Gysi gegen Lafontaine:"Ich bin es leid!" - "Dummes Gerede!"

Zwei Reden wie Donner, Blitz und Erdbeben zugleich. Gysi und Lafontaine offenbaren bei ihren Parteitagsauftritten, wie tief der Riss schon ist, der durch die Linke geht. Einst kämpften sie Seit' an Seit'. Jetzt spricht Gysi von Hass - und bringt erstmals die Spaltung der Partei ins Spiel.

Thorsten Denkler, Göttingen

Donnernd, stampfend. Wie zwei Stiere, die sich schnaubend im heißen Sand einer überfüllten Arena gegenüberstehen. Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Am Ende steht beiden der Schweiß auf der Stirn. Gysi zittern die Hände. Lafontaine sitzt noch Minuten später mit hochrotem Kopf auf seinem Stuhl. Was da gerade passiert ist, hat es so noch nicht gegeben auf einem Parteitag der Linken. Hat es so noch auf keinem Parteitag irgendeiner relevanten Partei geben.

Bundesparteitag der Linken

Linke-Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi beim Parteitag in Göttingen: "Was ist denn eigentlich so schlimm daran zu akzeptieren, dass wir im Osten eine Volkspartei sind?!"

(Foto: dapd)

Gysi und Lafontaine, die zwei Schlachtrösser der Linken: Einst zogen sie den Karren der Linken im Alleingang von Wahlsieg zu Wahlsieg. Jetzt stehen sie sich gegenüber. Hier in Göttingen haben sie den Bruch vollzogen. Mehr denn je steht in Frage, ob die Partei diesen Bruch verkraftet.

Es ist Gysi, der beginnt. Leise spricht er. Dass er alles versucht habe, den Führungsstreit zu schlichten. Dass er Vorschläge gemacht habe, die auch für Dietmar Bartsch schwer zu verkraften gewesen seien. Lafontaine Parteichef, Bartsch Bundesgeschäftsführer. Das sei "nicht an Bartsch" gescheitert, sagt Gysi. Also an Lafontaine. Hier beginnt die offene Konfrontation.

"Ich kann es nicht begreifen!"

Gysi, sonst immer auf Ausgleich bedacht, schlägt sich in bemerkenswerter Weise auf die Seite der Ostverbände. Er könne die "Arroganz gegenüber den Ostverbänden" nicht im geringsten akzeptieren. Jede Silbe betont er jetzt. Er wird lauter. Es geht um die aus seiner Sicht ständige Kritik am Regierungswillen der ostdeutschen Linken. Die erinnere ihn "an die westliche Arroganz bei der Wiedervereinigung". Harte Worte.

Jetzt brüllt er, seine Faust schwingt durch die Luft, als wäre das Pult ein Amboss. "Was ist denn eigentlich so schlimm daran zu akzeptieren, dass wir im Osten eine Volkspartei sind!? Und im Westen eine Interessenpartei. Ich kann es nicht begreifen!"

Gysi spricht von Hass. Die Fraktion, seine Fraktion - in keinem guten Zustand sei sie. Da "herrscht auch Hass". Was für ein Eingeständnis! Hier wird Gysis Rede zu einer Abrechnung. Er habe sich zwischen die immer wieder aufeinander zurasenden Züge gestellt. Er wisse, dass er dabei zermalmt werden könnte. Er habe gekämpft.

Jetzt kämpft er nicht, jetzt spricht er für sich, lässt seiner Wut freien Lauf. Als wenn sich ein Ventil öffnet in einem Kessel, der schon viel zu lange unter Überdruck steht: "Ich! - bin! - es! - leid!"

"Dann ist es fairer, sich zu trennen"

Gysi lässt die Partei in den Abgrund blicken. Entweder die Partei ist in der Lage eine kooperative Führung zu wählen - oder eben nicht. "Für den Fall sage ich offen: Dann ist es fairer, sich zu trennen."

