Gewalt in Libyen:Schwarzafrikaner leiden unter Rachgier der Rebellen

Wer in Libyen dunkelhäutig ist, muss derzeit um sein Leben fürchten: Schwarzafrikaner stehen bei den Rebellen unter Generalverdacht - als Söldner Gaddafis. Dabei kamen viele nur als Gastarbeiter, nicht als Krieger. Jetzt werden sie als Kollaborateure in Gefängnissen zusammengepfercht, gefoltert oder massakriert. Dem Rassismus der Sieger sind sie hilflos ausgeliefert.

Sebastian Gierke

Die Rebellen setzten früh auf die Angst vorm schwarzen Mann. Anfang des Jahres feierten sie ihre ersten Erfolge im Osten Libyens. Sie kontrollierten Bengasi - und lancierten Bilder dunkelhäutiger Männer an die Öffentlichkeit. Sie führten Dutzende Schwarzafrikaner als "bezahlte Schergen" des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi vor. "Der Diktator lässt sein eigenes libysches Volk von bezahlten Söldnern aus Afrika töten", so lautete die stetig wiederholte Botschaft.

Libyan rebel fighters detain a mercenary during a fight for the final push to flush out Muammar Gaddafi's forces in Abu Salim district in Tripoli

Rebellen führen einen Schwarzafrikaner in Tripolis ab, dem sie vorwerfen, als Söldner Gaddafi gedient zu haben.

(Foto: REUTERS)

Ungefähr zur gleichen Zeit sagte ein aus dem Kriegsgebiet im Osten Libyens geflohener türkischer Ölarbeiter der BBC: "Wir haben unsere Freunde aus dem Tschad zurückgelassen. Wir haben ihre toten Körper zurückgelassen. In unserer Firma arbeiteten 70 oder 80 Männer aus dem Tschad. Sie haben sie mit Baumsägen und Äxten getötet, sie haben sie angegriffen. Sie haben behauptet, sie würden Truppen für Gaddafi bereitstellen. Die Sudanesen, die Männer aus dem Tschad, sie wurden massakriert. Wir haben es selbst gesehen."

Propagandalüge der Rebellen?

Viele andere Schwarzafrikaner wurden in Bengasi, Adschdabia und anderen Orten im Osten Libyens in Internierungslager gebracht. Peter Bouckaert, Leiter der Kriseneinsätze der Hilfsorganisation Human Rights Watch (HRW), hat mit seinen Mitarbeitern einige dieser Lager besucht. "Wir waren im Osten Libyens und haben mit den schwarzafrikanischen Gefangenen gesprochen", berichtete er. "Doch unter all den Menschen, die wir gesprochen haben, war kein einziger Söldner." Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) erklärte, dass die Berichte aus den ersten Kriegstagen falsch waren.

Eine Propagandalüge der Rebellen? All die Fotos, die Gräuelgeschichten über Gaddafis schreckliche Söldnertruppe? Alles erfunden? Tatsächlich rekrutierte Gaddafi zu Beginn der Aufstände Hunderte Söldner aus den südlichen Nachbarländern. Verlässliche Zahlen, wie viele der Despot in seinen Reihen hatte und möglicherweise noch hat, gibt es allerdings nicht. Schätzungen vom März 2011 nannten 6000 Söldner. Die Männer bekamen zum Teil wohl libysche Pässe, auf jeden Fall aber Geld. Sie kamen aus Mali und Niger, aus Kamerun und dem Tschad, aus Sudan und Liberia.

Schon seit den siebziger Jahren ist diese Praxis in Libyen üblich. Damals verpflichtete Gaddafi 12.000 Privatsoldaten für seine Islamische Legion, lockte die Männer mit viel Geld. Binnen vier Wochen konnten sie damals ein durchschnittliches Jahresgehalt verdienen.

Und auch in den vergangenen Kriegsmonaten setzte Gaddafi auf ausländische Kämpfer, die für Geld alles taten - auch auf Demonstranten schießen. Offenbar wurden sie aber nur in der Hauptstadt Tripolis und im Westen des Landes eingesetzt.

Die Rebellen verzichteten auf eine Differenzierung. Sie wollten die libysche Bevölkerung und die Welt gegen Gaddafi aufbringen und verbreiteten deshalb Bilder einfacher Arbeiter und Tagelöhner mit der Behauptung, Söldner des Regimes gefangen zu haben.

