Geheimdienst:Wie der BND seine Spähaktionen vertuschen wollte

BND-Außenstelle Bad Aibling

Die BND-Außenstelle in Bad Aibling: Die neuen Erkenntnisse zur Abhörpraxis des BND sind eine Blamage für die Merkel-Regierung.

(Foto: dpa)
  • Der Bundesnachrichtendienst hat bis zum Herbst 2013 befreundete Staaten ausspioniert. Dann folgte eine große Löschaktion.
  • Frühere BND-Mitarbeiter berichten, dass es Hunderte Fälle gegeben habe, in denen amerikanische Politiker abgehört worden seien.
  • Im Kanzleramt war dies nicht nur bekannt, die Ergebnisse wurden auch genutzt.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo, Berlin

Im Oktober 2013 sprach die Bundeskanzlerin einen inzwischen berühmt gewordenen Satz: "Abhören unter Freunden, das geht gar nicht." Angela Merkel meinte den Lauschangriff der Amerikaner auf eines ihrer Handys. Der Satz zeigte Wirkung - zwar nicht beim US-Geheimdienst NSA, sondern bei ihrem eigenen Dienst, dem Bundesnachrichtendienst (BND).

Kurz nach dem Kanzlerinnen-Wort erteilte BND-Präsident Gerhard Schindler den beiden Unterabteilungsleitern T 1 und T 2 der Technischen Aufklärung eine Weisung. Die Datenbanken des BND sollten umgehend durchsucht werden. Mithilfe von Selektoren oder Telekommunikationsmerkmalen - das sind etwa Telefonnummern oder Mail-Adressen - wird weltweit abgehört. Schindler wollte wissen, welche "Freunde" der BND abhörte. So heikel war die Angelegenheit, dass die Anweisung nur mündlich erging.

Die Vertuschung zog sich über zwei Jahre hin

Im Herbst 2013 verschwanden 2800 sogenannte Telekommunikationsmerkmale aus der BND-Datenbank. Bis zur Löschaktion hatte auch der deutsche Geheimdienst in befreundeten Staaten spioniert. Die Löschaktion soll binnen Wochen abgeschlossen gewesen sein, das Kanzleramt wurde detailliert unterrichtet. Die Vertuschung der Angelegenheit dagegen zog sich über zwei Jahre hin.

Erst am vergangenen Mittwoch berichteten Schindler und der für die Geheimdienste zuständige Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages von dem Vorgang. Einige der Abgeordneten fragten konsterniert, warum man davon erst jetzt erfahre. Und ob dies nur passiere, weil Journalisten von der Sache Wind bekommen hätten und man einer Veröffentlichung zuvorkommen wolle. Man wollte.

Am 18. September hatten Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR die Regierung mit den Ergebnissen einer Recherche zur BND-Spionage gegen befreundete Länder und der Löschaktion im Herbst 2013 konfrontiert. Zudem wollten sie wissen, warum der Vorgang dem Kontrollgremium zwei Jahre lang verschwiegen worden war. Das Bundespresseamt verweigerte eine Auskunft. Aber im Kanzleramt war nun wohl klar, dass man die Angelegenheit nicht länger geheim halten konnte.

Das Eingeständnis am vergangenen Mittwoch ist eine Blamage für die Merkel-Regierung. Auch belegt der Vorgang, dass die Parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste nicht funktioniert: Wirklich brisante Vorgänge verschweigt das Kanzleramt bisweilen einfach. Was ein "besonderes Vorkommnis" ist, über das sie berichten mag oder nicht, bestimmt es selbst.

Durch Zufall wird die Abhörpraxis bekannt

Dass der BND - wenn auch im geringeren Maßstab - ebenso agierte wie die NSA, sollte nicht bekannt werden. Einen ersten Riss bekam die deutsche Version, als die drei Medien im August 2014 berichteten, dass der BND einige Jahre zuvor ein Telefonat zwischen der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton und dem damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan abgehört hatte.

Nur durch Zufall war die Praxis, auch amerikanische Politiker abzuhören, bekannt geworden: Ein BND-Mann hatte sich von der CIA anwerben lassen - zu den von ihm gelieferten Dokumenten gehörte auch eine Abschrift des abgehörten Telefonats. So landete die Geschichte in den Ermittlungsakten und wurde öffentlich.