Da ist es gesagt: Trennung, Spaltung, das Ende des Projektes Die Linke. Dem Beifall nach zu urteilen will das niemand. Aber lässt es sich noch verhindern? Gysi kann und will die Partei jetzt nicht retten. Das müssen die Delegierten tun. Nur wie? Wer soll die Partei führen? Mit dieser Entscheidung lässt er den Parteitag alleine.

Stehender Applaus nach Gysis Rede. In einer der letzten Reihen sitzt der West-Linke Wolfgang Gehrke. Keine Hand rührt er. Er bleibt sitzen. Wie viele Westdelegierte.

Als später Lafontaine seine Rede beendet steht Gehrke, klatscht lange Beifall, wie fast alles West-Delegierten. In den Reihen der Ostverbände sitzen sie. Ist die Trennung nicht längst da?

Lafontaines Konter: "Warum dieses dumme Gerede?"

Lafontaine ist es nicht, der zusammenführt, was vielleicht gar nicht zusammengehört. Es gebe nur "einen Satz" dem er in Gysis Rede zustimmen könne: "Wir haben kein Recht diese Linke zu verspielen!" Nur ein Satz also. Mehr Gemeinsamkeiten haben sie nicht mehr.

Gysi former leader of left wing Die Linke party attends with veteran member Lafontaine a federal party congress in in Goettingen

Am Ende angelagt: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine beim Parteitag der Linken in Göttingen.

(Foto: Reuters)

Eine Spaltung aber will Lafontaine nicht. Sagt er zumindest. "Es gibt keinen Grund das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen", brüllt Lafontaine. Spaltung sei nur gerechtfertigt, wenn es grundlegende Unterschiede in der Programmatik gebe. Wenn die einen für und die anderen gegen Krieg sind. So etwas. "Dann hat man Grund sich zu trennen. Aber nicht, weil man da und dort Befindlichkeiten hat."

Lafontaine hat die Partei mit gegründet. Scheitert sie, wäre das auch sein Scheitern. Das Gefeixe seiner alten SPD-Genossen könnte er kaum ertragen. Und doch treibt er den Keil tiefer und tiefer. Er spricht an, was viele denken: Den Vorwurf, dass die Linken im Osten nur regieren wollten und im Westen die Fundis säßen. Gysi hat das vorher so ähnlich dargestellt. "Solche Verleumdungen und Hetzkampagnen müssen wir nicht auch noch nachbeten!" Und fragt: "Warum dieses dumme Gerede von der Regierungsunwilligkeit im Westen?"

Dummes Gerede also. Seine Stimme überschlägt sich fast, als er das sagt. Lafontaine hätte Gysi bei diesem Satz ehrlicherweise direkt in die Augen sehen müssen. Linke, die noch an menschlichen Anstand glauben, müssten spätestens jetzt ihren Ausritt erklären.

"Krach und Theater" - mit Lafontaine als Regisseur

Gysi hat Selbstkritik geübt, hat gesagt, wo er Fehler gemacht hat. Hat auch die eigene Haltung hinterfragt. Lafontaine nicht. Diese gegenseitigen Verletzungen und Schmähungen - für den ehemaligen Sozialdemokraten ist das alles menschlich. Auch in linken Parteien werde es immer wieder "Eitelkeit und Missgunst" geben. Es sei ein Irrtum zu glauben in linken Parteien versammelten sich nur die edelsten Menschen. "Das gilt noch nicht mal für mich."

Jeder weiß, was da gemeint ist. Jeder weiß auch, dass Lafontaine selbst zu den Drahtziehern gehört, die im Moment nur eines im Sinn haben: Dietmar Bartsch als Parteichef verhindern. Wie Hohn klingt es, als er das schlechte Bild der Linken in der Öffentlichkeit daran festmacht, dass nicht Sachvorschläge durchdringen sondern nur der "Krach und das Theater".

Stimmt. Nur ist Lafontaine in diesem Theater einer der Regisseure. Nach seiner Rede lässt er die Teile des Publikums fragend zurück, die an einer Einheit der Linken interessiert sind.

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