Wahl in Großbritannien:Theresa May könnte sich verschätzt haben

Lesezeit: 3 min

Theresa Mays Wahlkampf verlief nicht wie geplant. (Foto: REUTERS)

Die britische Premierministerin will mit der Neuwahl ihre Macht vergrößern - doch der misslungene Wahlkampf ließ ihren Vorsprung schmelzen. Ein Sieg Corbyns wäre dennoch eine Sensation.

Von Christian Zaschke, London

Unterschiedlicher hätten die Auftritte der beiden wichtigsten Kandidaten im britischen Wahlkampf in den vergangenen Tagen nicht sein können. Während die konservative Premierministerin Theresa May in der Regel vor sorgfältig ausgewählten Aktivisten sprach, die eifrig Plakate in die Kameras hielten, trat Labour-Chef Jeremy Corbyn auf öffentlichen Plätzen vor teils Tausenden Zuhörern auf. Am Mittwoch, dem letzten Kampagnentag vor der Parlamentswahl an diesem Donnerstag, zogen sowohl May als auch Corbyn noch einmal kreuz und quer durchs Land, um die letzten Wähler zu mobilisieren.

May wirkte dabei sichtlich entspannter als in den vergangenen Wochen, in denen der Wahlkampf nicht in ihrem Sinne verlaufen war. Während sie roboterhaft immer die gleichen Slogans wiederholte, setzte Labour in den Umfragen zu einer Aufholjagd an. Zwischenzeitlich schien es so, als könnte das Unwahrscheinliche - ein Wahlsieg Labours - tatsächlich eintreten. May agierte daraufhin nervös und aggressiv. Sie hatte die vorgezogenen Neuwahlen nur ausgerufen, weil sie sich eine deutliche Vergrößerung ihrer Mehrheit im Parlament erhoffte. Plötzlich musste sie darum kämpfen, überhaupt im Amt zu bleiben.

Wahl in Großbritannien
:Die Fünf von der Brexit-Insel

Alle kennen Eiskönigin Theresa May und Gegenspieler Jeremy Corbyn. Und die Schottin Nicola Sturgeon. Doch was zeichnet die Liberaldemokraten aus? Und wofür braucht es jetzt noch die Brexit-Partei Ukip? Die wichtigsten Köpfe der Wahl.

Von Julia Ley

Es deutet trotz des nach Ansicht der meisten Beobachter missratenen Wahlkampfes der Tories einiges darauf hin, dass ihr das gelingen wird. In allen Umfragen liegt Mays Partei vorne. Allerdings schwankt der Vorsprung je nach Erhebung zwischen einem und zwölf Prozentpunkten. Bei den Wahlen im Jahr 2015 erreichten die Tories einen Vorsprung von sieben Prozentpunkten, was ihnen eine absolute Mehrheit von zwölf Sitzen bescherte. Schrumpft der Vorsprung, könnten sie ihre absolute Mehrheit verlieren.

May wollte eines demonstrieren: Entschlossenheit im Kampf gegen den Terror

Allerdings ist es in Großbritannien wegen des Mehrheitswahlrechts wichtig, wo die Parteien zulegen. Labour könnte nach Ansicht der Wahlanalytiker prozentual dazugewinnen, aber dennoch sogar Sitze verlieren. Das hinge dann zum Beispiel damit zusammen, dass die Partei Wahlkreise, die sie ohnehin mit klarer Mehrheit hält, noch deutlicher gewänne, hingegen andere Regionen, in denen sie nur knapp vorne liegt, an die Tories verlöre.

Wahlkampf in Großbritannien
:Briten im Corbyn-Fieber

Vor der Wahl am 8. Juni tragen Unterstützer das Gesicht des Labour-Chefs auf T-Shirts, Strumpfhosen und Schildern. Der 68-Jährige ist vor allem bei jungen Briten beliebt. Ein ausgefallener Wahlkampf in Bildern.

Da die Umfrageinstitute weder die absolute Mehrheit der Tories im Jahr 2015 noch den Sieg der Brexit-Kampagne im vergangenen Jahr vorhergesehen haben, halten sie sich diesmal mit genauen Prognosen zurück. John Curtice, Politikprofessor an der Universität Strathclyde und bekanntester Wahlanalytiker des Landes, hält in Anbetracht der Umfragen einen Sieg der Tories für wahrscheinlich, allerdings könne dieser ebenso gut knapp ausfallen wie überwältigend.