Die gezielte Desinformation war verhängnisvoll. Sie hatte grausame Folgen und könnte noch weitere nach sich ziehen. Denn noch immer befinden sich im Land viele schwarze Libyer und Tausende Gastarbeiter dunkler Hautfarbe - die jetzt schutzlos einem Generalverdacht ausgesetzt sind.

Nur sechs Millionen Menschen leben offiziell in Libyen. Und nur 1,7 Millionen gehören zur erwerbstätigen Bevölkerung. Das Land brauchte in den vergangenen Jahrzehnten aber deutlich mehr Arbeiter - und fand sie in den südlichen Nachbarländern. Sie kamen durch die Wüste, das libysche Öl wirkte wie ein Magnet. An der Grenze verlangte niemand nach Papieren. Mindestens eine Million Migranten lebte vor dem Krieg in Libyen, geduldet, aber illegal.

Und diese Menschen sind jetzt, da die Rebellen einen Großteil des Landes unter ihrer Kontrolle haben, in Gefahr. Viele sind bereits geflüchtet, doch die im Land verbliebenen Schwarzafrikaner werden der Kollaboration mit dem Regime verdächtigt und so wird ihre Situation noch prekärer, als sie ohnehin schon war.

"Wir wissen um das Problem"

Rassismus und Diskriminierung gegen Migranten und Gastarbeiter sind in Libyen auch vor dem Krieg an der Tagesordnung gewesen. Im Jahr 2000 war es zu Pogromen gegen Ausländer gekommen, Dutzende Arbeiter aus Ländern wie Kamerun, Ghana, dem Tschad oder Burkina Faso wurden getötet. Doch der Krieg und die Propaganda der Rebellen haben die Fremdenfeindlichkeit im Land verstärkt. Ein Rebellen-Slogan, während der Kämpfe an die Wände von Misrata gemalt, beglückwünschte die Truppen dafür, das Land "von dunkelhäutigen Sklaven gesäubert zu haben".

Alle Schwarzafrikaner sind nun verdächtig. In Medina, einem Stadtteil von Tripolis, in dem viele Schwarzafrikaner leben und arbeiten, kommt es seit der Eroberung durch die Rebellen zu Razzien, Menschen werden ohne Angabe von Gründen verhaftet.

Die Financial Times berichtete aus Tripolis über einen Gefängniswärter der Rebellen, der offen zugab: "Viele sind unschuldig." Dennoch würden willkürlich alle Schwarzafrikaner, denen man habhaft werden kann, festgenommen. Er werde dann später entschieden, was mit ihnen geschieht. Die New York Times zitiert einen Wärter mit den Worten: "Wenn wir die Söldner freilassen, werden sie von Menschen auf der Straße angegriffen."

Amnesty International kritisierte die Rebellen wegen gewaltsamer Übergriffe auf Dunkelhäutige. Bei einem Besuch in Tripolis sei eine Delegation Zeuge geworden, wie Krankenhauspatienten von Aufständischen festgenommen oder misshandelt worden seien, erklärte Amnesty.

Auch der gabunische Politiker Jean Ping von der Afrikanischen Union erhebt schwere Vorwürfe gegen die Rebellen. Sie hätten unschuldige Schwarzafrikaner umgebracht, klagte er: "Sie töten normale Arbeiter, oder misshandeln sie."

Ganz in der Nähe der Residenz Gaddafis war ein Massengrab entdeckt worden. 30 Leichen lagen in einer Grube, offenbar Soldaten Gaddafis, überwiegend Schwarzafrikaner, viele mit Handschellen gefesselt, einige offensichtlich bereits verwundet, bevor sie getötet wurden.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat deshalb den Übergangsrat aufgefordert, die im Land lebenden Schwarzafrikaner vor Übergriffen zu schützen. GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius sagte: "Schwarzafrikanische Migranten sowie Angehörige der im Landesinneren ansässigen Toubou und Tuareg dürfen nicht pauschal als Handlanger des Gaddafi-Regimes abgestempelt und als 'Freiwild' behandelt werden."

Der libysche Übergangsrat hat stets versichert, dass es keine Racheakte gibt und geben wird. "Wir sind nicht einverstanden damit, Menschen nur wegen ihrer dunklen Hautfarbe einzusperren", sagte der Militärkommandeur der Rebellen in Tripolis, Abdel Hakim Belhadsch, der New York Times. "Wir wissen um das Problem, aber wir sind noch immer in einem Kriegsgebiet", fügte er hinzu.

Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Jeder dunkelhäutige Mann, der beschuldigt wird, für Gaddafi gekämpft zu haben, muss im Moment in Libyen um sein Leben fürchten.

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