FDP: Problem Westerwelle:Dr. Guido Planlos - wer rettet die FDP?

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Die FDP ist paralysiert durch ein Umfragetief, das Wahlfiasko in Nordrhein-Westfalen und eine expandierende Führungskrise. Parteichef Guido Westerwelle müsste Orientierung geben, muss sich aber selbst in seinen Rollen finden. Wer also rettet die FDP?

Thorsten Denkler, Berlin

Zu Pfingsten kam ganz viel Weisheit herab. "Und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an, zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen", heißt es in der Bibel über die Jünger Jesu.

Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle (Foto: DDP)

Im Jahr 2010 warten die Anhänger des Guido Westerwelle vergeblich auf ein ähnliches Ereignis. Hier kam zu Pfingsten kein Geist herab, sondern nur neuerlich Kakophonie in die Partei. Jeder redet frei über das eigene Dilemma.

Die FDP steckt in der Krise. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen: mit Pauken und Trompeten verloren. Die unvermeidlichen Umfragen: gerupft auf Stimmungswerte von gerade noch drei Prozent. Der Parteichef: ein verunglückter Phönix, der es keinem recht machen kann.

"Im Moment", sagt ein Mitglied des Parteivorstandes zu sueddeutsche.de, "hat der keinen Plan, wie es mit der FDP weitergehen soll."

Dr. Guido ist ratlos: Die FDP wirkt derzeit mit allem überfordert. Mit der Rolle als Berliner Regierungspartei, mit dem angeblichen Wunschkoalitionspartner CDU/CSU, mit der Finanzkrise, mit den Themen der Zeit.

Einige führende Liberale haben deshalb am Pfingstwochenende versucht, in anderen Sprachen zu predigen - um im Bild zu bleiben. Sie bringen sich damit in Position für die anstehende Analyse der Wahl in Nordrhein-Westfalen, die im Juni erst in der Bundestagsfraktion, später dann im Parteivorstand ansteht.

Am vergangenen Freitag machte FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den Anfang. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb sie ("Die Politik muss Vorrang vor dem Markt haben") darüber, was der "Kern einer neuen liberalen Agenda" sein könnte. Einer Agenda abseits unerfüllbarer Steuersenkungsversprechen, denn Liberale verteidigen demnach die soziale Marktwirtschaft nicht, "damit der Einzelne einfach mehr Geld besitzt". Die Ministerin setzt auf Regeln für einen entfesselten Finanzmarkt, "da der Markt nie Selbstzweck sein kann".

Ihren Parteichef erwähnt die Frau aus Bayern in dem Zeitungstext nicht mit einem Wort. Aber ihre Aufgabenbeschreibung für die FDP darf als Breitseite gegen Westerwelle verstanden werden. Der Außenminister hat - außer einer überzogenen Sozialstaatsdebatte - im ersten Regierungshalbjahr nicht viel getan hat, um die FDP weiter auf dem Umfragehoch vom Herbst 2009 zu halten.

Westerwelle verbittet sich Ratschläge über die Medien

Der zweite Großkritiker ist der von Westerwelle entmachtete einstige Partei- und Fraktionschef Wolfgang Gerhardt. Die Partei sei vor den NRW-Wahlen "zu wenig entscheidungsfreudig" aufgetreten, geißelt der Oldie zu Pfingsten im Berliner Tagesspiegel. Die Partei habe "nicht deutlich genug gemacht, dass die Konsolidierung des Haushalts und eine Transparenz im Steuersystem zusammengehören".

Schwerer noch aber wiegt sein indirekter Vorwurf, dem FDP-Chef Westerwelle mangele es an Führungsstärke. "Wir haben der Aussetzung der Steuerreform durch die Kanzlerin nicht klar genug widersprochen. Man muss selber stark und selbstbewusst sein, um dem Partner die Grenzen politischer Zumutungen aufzuzeigen. Es geht nicht an, dass die Bundeskanzlerin am Tag nach der NRW-Wahl so tut, als gebe es keine Steuersenkungen mehr. Diese Äußerungen waren nicht akzeptabel", wettert Gerhardt.

