth erklärt - so wie es sich für eine Folge "Frauentausch" gehört, dass das Leben in einem Gasthaus nebst Hotel und kleiner Brauerei wirklich ein "hartes Brot" sei. Und dass man in Berlin doch "verdammt weit weg" sei von dem, was die Menschen bewegt.

Die Menschen bewegt die Bundestagswahl vermutlich noch nicht besonders, und das "Wahl-Watching", wie das ZDF seinen Politikerpraxistest à la Bär und Roth nennt, hat daran bei der Premiere nicht viel gerändert. Aber wenigstens weiß man jetzt, wie Claudia Roth im Dirndl und Dorothee Bär ohne Kroko-Pumps aussieht.

Nächste Woche kommt die SPD-Brillenschlange-Musterfliege Karl Lauterbach, und bis dahin rätseln alle, on SPD-Wähler wirklich so wenig Sex haben, obwohl Gesundheitsguru Lauterbach dazu rät und ob die Grünen-Wähler noch mehr Sex haben werden, wenn sich die Bundestagswahl nähert, und überhaupt, ob es den Liberalen gelingen wird, noch einmal zulegen.

Wahl-Watching everywhere: Und manchmal fragt man sich ganz einfach, wen das alles interessiert.

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