Die Ergebnisse wurden im Kanzleramt genutzt

Die Bundesregierung erklärte, dies sei ein Zufall gewesen, Clinton sei nicht gezielt abgehört worden. Zudem habe man die Praxis nach dem Beginn der Snowden-Enthüllungen beendet - inzwischen würden Telefonate von US-Politikern ungelesen vernichtet.

Was die Regierung dem Parlament nicht sagte, war, in welchem Umfang der BND diese Praxis bis zum Sommer 2013 betrieben hatte. Frühere BND-Mitarbeiter berichten, dass es Hunderte Fälle gegeben habe, in denen amerikanische Außen- und Verteidigungsminister oder Senatoren abgehört worden seien, wenn sie auf Reisen waren und über nichtverschlüsselte Telefonleitungen kommunizierten.

Im Kanzleramt war dies nicht nur bekannt, die Ergebnisse wurden auch genutzt: Vor und während des Irak-Krieges legte der damalige BND-Präsident August Hanning immer wieder Abhör-Protokolle vor. Wegen des tiefen Zerwürfnisses zwischen der Schröder- und der Bush-Regierung waren die Erkenntnisse in Berlin begehrt. "Sie sind uns aus der Hand gerissen worden", erinnert sich einer der damals Beteiligten.

Ebenso hartnäckig bemühte sich das Kanzleramt, das Abhören gegen andere befreundete Staaten geheim zu halten. Neben dem sogenannten Beifang - etwa zufällig erfassten Politikern aus den USA und EU-Staaten - spionierte der BND auch gezielt in Partnerländern. Beispielsweise in Österreich, wo die iranische Botschaft abgehört wurde. Das lässt sich mit dem Auftragsprofil der Bundesregierung erklären.

BND sorgt für Verwirrung

Schwieriger ist schon die Sache mit den Franzosen. Angeblich wurden französische Botschaften abgehört, weil die Franzosen so viel über Afghanistan wissen. Wäre es nicht klüger gewesen, die Franzosen selbst zu befragen?

Für Verwirrung sorgte auch der BND. Präsident Schindler soll die Beifang-Regelung wieder aufgeweicht haben. Angeblich habe er im März vorigen Jahres die Weisung gegeben, Gespräche befreundeter Politiker dürften jetzt wieder verwendet werden, wenn die mit jemand sprächen, für den sich der BND interessiere. Als Beispiel: Wenn der ukrainische Präsident Petro Poroschenko mit einem amerikanischen Chefdiplomaten rede und der BND das Gespräch abfange, sehe er kein Problem in der Auswertung des Gesprächs.

Die Flucht nach vorn hat nicht funktioniert

Poroschenko und die Ukraine passten zum sogenannten Aufklärungsprofil der Bundesregierung: Das heißt, der BND sollte sich nicht nur für Länder, sondern auch für Themen wie Drogen, Verbreitung von Waffen oder Terrorismus interessieren. So wird er womöglich erklären können, warum er sich für die französische Politik gegenüber nordafrikanischen Staaten interessierte. Anderes war selbst nach Auffassung in Regierungskreisen "einfach eine riesige Dummheit".

Erste Hinweise auf den Vorgang tauchten bereits vor Monaten im NSA-Untersuchungsausschuss auf. Seit Monaten versucht dieser eigentlich herauszufinden, in welchem Umfang der BND der NSA bei Spionageaktionen in Europa geholfen hat. Aber dann verplapperte sich einer der damals an der Löschaktion beteiligten Unterabteilungsleiter und erwähnte die Bereinigung der BND-eigenen Datenbank: "Das hing, glaube ich, zusammen mit der Aussage der Frau Bundeskanzlerin, Freunde hört man nicht ab."

Seither versuchten Abgeordnete immer wieder, Näheres über die Löschung in Erfahrung zu bringen, aber die Regierung blockte ab. Die Flucht nach vorn am vergangenen Mittwoch übrigens hat nicht funktioniert. Selbst die Parlamentarier der großen Koalition reagierten anders, als von der Regierung erwartet. Sie fassten den ungewöhnlichen Beschluss, sich öffentlich zu äußern und ihre eigenen Aufklärer in den BND zu schicken. Nächste Woche schon soll eine "Task-Force" ihre Arbeit aufnehmen. Zeugen sind zu vernehmen, Akten zu sichten. Die Liste der im Herbst 2013 gelöschten Selektoren ist noch da.

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