Extremisten-Gruppe Sharia4Belgium:Haftstrafe im größten Islamisten-Prozess Europas

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  • In Antwerpen gab es Urteile im bislang größten Dschihadisten-Prozess Europas. 46 Angeklagten wurde vorgeworfen, als Kämpfer nach Syrien gereist zu sein oder Kämpfer rekrutiert zu haben. Die meisten Beschuldigten waren nicht anwesend.
  • Eine zentrale Rolle spielte die Organisation Sharia4Belgium, die junge Belgier für den "Heiligen Krieg" in Syrien vorbereitet haben soll. Ein Gründer der mittlerweile verbotenen Gruppe erhielt zwölf Jahre Haft.
  • Der 20-jährige Jejoen Bontinck sagte als Zeuge in dem Prozess aus. Er hatte für Schlagzeilen gesorgt, als sein Vater ihm nach Syrien nachreiste, um den Sohn zurückzuholen.

Größter Dschihadisten-Prozess Europas

Im belgischen Antwerpen sind heute Urteile in einem der bislang größten Dschihadisten-Prozesse Europas gefallen. 46 mutmaßliche Islamisten waren angeklagt. Das Verfahren, das unter strengen Sicherheitsvorkehrungen lief, war über diese bloße Zahlen hinaus bedeutsam: Seit September versucht die belgische Justiz, Antworten auf die Frage zu finden, warum sich im Land besonders viele junge Leute radikalisieren.

Alle 46 Angeklagten waren offenbar Mitglieder der islamistischen Gruppe Sharia4Belgium. Diese Organisation soll junge Männer für den Dschihad rekrutiert und nach einer entsprechenden Gehirnwäsche in den "Heiligen Krieg" nach Syrien geschickt haben.

Nur acht der Angeklagten tauchten jedoch vor Gericht auf - die anderen sollen sich weiterhin in Syrien aufhalten, sofern sie überhaupt noch leben und nicht in den Gefechten umgekommen sind.

Aus Belgien kommen gemessen an der Bevölkerungszahl die meisten europäischen Kämpfer, die sich der Terrorgruppe "Islamischer Staat" anschließen. Mehr als 300 Personen sollen das Land gen Syrien und Irak verlassen haben, wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf das International Center for the Study of Radicalisation berichtet.

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Von Jannis Brühl

Sharia4Belgium - Rekrutierung und Gehirnwäsche

2010 wurde die salafistische Organisation gegründet. Seitdem setzt Sharia4Belgium sich dafür ein, das Gesetz der Scharia in Belgien zu etablieren. Zunächst beschränkte sich die Organisation lediglich darauf, zu provozieren, wie der deutschsprachige belgische Rundfunksender BRF berichtet.

Zunehmend konzentrierte sich die Gruppe aber darauf, neue Mitglieder anzuwerben und zu radikalisieren, 2012 wurde die Organisation zerschlagen. Mittlerweile geht man davon aus, dass Sharia4Belgium einen wesentlichen Anteil daran hat, dass gerade aus Belgien so viele junge Männer in den Dschihad zogen. Der britischen BBC zufolge gehen Experten davon aus, dass zehn Prozent der Belgier, die in Syrien kämpfen, Verbindungen zu Sharia4Belgium haben.

Im Prozess legten die Ermittler im Detail dar, wie Sharia4Belgium junge Männer - und auch einige wenige junge Frauen - auf den Straßen von Antwerpen und Vilvoorde nördlich von Brüssel angesprochen hat, um diese in ihre Zentrale in Antwerpen einzuladen. Dort sollen die jungen Leute dann indoktriniert und auf ihre Reise nach Syrien vorbereitet worden sein. Das klare Ziel sei es gewesen, diese auf den bewaffneten Kampf vorzubereiten, so Staatsanwalt Luc Festraets.

In Syrien sollen die Belgier dann in Terrorgruppen wie der Al-Nusra-Front gekämpft haben, die später im "Islamischen Staat" aufgegangen sind. Bislang konnte Sharia4Belgium BRF zufolge jedoch nicht nachgewiesen werden, einen Terroranschlag vorbereitet zu haben. Daher wehrt sich die Gruppe gegen die Bezeichnung "Terrororganisation".

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Kommentar von Cerstin Gammelin

Fouad Belkacem - der wichtigste Angeklagte

Eine Schlüsselfigur der belgischen Islamisten-Szene ist der 32-jährige Fouad Belkacem, einer der Gründer und Sprecher von Sharia4Belgium. Er erhielt eine Haftstrafe von zwölf Jahren.

Belkacem wurde in der Kleinstadt Rumst, zwischen Brüssel und Antwerpen, geboren. Er soll eng mit dem britischen Salafisten Anjem Choudary zusammengearbeitet haben, dem Kopf der mittlerweile verbotenen Organisation al-Muhajiroun. Choudary wurde vergangene Woche von den britischen Behörden verhaftet.

"Belkacems Worte können nur als ein Aufruf zu Gewalt und Dschihad verstanden werden" - so zitiert Reuters die Staatsanwältin Ann Fransen in Bezug auf eine Reihe Predigten und Videomitschnitte, die den Angeklagten zeigen.

Laut Urteil predigt Sharia4Belgium den bewaffneten Kampf und möchte die Demokratie in Belgien durch einen islamischen Staat ersetzen. Die Staatsanwaltschaft hatte schon zu Beginn des Prozesses "exemplarische" Strafen gefordert, wie BRF schreibt. Nach den Anschlägen von Paris und dem Anti-Terror-Einsatz im belgischen Verviers war es wahrscheinlicher geworden, dass das Gericht ein hohes Strafmaß verhängt.

Jejoen Bontinck - der Kronzeuge

Eine weitere spannende Figur in dem Prozess ist der Konvertit Jejoen Bontinck. Der 20-Jährige hatte Schlagzeilen gemacht, als sein Vater Dimitri nach Syrien reiste, um den Sohn zurückzuholen, wie die BBC berichtet. Dem mittlerweile 20-jährige Jejoen, der an einer Michael-Jackson-Casting-Show teilgenommen hat, drohen vier Jahre im Gefängnis. Er ist wegen der Verletzung von Gerichtsauflagen in einem Fall von Gewalt gegen seine Freundin angeklagt.

Im Dschihadisten-Prozess von Antwerpen sagt Bontinck als Zeuge der Staatsanwaltschaft gegen die übrigen Angeklagten aus. Der BBC zufolge gab er an, dass Sharia4Belgium gezielt Jugendliche angesprochen hat, die während ihrer Pubertät Krisen erlebt haben. In seinem Fall sei dies eine zerbrochene Teenie-Romanze gewesen.

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