Mit den Klarworten der Kanzlerin, die offenbar genug vom Plaudern und Zaudern hatte, verlor die FDP ihren Markenkern. Botschaft Gerhardt an Westerwelle: Er müsse merken, dass sein "Umgang mit dem Thema Hartz IV nicht unbedingt in allen Teilen vorteilhaft war" und dass es auf Arbeitsergebnisse ankomme: "Die FDP muss außenpolitisch wieder stärker erkennbar werden."

Von allen Seiten hageln solche Merksätze auf den Parteivorsitzenden ein. Und Westerwelle? Ihm fällt dazu nicht mehr ein, als sich Ratschläge über die Medien zu verbitten.

Andere nehmen ihn in Schutz - doch auch das Lob kommt nicht ohne Gift aus. Der schillernde schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki etwa sagt, nicht Westerwelle sei das Problem, sondern vielmehr Birgit Homburger, die FDP-Fraktionschefin im Bundestag. Ja, aber wie kommt die Frau da wohl hin?

"Wenig hilfreich" findet der sächsische FDP-Partei und Fraktionschef Holger Zastrow derartige Kritik im Gespräch mit sueddeutsche.de. Bei Kubicki fehle einem ja etwas, wenn er nicht einmal pro Quartal mit Kritik aufwartet. Zastrow fordert erst mal Ruhe und Besinnung auf das, wofür die FDP so lange gekämpft habe. Was er meint: Auf keinen Fall dürfe die FDP die versprochenen Steuersenkungen aus dem Blick verlieren. Die müssten noch in "dieser Legislaturperiode kommen", sagt Zastrow. Auch und gerade in der Krise - wegen der erhofften Wachstumsimpulse.

FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger steht in der Kritik. Ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki sieht sie als Schwachpunkt der Liberalen in Berlin. (Foto: ag.ddp)

Im Moment aber macht zumindest den FDP-Parlamentariern im Bund mehr die Euro-Krise zu schaffen. Einige aus der erweiterten Parteiführung sehen eine "Erosion der Macht" in der Bundestagsfraktion. Die Fraktionäre hätten mit den milliardenschweren Rettungspaketen für Griechenland und dem Euro Dinge zu beschließen, die sie an der Basis niemandem mehr erklären könnten.

Dazu kommt noch die Dauerfehde mit der Union. Vor allem die CSU versucht alles, um die FDP nach dem Überraschungserfolg von 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 wieder auf Normalmaß zu stutzen.

Die Christsozialen schrecken nicht davor zurück, einmal getroffene Verabredungen kurzerhand wieder aufzukündigen. Jüngstes Beispiel: Aus dem von der Bundesregierung beschlossenen Stipendienprogramm und der Erhöhung des Bafögs wird wohl nichts. Einige Unionsländer sperren sich wegen der erwarteten Mehrkosten.

"Die behandeln uns, als wollten sie uns als Partner möglichst schnell loswerden", empört sich Parteivorstandsmitglied Alexander Pokorny, der nicht im Verdacht steht, Westerwelle nach dem Mund zu reden. "Wir müssen gegenüber der Union deutlich machen, dass wir nicht deren Praktikanten sind."

Nicht entschieden ist auch, wie offen die FDP künftig in der Koalitionsfrage sein soll. Westerwelle hat allein auf die schwarz-gelbe Karte gesetzt. Leutheusser-Schnarrenberger aber ist da dezidiert anderer Auffassung: "Ausschließeritis ist für mich keine Option in der Politik." Die FDP müsse ihre Koalitionspartner - genau wie die Union - nach inhaltlichen Überschneidungen aussuchen.

Abwarten, bis der Sturm vorüberzieht

Demnach hätte die FDP in Nordrhein-Westfalen wenigstens für Gespräche offen sein müssen. Jetzt steht sie als Totalverweigerin da, auf Gedeih und Verderb an die Launen der C-Parteien gefesselt. Während es die Union mal mit der SPD, mal mit der FDP, mal mit den Grünen probiert.

Der, der das jetzt alles erklären müsste, wäre Guido Westerwelle. Nur: Er macht es nicht. Seine Devise heißt: abwarten, bis der Sturm vorüberzieht. Und hoffen, dass dann alles wieder gut ist.

