Sie sind selten geworden, aber es gibt sie noch: Zeichen der Normalität inmitten einer scheinbar nicht enden wollenden europäischen Krise. Mit welchem Mandat, wollte der belgische Premier Charles Michel beim EU-Gipfel erbost wissen, würden Angela Merkel und François Hollande gesondert mit dem Griechen Alexis Tsipras verhandeln? Die Antwort kennt Michel natürlich selbst. Es gibt kein Mandat. Jedenfalls keines, das sich in irgendeinem Unterparagrafen europäischer Verträge nachschlagen ließe.
Wenn nicht Merkel, wer dann?
Was Merkel und Hollande - endlich - gemeinsam in der EU tun, resultiert aus der Kraft des Faktischen und folgt der Macht des Notwendigen. In einer Union der - laut der Verträge - Gleichen ist es normal, dass dies Unmut erregt. In einer Union, die funktionieren soll, ist es aber auch unerlässlich, dass Deutsche und Franzosen sich darüber in begründeten Fällen hinwegsetzen.
Worin ein solcher Grund liegen kann, hat sich exemplarisch im Konflikt mit Russland gezeigt. Die Kanzlerin hat die Verhandlungen nicht an sich gerissen, sondern sich der Verantwortung ergeben. In einem Europa der Träume wäre es wünschenswert, dass die EU ihrem Verständnis als Friedenskraft folgend die Führung übernimmt, wenn es darum geht, Kriege auf dem Kontinent ohne Waffengewalt zu beenden. Im realen europäischen Albtraum fehlt es der EU an Autorität und auch an Autoritätspersonen für diese Aufgabe. Die Frage, warum es die deutsche Kanzlerin sein muss, lässt sich daher mit der Gegenfrage beantworten: Wenn nicht sie, wer dann?
Gespräche über Griechenland-Krise:Athen ist in der Wirklichkeit angekommen
Eine dürre Erklärung ist das Ergebnis der nächtlichen Diskussionen zwischen Tsipras und den europäischen Kreditgebern. Und doch sagen diese wenigen Sätze ziemlich viel.
Déjà-vu in Brüssel: Deutschland und Frankreich werden gebraucht, die EU anzutreiben
Von den großen Staaten der EU befinden sich praktisch alle in mehr oder weniger großer wirtschaftlicher Not. Oder sie sind, wie Großbritannien, aus anderen Gründen mit sich selbst beschäftigt. Allein daraus resultiert eine Sonderrolle, die für Deutschland nicht leicht zu schultern und für den Rest der EU nicht immer gut zu ertragen ist.
Zur Schau getragene Stärke führt in der EU nur zu Schwäche. Sie provoziert Abwehr und macht Führung unmöglich. Merkel braucht deshalb einen Partner. Sie braucht Hollande. Nur mit ihm zusammen etwa konnte sie in Minsk auch für die EU sprechen.
Deutsch-französische Freundschaft:Merkels "lieber Freund" in Paris
Das Verhältnis von Merkel und Hollande war lange steif und bemüht. Wenn die Kanzlerin heute den französischen Präsidenten in Paris zur Vorbereitung des G-7-Gipfels trifft, wird deutlich: Sie sind sich politisch näher gekommen.
Die EU ist auf den deutsch-französischen Motor angewiesen
Zumindest in dieser Hinsicht ist die Union wieder dort angekommen, wo sie schon vor Jahrzehnten war. Sie lebt von wechselnden Bündnissen, unterschiedlichen Interessengemeinschaften, ist zur Fortbewegung aber immer angewiesen gewesen auf den deutsch-französischen Motor. Wenn er läuft, ist er den anderen gelegentlich zu laut. Steht er aber, ist die Stille nicht zu ertragen.
Auf Dauer ist es noch keiner Paarung aus deutschem Kanzler und französischem Präsidenten gelungen, sich dieser Erkenntnis zu entziehen. Merkel und Hollande ist nur vorzuwerfen, dass sie dafür so lange gebraucht haben.
Der kleine Griechenland-Gipfel in Brüssel mit Merkel und Hollande entsprach einem Wunsch von Ministerpräsident Alexis Tsipras. Nichts wäre gewonnen gewesen, hätten Kanzlerin und Präsident dem Griechen die Nacht im Zentrum der Macht verweigert. Sie hat Tsipras keinen neuen Deal gebracht und konnte es auch nicht. Womöglich hat sie aber geholfen, den Ministerpräsidenten zur Einhaltung griechischer Verpflichtungen zu bewegen. Womit dann auch Belgien geholfen wäre.