Euroländer einigen sich auf neues Griechenland-Paket:Merkel, Sarkozy und Co. - zur Vernunft gezwungen

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Nervraubend, aber nicht verplempert: Die griechischen Krisenmonate haben die Europäische Union zu wichtigen Reformen gezwungen. Es war richtig, dass EU-Ratspräsident Van Rompuy einen Sondergipfel einberief und so klarmachte, dass die Zeit drängt. Das Positive an der Brüsseler Einigung: Es gibt genügend Folterinstrumente, um Krisenstaaten zur Modernisierung zu zwingen, und die Volksseele wird beruhigt, weil sich die Banken am Schuldenschnitt beteiligen.

Stefan Kornelius

Viele Probleme im Leben lassen sich lösen - es muss nur ausreichend viel Leidensdruck entstehen. Dann verschieben sich plötzlich die Perspektiven, Alternativen erscheinen nicht mehr als attraktiv, die klaren Konturen einer Lösung treten aus dem Nebel der Optionen hervor.

Vor Beginn des EU-Sondergipfels zu Griechenland traf sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou (li.) und Frankreichs Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy (re., von hinten zu sehen) zu einem Gespräch. Es gab Saft aus dem Supermarkt, Gummibärchen, Doppelkekse und Kaffee aus der Thermoskanne. (Foto: dpa)

Leidensdruck beschleunigt die Entscheidung, weshalb man heute ohne große Spekulation sagen kann: Der politische Leidensdruck in Europa muss unermesslich hoch gewesen sein, als die Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe am Donnerstag wieder mal zur Rettung Griechenlands schritten.

Wie dieser besondere Leidensmoment zustande kam, bleibt teilweise ein Rätsel. Der so unscheinbare wie gewiefte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy jedenfalls hat ein sehr gutes Gespür bewiesen, als er vor gut einer Woche aus dem Blauen heraus einen Sondergipfel ins Spiel brachte.

Wie alle Schulden-Jongleure aus der EU-Führungsriege war wohl auch Van Rompuy entsetzt über das italienische Regierungsduo Berlusconi/Tremonti. Der Premier und sein Finanzminister hatten ihr Land durch fahrlässiges Gerede geradezu in den Schlund der Finanzmonster getrieben. In diesem Moment war klar: Europa darf wieder einmal keine Zeit verlieren.

Der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel schmeckte die Gipfel-Idee gar nicht, aber Van Rompuys bloße Ankündigung hatte die Szene in Ekstase versetzt. Plötzlich war offensichtlich, was Van Rompuy gespürt haben musste: Es gibt nicht nur einen politischen Willen zu einer Lösung, es gibt einen Zwang.

Schönwetter-Währung Euro

Wer sich zum Sondergipfel trifft, der muss einen besonderen Beschluss fassen. Wer sich in diesem Moment historischer Schwäche Europas und seiner Währung lediglich zum Bla-bla verabredet, der wird bitter bestraft werden. Die Ankündigung alleine reichte aus, um in dieser verdichteten Situation den Erfolgszwang auszulösen.

Seit Februar 2010 gilt Griechenland als zahlungsunfähig. Schon viel länger war klar, dass die durch die Bankenkrise und eine unverantwortliche Haushaltspolitik aufgetürmten Schulden die Währung unter sich begraben könnten. Das Schuldenproblem offenbarte, dass sich die EU in eine Falle manövriert hatte: Der Euro ist eine Schönwetter-Währung. Krisen sind nicht vorgesehen. Wenn ein Staat mit der Währung Schindluder treibt, dann stehen alle im Regen.

Hinter den Kulissen des EU-Gipfels
:Mit Gummibärchen zum Milliarden-Deal

Europa hat zäh verhandelt - die Beschlüsse des Sondergipfels in Brüssel feierten vor allem Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy. Aber wie kamen die Mächtigen Europas zu ihrer Einigung? Ein Blick hinter die Kulissen des Gipfels.

Für Deutschland war das Problem besonders prekär. Wer so überproportional von der gemeinsamen Währung profitiert, der haftet auch überproportional für den Schaden. Doch diese Haftungsklausel war bei der Gründung des Euro weder vorgesehen noch ernsthaft bedacht worden. Und die politische Stimmung in Deutschland ließ auch nicht zu, dass die Republik in Abwägung aller Vor- und Nachteile der gemeinsamen Währung einen großzügigen Akt der Rettung beschließen könnte.

Nun beteiligen sich auch Banken und Privatwirtschaft am Griechenland-Rettungspaket. (Foto: dpa)

Der Euro ist nicht nur eine nackte Währung, sondern auch ein politisches Instrument. Es gibt kein stärkeres, das die EU als Gemeinschaft zusammenhält. Kollabiert der Euro, dann fliegt auch die Union auseinander. Hier entstand der größte Druck, dem die Bundesregierung anderthalb Jahre lang ausgesetzt war. Die Europäische Union und der Euro gehören zur deutschen Staatsraison, sie mussten also gerettet werden.

Gleichzeitig verbot aber die Volksraison eine Rettung ausschließlich auf Kosten der Steuerzahler. Die Banken und Versicherungen mussten ebenfalls zahlen. Außerdem mussten die Schuldenstaaten zu Reformen animiert werden. Und die Sache würde sich in Zukunft nicht wiederholen dürfen. Die Krise spülte also eine Reihe von Problemen an die Oberfläche, die bei der Gründung des Euro umschifft worden waren, und die nun im Schatten der drohenden Staatspleiten angepackt werden konnten.

Deswegen waren die griechischen (und irischen, portugiesischen, spanischen) Krisenmonate zwar nervraubend, aber nicht verplempert. Die Europäische Union hat seit dem vorvergangenen Frühjahr eine Reihe beeindruckender Reformen beschlossen, die ohne den Problemdruck nicht zustande gekommen wären. Der Rettungsschirm wird nun zum Instrument des Schuldenmanagements.

Der europäische Stabilitätspakt bietet eine Reihe von Folterinstrumenten (wenn auch noch nicht ausreichend viele), um bei den Euro-Nutznießern Haushaltsdisziplin und Modernisierungsdruck zu erzwingen. Und für die Volksseele ist es Balsam, dass der Schuldenschnitt für Griechenland nicht nur von Staaten (via Europäische Zentralbank und Rettungsschirm) bezahlt wird, sondern auch von privaten Instituten. Die standen schließlich auch am Beginn der Finanzkrise, als 2008 Lehman Brothers kollabierte.

In den USA liefern sich Republikaner und Demokraten einen erbitterten Streit über den richtigen Umgang mit ihren Schulden. Tatsächlich handelt es sich hier aber um eine ideologische Auseinandersetzung, die den Kern des Systems angreift: Wie viel Staat wollen die Amerikaner, wie sozial soll das Land sein?

Die Europäer können in dieser Woche feststellen: Es gibt viele Möglichkeiten, den Euro zu retten und Griechenlands Probleme zu mildern. Das System aber stellt niemand mehr in Frage. Der Euro bleibt.

© SZ vom 22.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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