In der Wahlkampfzentrale der Tories ist man mittlerweile wieder zuversichtlich. Am Mittwoch schickten die Strategen Theresa May sogar unter Menschen, die nicht notwendig für die Konservativen stimmen. Im Morgengrauen besuchte die Premierministerin den Fleischgroßmarkt im Londoner Smithfield Market, wo sie mit den Metzgern plauderte. Dass dabei jemand lautstark "Wählt Labour!" rief, ignorierte sie. Später reiste sie unter anderem nach Norfolk und Nottinghamshire.

Zwei Themen dominierten ihre Kampagne zuletzt. Zum einen wiederholte sie beharrlich, nur sie könne in Brüssel gute Konditionen für den Austritt aus der EU aushandeln. Zum anderen konzentrierte sie sich nach den jüngsten Anschlägen in Manchester und in London auf das Thema innere Sicherheit. Dabei schloss sie eine Einschränkung der Menschenrechte nicht aus, falls diese der Terrorbekämpfung im Wege stünden. "Wenn uns unsere Menschenrechtsgesetze daran hindern, werden wir die Gesetze ändern", sagte sie. Kritiker warfen ihr vor, den Terroristen mit einer solchen Beschneidung prinzipieller Freiheiten in die Hände zu spielen. May hingegen sagte, dieses Vorgehen zeige ihre Entschlossenheit im Anti-Terror-Kampf.

Corbyn könnte es gelingen, Ergebnis von Labour klar zu verbessern

Die Londoner Polizei gab am Mittwoch bekannt, dass die Zahl der Toten der Attacke vom Samstag auf acht gestiegen sei. Ein Franzose, der seit dem Attentat als vermisst gemeldet war, wurde am Dienstagabend tot aus der Themse geborgen. 29 Verletzte liegen noch im Krankenhaus, davon befinden sich zehn in kritischem Zustand.

Die Polizei ermittelt weiter, ob die drei Attentäter Komplizen hatten. Am Mittwoch wurde ein 30 Jahre alter Mann im Osten Londons festgenommen. Damit werden derzeit zwei Verdächtige zur näheren Befragung in London festgehalten. In Irland, wo einer der Täter zeitweise lebte, befragte die Polizei zwei Männer.

Einer der Attentäter, Yousseff Zaghba, stand offenbar in einer EU-weiten Datenbank, nachdem er 2016 in Italien wegen Terrorverdachts festgenommen worden war. Bei seiner Einreise nach Großbritannien hätten die Grenzer diesen Eintrag sehen müssen. Die BBC berichtet, genau das könnte geschehen sein, als Zaghba im Januar dieses Jahres am Flughafen London-Stansted ankam - man habe ihn aber trotzdem einreisen lassen. Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte Theresa May zuletzt vorgeworfen, die Polizei geschwächt zu haben, da sie in ihrer Zeit als Innenministerin 19 000 Stellen abbaute.

Corbyn trat am letzten Tag vor der Stimmabgabe unter anderem in Runcorn in der Nähe von Liverpool auf und hielt eine leidenschaftliche Rede. Er wirkte wie ein Mann, der wirklich im Wahlkampf angekommen ist. "Niemals zuvor gab es eine derart klare Wahl zwischen den Parteien", rief er einer jubelnden Menge zu, "es ist die Wahl zwischen Hoffnung und Angst."

Corbyn war als Altlinker verspottet worden, Teile seiner eigenen Partei stellten sich gegen ihn, und die konservative Presse schreibt mit Furor über ihn. Die Daily Mail widmete ihrer Anti-Corbyn-Kampagne am Mittwoch 13 Seiten, die Sun warnte vor einer "marxistischen Regierung". Dennoch ist es Corbyn gelungen, den Rückstand Labours, der sich zu Beginn des Wahlkampfs auf mehr als 20 Prozentpunkte belief, deutlich zu verringern. Die Hoffnung der Partei ist jetzt, dass die Umfrageinstitute erneut falschliegen - allerdings in dem Sinne, dass sie das Ausmaß der Aufholjagd sogar noch unterschätzen.

© SZ vom 08.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wahl in Großbritannien
:"Ich glaube Theresa May kein Wort"

Youtube-Star Owen Jones ist für Hunderttausende Briten eine linke Stimme der Vernunft. Der umtriebige Aktivist erklärt, wie er junge Leute für Labour begeistern will und der Brexit die politische Debatte vergiftet.

Von Matthias Kolb, London

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: