Greenpeace-Gutachten:Lenkraketen gegen Atomkraftwerke

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Nicht nur Terroranschläge aus der Luft stellen eine Gefahr für deutsche Kernkraftwerke dar. Auch panzerbrechende Waffen können möglicherweise eine Kernschmelze auslösen, behauptet ein Greenpeace-Gutachten.

Nachdem Greenpeace kürzlich ein Gutachten veröffentlicht hat, demzufolge Atomkraftwerke nicht ausreichend vor Terrorangriffen aus der Luft geschützt sind, legt die Umweltorganisation nun nach: Auch vom Boden aus ließen sich insbesondere ältere Anlagen attackieren und "einen Kernschmelzunfall mit erheblichen radioaktiven Freisetzungen verursachen", warnt die Physikerin Oda Becker von der Fachhochschule Hannover in ihrem heute vorgelegten zweiten Gutachten. Terroristen könnten dazu moderne tragbare panzerbrechende Lenkwaffen wie die russische AT-14 Kornet-E einsetzen.

Lenkraketen, mit denen schwere Panzer zerstört werden können, stellen auch eine Gefahr für Kernkraftwerke dar - sagt ein Greenpeace-Gutachten. (Foto: AP)

Entwickelt für den Einsatz gegen schwere Panzer ist der Standard-Gefechtskopf der Rakete in der Lage, mit einer sogenannten Tandemhohlladung Panzerstahl mit einer Dicke von ein bis 1,2 Metern oder drei Meter dicke Stahlbetonwände zu durchschlagen. Dabei kann auch das Innere eines Fahrzeugs - oder eines Gebäudes - zerstört werden. Darüber hinaus kann diese Rakete zur Zerstörung von Gebäuden mit einem thermobarischen Gefechtskopf mit einer Explosionskraft von zehn Kilogramm Sprengstoff (TNT) ausgestattet werden.

Durch Angriffe mit solchen Waffen sind dem Gutachten zufolge insbesondere Siedewasserreaktoren der Baulinie 69 (Brunsbüttel, Isar 1, Philippsburg 1 und Krümmel) sowie Druckwasserreaktoren der Baulinie 2 (Biblis-A und -B, Neckarwestheim-1 und Unterweser) gefährdet.

Doch nicht nur für diese älteren Atomkraftwerke besteht ein Risiko, warnt sie. Bei Tests in Russland habe man anhand eines Modellaufbaus auch die Verwundbarkeit neuerer Reaktortypen überprüft - unter anderem gegenüber dem Beschuss mit der Kornet-E. "Mit dem Angriffsszenario der Beschusstests könnte ein Kernschmelzunfall verursacht werden", erklärt Becker.

Doch wie groß ist die Gefahr, dass Terroristen an solche Waffen kommen könnten? "Tragbare panzerbrechende Waffen", schreibt die Physikerin, sind "auf dem Schwarzmarkt in großer Zahl vertreten, denn: Sie sind einfach zu transportieren und zu verbergen, sie sind haltbar und wenig störanfällig."

Es müsse davon ausgegangen werden, dass es potenziellen Attentätern möglich wäre, durch illegale Waffenbeschaffung an AT-14 Kornet-E inklusive der zugehörigen Komponenten zu gelangen.

Über dieses Waffensystem verfügt etwa Syrien, das den USA zufolge auch die radikalislamische Hisbollah mit Raketen versorgt. "Je mehr dieser Waffensysteme weltweit im Umlauf sind, je einfacher wird es für die Terrororganisationen werden, an diese Waffen zu gelangen."

Neues Energiekonzept ohne Röttgens Nachrüstungswünsche

"Das Risiko durch Terrorangriffe ist Bundeskriminalamt und Aufsichtsbehörden lange bekannt, es wird jedoch von der schwarz-gelben Bundesregierung vorsätzlich ignoriert", kritisiert Heinz Smital von Greenpeace. Dies gilt allerdings nicht für Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), der gefordert hat, die Atomkraftwerke so nachzurüsten, dass sie den Absturz eines Flugzeugs vom Typ Airbus A320 überstehen würden.

Auch das Bundeskriminalamt hat wiederholt auf das - wenn auch geringe - Risiko von Anschlägen auf kerntechnische Einrichtungen in Deutschland hingewiesen. Und 2004 hatte der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) die Energiewirtschaft aufgefordert, einige Kernkraftwerke vorzeitig vom Netz zu nehmen, da diese Anlagen keinen ausreichenden Schutz gegen Terrorangriffe aus der Luft böten.

Die kürzlich von Röttgen vorgeschlagene Nachrüstung fehlt im neuen Energiekonzept der Bundesregierung. Stattdessen mache Schwarz-Gelb den Atomkonzernen weitreichende Zugeständnisse und wolle zusätzlich das bisherige Klagerecht betroffener Bürger gegen ein Atomkraftwerk in einer geplanten Novelle des Atomgesetzes abschaffen, kritisiert Greenpeace. Die sieben ältesten Atomkraftwerke und Krümmel müssten sofort stillgelegt, die restlichen Anlagen bis 2015 abgeschaltet werden, fordert die Organisation.

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