EU-Asylpolitik:So könnte der Flüchtlingsdeal mit der Türkei noch platzen

Turkey's Prime Minister Ahmet Davutoglu Meets European Leaders At Refugee Summit

Der türkische Premier Ahmet Davutoglu beim Handschlag mit EU-Präsident Donald Tusk: Vom zweiten Teil ihres Deals ist kaum die Rede.

(Foto: Bloomberg)
  • EU und Türkei haben sich auf einen Deal geeinigt, der helfen soll, die Flüchtlingsfrage zu lösen.
  • Allerdings steht bislang nur die erste Hälfte der Vereinbarung, der Beitrag der EU dagegen geht in der öffentlichen Wahrnehmung bisher fast unter.
  • Die andere Hälfte besteht in der Absicht, der Türkei darüber hinaus Hunderttausende Flüchtlinge direkt abzunehmen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Es war schwierig genug, den Deal zu erreichen, den die EU am Freitag mit der Türkei vereinbart hat. Noch schwieriger ist es, ihn umzusetzen. Die 4000 Experten, die bei der Rückführung der Flüchtlinge in die Türkei helfen sollen, treffen nach und nach in Griechenland ein. Eine Weile wird das Land noch überfordert sein, es braucht Geduld. In Brüssel weiß man um die Herausforderung, zumal die EU-Kommission, die die Hilfe organisiert, dafür nicht den logistischen Apparat hat. Sie ist angewiesen auf die Kooperation und den guten Willen der Mitgliedstaaten.

Vor lauter Anstrengung droht aber ein wesentlicher Teil der Vereinbarung übersehen zu werden. Denn der Eins-zu-eins-Mechanismus - für jeden aus Griechenland zurückgebrachten Syrer nimmt die EU der Türkei einen anderen Syrer ab - ist nur die Hälfte des Deals mit der Türkei. Ob dabei 18 000 oder 72 000 Flüchtlinge umgesiedelt werden, spielt insofern keine Rolle, als man in Berlin und Brüssel glaubt, dass der Mechanismus gar nicht groß zum Tragen komme, wenn die Migranten erst verstanden hätten, dass sich dieser Weg nicht mehr lohnt für sie.

Flüchtlinge auf der Insel Lesbos

Der Zustrom von Flüchtlingen auf die griechische Insel Lesbos hält - vorerst - an.

(Foto: dpa)

Die andere Hälfte besteht in der Absicht, der Türkei darüber hinaus Hunderttausende Flüchtlinge direkt abzunehmen. So steht es in Punkt vier der Vereinbarung: "Wenn die irregulären Überfahrten von der Türkei in die EU gestoppt oder zumindest substanziell und nachhaltig reduziert wurden, wird ein ,Freiwilliges Humanitäres Aufnahmesystem' aktiviert. Dazu tragen die EU-Mitgliedstaaten freiwillig bei."

An dem Aufnahmesystem wird seit Monaten gearbeitet. Noch stehen nicht alle Details. Sicher ist aber, dass die Europäer Hunderttausende werden ausfliegen müssen - immerhin keine Millionen, und ohne Massensterben in der Ägäis. Sicher ist auch, dass sich die Türkei ohne diesen Punkt nie eingelassen hätte auf den Deal. Sonst würden ja alle neu ankommenden Flüchtlinge immer nur bei ihr bleiben.

Darüber wäre zu reden, auch aus Ehrlichkeit gegenüber den Bürgern

In der öffentlichen Wahrnehmung geht dieser Teil aber fast unter, woran die Politiker nicht unschuldig sind. Als die SZ den Regierungschef eines wichtigen EU-Staates nach dem Gipfel dazu befragte, verneinte er, dass der Punkt überhaupt vereinbart worden sei. Ein Diplomat zeigte ihm dann den Passus. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach ihn zwar an am Freitag, ihre Regierung informiert darüber aber eher zurückhaltend.

"First things first", sagt der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, erst das Naheliegende lösen. Ein anderes Motiv liegt näher: Weder in Berlin noch sonstwo hat man Lust, schon wieder über die Verteilung von Flüchtlingen nachzudenken - und zu streiten. Denn die Aufnahme ist, wie gesagt, freiwillig; die verpflichtenden Quoten sind gescheitert. Gut möglich, dass Deutschland und ein paar wenige andere das alleine schultern.

Darüber wäre zu reden. Nicht nur aus Ehrlichkeit gegenüber den eigenen Bürgern. Sondern auch, weil sich die Türkei auf die EU verlässt. Halten die Europäer nicht Wort, könnte der ganze Deal platzen. Damit das nicht passiert, macht Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative einen Vorschlag: "Die EU sollte das System jetzt aktivieren und sofort ein paar Hundert Flüchtlinge direkt abnehmen." Nichts in der Vereinbarung spreche dagegen.

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