Gemeinsame Veranstaltung von Lafontaine und Gysi:Oskar und Gregor gehen wieder miteinander

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Ausgerechnet die Auferstehungskirche in der Friedenstraße wurde auserkoren für die Versöhnung der Linken. Doch wenn die beiden Obernarzissten der Partei aufeinandertreffen, braucht es gewichtige Vorzeichen. Nach zwei furiosen Reden fahren Gysi und Lafontaine tatsächlich gemeinsam in die Dämmerung davon.

Evelyn Roll, Berlin

Oskar Lafontaine kommt als Erster, steigt aus dem Auto, ist jünger, schlanker und straffer, als wir ihn in Erinnerung hatten, und wartet vor der Auferstehungskirche an der Friedenstraße mit angespannter Lässigkeit, wie ein Bräutigam auf die Braut. Als dann mit schon fast unhöflicher Verspätung schließlich auch Gregor Gysi angekommen ist, läuten tatsächlich die Glocken, während die beiden, umringt von Anhängern und Jüngern, in den Kirchenraum einmarschieren.

Beim Parteitag der Linke Anfang Juni trafen sie noch als erbitterte Rivalen aufeinander: Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. (Foto: dpa)

Inszenierung und Ort sind offenbar mit Bedacht gewählt. Landeschef Klaus Lederer, der den Abend moderiert, wird deswegen die Worte Auferstehung und Frieden in Auferstehungskirche und Friedenstraße so nachdrücklich betonen, dass es auch wirklich jeder der weißhaarigen Alten versteht, die in den Kirchenbänken auf Erlösung warten. Beim Altersdurchschnitt der Kirchgänger macht es in Ostberliner Gotteshäusern augenscheinlich keinen Unterschied, ob das Evangelium gerufen hat oder die Versöhnung der Linken.

Laut Vorankündigung und Plakat soll es um "Ursachen und Lösungswege für die Europäische Finanzkrise" gehen. In Wirklichkeit geht es darum, ob die beiden politikbegabten Obernarzissten seit dem Göttinger Parteitag der Linken schon lange genug in den Abgrund der Spaltung geblickt haben, um es jetzt doch noch einmal gemeinsam zu versuchen.

Gregor Gysi beginnt und hält die Langfassung der Rede, die er ein paar Stunden zuvor im Bundestag gehalten hat. Er macht das wie immer, elegant, witzig, anekdotenreich. Aber eben auch sehr lang. Oskar Lafontaine sitzt in der ersten Reihe und dreht Däumchen: Die Hände im Schoß gefaltet, viermal den linken Daumen über den rechten, viermal den rechten Daumen über den linken und so weiter. Dann schaut er auf die Uhr. Dann schaut er nochmal auf die Uhr.

Vielleicht sollte man bei dieser Gelegenheit ein wenig Zwillingsforschung in die Politikbeschreibung einführen. Oskar Lafontaine hat einen - um wenige Minuten erstgeborenen - Zwillingsbruder Hans. Im Saarland erzählen die Klassenkameraden noch heute davon, wie der vergleichsweise kurzbeinige Oskar die 400 Meter im Wettkampf unbedingt schneller laufen musste, als sein langbeiniger Zwillingsbruder. Möglicherweise gibt es ja so etwas wie einen Politik anfeuernden aber auch schädigenden Wiederholungszwang, den erstgeborenen Bruder niederkämpfen zu müssen: Rudolf Scharping, Reinhard Klimmt, Gerhard Schröder, Gregor Gysi...

Erleichterung im Kirchenraum

Der ist inzwischen bei der Wiedervereinigung angekommen, nein, beim ersten Weltkrieg. Nach einer Stunde schließlich ist Oskar Lafontaine dran. Und man kann die Erleichterung im Kirchenraum spüren, als er beginnt mit: "Ich bin in der glücklichen Situation, jeden Satz von Gregor unterstreichen zu können." Noch heftiger klatschen sie, als er dann sagt: "Insbesondere den Satz, dass wir jetzt wirklich genügend die Nabelschau betrieben haben und uns wieder Politik zuwenden sollen."

Dann hält Lafontaine eine seiner furiosen, mitreißenden Reden, darüber, dass die Eurokrise in Wirklichkeit eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben ist und ein Abbau von Demokratie. Die Deregulierer Mario Monti und Josef Ackermann sind die ganz Bösen, die Angela Merkel zur Sozialistin gemacht haben, zur "Schuldensozialistin, die die von Hedgefonds und Banken gebauten Schulden vergemeinschaftet und auf den Steuerzahler umlegt". Das klingt alles wie eine Wahlkampfrede, wie "ich mache es nochmal, wenn ihr mich wollt".

Lafontaine verlässt die Bühne mit einem jugendlichen Sprung und diesem Na-wie-war-ich-Blick, der die Antwort schon kennt. Gregor Gysi nimmt bedächtig die Stufen. Draußen vor der Kirche steigen sie - Oskar links, Gregor rechts - in den Fond einer dunklen Limousine, die sie Richtung Mitte in die Ost-Berliner Dämmerung fährt zu ihrem Versöhnungsessen.

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