Frostige ägyptisch-israelische Beziehungen:Über das Ziel hinausgeschossen

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Vergeltung gehört im Nahen Osten zu den politischen Axiomen. Kein Schuss verhallt ohne donnerndes Echo, kein Angriff bleibt ohne Antwort. In altgewohnter Art hat Israel deshalb auf die Terrorattacken im Süden des Landes regiert - und erst einmal um sich gefeuert. Doch kaum hat sich der erste Rauch gelegt, muss die Regierung in Jerusalem erkennen, dass sie weit übers Ziel hinausgeschossen hat.

Peter Münch

Vergeltung gehört im Nahen Osten zu den politischen Axiomen. Kein Schuss verhallt ohne donnerndes Echo, kein Angriff bleibt ohne Antwort. In altgewohnter Art hat Israel deshalb auf die Terrorattacken im Süden des Landes regiert - und erst einmal um sich gefeuert. Doch kaum hat sich der erste Rauch gelegt, muss die Regierung in Jerusalem erkennen, dass sie weit übers Ziel hinausgeschossen hat.

Frostige Beziehungen zwischen Israel und Ägypten: Nicht ganz rechtschreibsicherer Protest an der israelischen Botschaft in Kairo (Foto: REUTERS)

Zerstört wurden nämlich nicht nur Terrorbasen im Gaza-Streifen. Beschädigt wurden auch die Beziehungen zu Ägypten. Und das droht die nahöstlichen Händel auf eine ganz neue, gefährliche Ebene zu heben.

Der Umgang mit dem postrevolutionären Ägypten ist gewiss nicht leicht für Israel. Niemand weiß, welchen Kurs Kairo letztlich einschlagen wird nach dem Sturz des Despoten Hosni Mubarak. Doch jeder weiß, dass es besser für Israel kaum werden kann. Im ägyptischen Volk hat der vor mehr als 30 Jahren geschlossene Frieden nie Wurzeln geschlagen, und jede neue Führung wird auch in diesem Punkt künftig mehr aufs Volk hören müssen. Für Israel bedeutet dies, dass im Umgang mit Ägypten derzeit äußerste Vorsicht und Sensibilität geboten ist. Gegen dieses Gebot aber hat die Regierung in Jerusalem nun grob fahrlässig verstoßen.

Als Erstes hatte Verteidigungsminister Ehud Barak unmittelbar nach den Terrorangriffen im Süden die ägyptischen Militärführer als Mitschuldige bezeichnet, weil sie den Sinai außer Kontrolle geraten ließen. Er mag damit recht haben, obwohl auch unter Mubarak die Wüstenregion kaum unter Kontrolle war. Klug war es gewiss nicht, die neuen Machthaber so öffentlich an den Pranger zu stellen.

Denn als dann bekannt wurde, dass den israelischen Vergeltungsschlägen versehentlich auch fünf ägyptische Grenzpolizisten zum Opfer gefallen sind, drehte die Führung in Kairo den Spieß um. Sie droht nicht nur mit dem Abzug ihres Botschafters aus Tel Aviv, sondern sie lässt auch dem Volkszorn freien Lauf. Nun brennen Flaggen mit dem Davidstern, und Hassparolen sind zu hören - bei den wütenden Protesten vor der israelischen Botschaft ist ein Blick in den Abgrund freigegeben worden.

So schnell dreht Israel sonst nicht bei

Wie sehr das die israelische Regierung erschreckt haben muss, ist an der eiligen Entschuldigung zu merken, die Verteidigungsminister Barak noch am Samstag zum Tod der Grenzwächter abgeben hat. So schnell dreht Israel sonst nicht bei - die türkische Regierung beispielsweise wartet immerhin schon mehr als ein Jahr auf eine Entschuldigung für den Tod von neun Menschen, die von der israelischen Marine beim Sturm auf ein Hilfsschiff für den blockierten Gaza-Streifen erschossen wurden. Der Streit darüber hat die strategisch bedeutsamen israelisch-türkischen Beziehungen ruiniert, selbst die Vereinigten Staaten haben die Regierung in Jerusalem hier nicht zu einer weicheren Haltung bewegen können. Doch einen Bruch mit Ägypten kann sich Israel noch viel weniger leisten als den mit der Türkei.

Mittlerweile ist es allerdings fraglich geworden, ob dieser Bruch überhaupt noch zu vermeiden ist. Schließlich geht es um viel mehr als um eine israelische Entschuldigung im aktuellen Fall, die der ägyptischen Führung überdies noch nicht klar und kleinlaut genug war. Es geht darum, dass Israel die Zeichen der Zeit richtig deutet und angesichts all der Veränderungen ringsum nicht mehr stur lediglich den alten Reflexen und den alten Axiomen folgt.

So ist es brandgefährlich, in diesen aufgewühlten Zeiten die Vergeltung für den Terrorangriff immer weiter eskalieren zu lassen. Israel fliegt Luftangriffe auf den Gaza-Streifen, die Palästinenser feuern Raketen auf Städte in Südisrael - seit Tagen schon schaukelt sich das hoch und kann sehr leicht außer Kontrolle geraten. Früher hat in solchen Fällen noch der alte Präsident in Kairo zwischen Israel und der Hamas vermittelt. Heute ist kein Vermittler mehr in Sicht.

© SZ vom 22.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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