Nicht mal in der Eurokrise - mit ihren milliardenschweren Risiken für die Deutschen - schafft es Westerwelle, Orientierung zu geben. Stattdessen prügelte er in der vergangenen Woche im Bundestag auf die Opposition ein, weil die sich beim Rettungspaket für den Euro enthalten hat. Da war er wieder ganz Parteichef und nicht Außenminister.

Selbst Parteifreunde munkeln inzwischen, dass er es gar nicht besser gekonnt hätte. Einer, der sagt, dass er es wisse, erklärt, Westerwelle habe sich mit dem komplexen Thema Euro eben "ein Leben lang nicht beschäftigt". Dass der FDP-Chef auf Detailkenntnis gerne verzichtet, darüber stöhnen bereits seine Mitarbeiter im Auswärtigen Amt.

Nicht Homburger, sondern Westerwelle ist zum größten Problem der Partei geworden. Er hat es bisher nicht mal geschafft, Parteivorsitz und Außenamt in Einklang zu bringen.

Zu lösen wäre das Dilemma für einige nur, wenn Westerwelle eines seiner beiden Ämter aufgibt. Die einen in Partei und Bundestagsfraktion raten dazu, er solle den glücklosen Rainer Brüderle als Bundeswirtschaftsminister ablösen. Andere wollen lieber einen neuen Parteichef.

Oder eine neue Parteichefin: Einer aus dem Parteivorstand bringt gegenüber sueddeutsche.de den Namen jener Frau ins Spiel, die in der FAZ den programmatischen Gastbeitrag geschrieben hat: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Sie wäre eine Übergangskandidatin. Aber sie könnte den Job so lange machen, bis potentielle Nachfolger genügend Profil entwickelt haben. Leute wie Generalsekretär Christian Lindner, 31, oder Gesundheitsminister Philipp Rösler, 37.

Doch kann Westerwelle, 48, sich das erlauben? Das Außenamt aufgeben, käme einem Offenbarungseid gleich. Der Parteivorsitz wiederum ist seine wichtigste Machtbasis. Darum halten andere es für besser, er behielte beide Ämter, überlasse die Parteiführung aber de facto seinem jungen Generalsekretär Lindner.

Doch Westerwelle gilt als notorisch misstrauisch gegenüber möglichen Konkurrenten. Darüber hinaus hält er sich selbst grundsätzlich für den Besseren. Wenn nicht der Parteienproporz ein Mindestmaß an Ämtertrennung verlangte, er würde sich wohl ohne weiteres zutrauen, Außenminister, Vizekanzler, Parteichef, Generalsekretär und Fraktionsvorsitzender in Personalunion zu sein.

Eine weitere Baustelle schließt sich daran nahtlos an: das Personaltableau der Partei. In der Kritik stehen vor allem zwei der drei stellvertretenden Parteivorsitzenden. Der neue Chef der Jungliberalen, Lasse Becker, hat schon öffentlich bemerkt, dass die Performance von Rainer Brüderle und Cornelia Pieper zu wünschen übrig lasse. Das sei noch "Luft nach oben", sagte er - und viele haben innerlich applaudiert.

Anderen im Parteivorstand stößt auf, dass die Partei an der Spitze fast ausschließlich von Regierungsmitgliedern repräsentiert wird. Eine Anbindung an die Basis sei damit schwierig. Lasse Becker will zwar "ein Dreivierteljahr vor dem Parteitag keine Personaldebatte", sagt er zu sueddeutsche.de - aber auch er glaubt, "dass es die Mischung macht".

Noch ist die "Weiter-so"-Fraktion in der FDP nicht geschlagen. Noch sind jene, die sich ein anderes Außenbild der FDP wünschen, in der Minderheit. "Wir müssen stehen", sagt etwa Holger Zastrow aus Sachsen. "Das Entscheidende ist, nicht zu wackeln." Andere würden sagen, jetzt ist mehr denn je Bewegung nötig, um die Partei auf einen besseren Kurs zu bringen.

Klar ist nur: Die Partei muss sich für einen Weg entscheiden. Oder sie hofft einfach darauf, dass wie zu Pfingsten der Heilige Geist über sie fährt.

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