Essen und Trinken:Die Verwandlung des Sattmachers

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Labskaus hat es von der Kombüse in die schicken Restaurants Hamburgs geschafft und wird dort neu interpretiert. Die Herkunft des einstigen Arme-Leute-Essens ist aber immer noch rätselhaft.

Von Ingrid Brunner

Hört man sich als Mensch aus dem Süden Deutschlands in Hamburg nach dem Labskaus und seiner Entstehung um, erhält man viele Antworten, die sich am Ende zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Ist das nun ein Arme-Leute-Essen oder eine kluge Resteverwertung wie das Tiroler Gröstl? Thomas Martin, Chef im Jacobs Restaurant an der noblen Elbchaussee sagt: "Das war ein Seemannsgericht." Martin ist sich nicht zu fein dafür, eine Meinung zu Labskaus zu haben. Er isst es sogar, "gerne im Fischereihafenrestaurant oder in Lübeck in der Schiffergesellschaft". Auf seiner Speisekarte steht es nicht, aber als Amuse-Gueule oder als typisch hamburgisches Löffelfood für Stehempfänge bietet er es an. Und er nimmt sich ein Stündchen Zeit, seine Labskaus-Version zuzubereiten.

Wer nun meint, im historischen und herrlich restaurierten Hotel Louis C. Jacob werde die Speise mit Wachtelei und Blattgold gekrönt, der irrt. "Das entspricht nicht meiner Philosophie", sagt Martin.

Geschmackssache
:Skyr

Es geht um Frischkäse aus entrahmter Milch, der aber stark an dickflüssigen Joghurt oder Quark erinnert: Isländischer Skyr erobert gerade die USA und Europa. Warum? Ganz einfach: Das Zeug ist der feuchte Traum jedes Lebensmittelmarketings.

Von Marten Rolff

Der gebürtige Mannheimer hat sich seine zwei Sterne mit einer klaren, schnörkellosen maritimen Linie erkocht. Er ist von der französischen Küche geprägt und setzt auf regionale Produkte: Fisch aus nordischen Gewässern, Fleisch aus Schleswig-Holstein. Alles muss den Geschmack des Hauptgerichts unterstreichen. Auf das Labskaus übertragen heißt das: "Wichtig ist das Säurespiel: Die sämigen Kartoffeln und das Rindfleisch vertragen etwas Säure." Sagt's und kocht Rote-Bete-Saft ein, gibt ein wenig Gurkenbrühe zu und mischt die Reduktion unter den Kartoffel-Rindfleisch-Brei. Überraschend dunkelrot und relativ flüssig ist das Ergebnis, ganz anders als der sonst eher rosa-gräuliche Brei, der gnädigerweise von Spiegelei und Hering zugedeckt ist. Bei Martin umkränzen frischer Hering, Rote Bete und Gürkchen das Labskaus sehr ästhetisch. Ganz ohne Chichi, aber frisch und geschmacksintensiv, das Fleisch hat noch Struktur - fein.

Im Traditionslokal Deichgraf in der Deichstraße darf Labskaus selbstverständlich nicht fehlen. Die Gäste erwarten es, ebenso wie den Pannfisch mit Senfsoße oder die Kutterscholle Finkenwerder Art. Man sitzt hier behaglich wie in einer feinen hanseatischen Wohnstube unter alten Kronleuchtern, mit Blick auf das Nikolaifleet. Doch die Zeiten haben sich auch im Deichgraf geändert. Labskaus gibt es hier ganz pfiffig auch als Vorspeise - die perfekte Probierportion.

Das ist praktisch für all jene, die sich nicht so recht an das Gericht herantrauen. Es ist vielleicht ein bisschen wie mit der Weißwurst - die sieht für Neulinge ja auch ein wenig gewöhnungsbedürftig aus. Doch für "Deichgräfin" Magret Ismer ist die Sache klar: "Labskaus muss man in Hamburg einfach mal gegessen haben", sagt die Wirtin charmant-resolut. Früher hat Ismer auf der MS Europa als Stewardess gearbeitet und viel von der Welt gesehen. Seit 2003 betreibt sie mit ihrem Lebensgefährten Thies Conle, der in der Küche das Sagen hat, den Deichgraf. Conles Labskaus-Interpretation erinnert in der Optik zunächst an Beef Tartare mit Ei. Also tiefrot dank viel Roter Bete unter den Kartoffeln. Anders als Thomas Martin verwendet er statt Rindfleisch Corned Beef. "Corned Beef muss!", sagt Magret Ismer mit großer Überzeugung. Rindfleisch oder Corned Beef - ein viel diskutierter Streitpunkt. Als Zugabe zur Vorspeise serviert Magret Ismer Wissenswertes zur Genese der Speise. "Im Labskaus ist alles, was haltbar ist und man auf große Fahrt mitnehmen konnte", erklärt sie. Und das waren zu Zeiten, als es noch keine Gefriertruhen und Pulversuppen gab: Geräuchertes, Gesäuertes, Eingelegtes und sonst Haltbares. Also Kartoffeln, Zwiebeln, Rüben, gepökeltes Fleisch, Gurken, Rote Bete, Eier, Heringe.

Die Herkunft des Wortes Labskaus ist unklar. Häufig zu lesen ist, dass das Wort zurückgeht auf das englische "lobscouse", was wiederum eine Verballhornung ist von "lout's course", und das bedeutet so viel wie Speise für Flegel. In englischen Wörterbüchern jedenfalls wird lobscouse als Seemannsessen aus Fleisch, Kartoffeln und Gemüse definiert. Anfang des 18. Jahrhunderts kam in England statt der Kartoffeln auch mal Schiffszwieback in den Eintopf. In Norwegen verwendete man Stockfisch statt Hering - durchaus naheliegend, man saß ja an der Quelle. Was man zur Hand hatte, kam rein in den Kartoffelstampf.

Ein Grund, warum das Essen an Land populär wurde, ist, dass man es gut kauen kann

Das heißt, Labskaus ist ein Thema mit Variationen. Es ist ein wenig wie mit Angela Merkels Kartoffelsuppe, die nicht nur jede märkische Hausfrau, sondern Menschen in ganz Deutschland höchst unterschiedlich zubereiten. Folglich gibt es auch nicht "das" einzig richtige Labskaus. Vielmehr ist es ein Gericht, das in England, im Nord- sowie im Ostseeraum bis ins Baltikum verbreitet ist.

Aufs Baltikum als eine Erklärung, woher das Wort Labskaus stammen könnte, verweist schließlich Björn Juhnke, ein junger Chef, der seit knapp vier Monaten sein Restaurant HACO in der Clemens-Schultz-Straße in St. Pauli betreibt. "Das bedeutet in der lettischen und der litauischen Sprache so was wie ,gute Schüssel'", sagt er. Eine passende Deutung. Wie Thomas Martin sagt er, das sei ein Seemannsessen. Ein Grund, weshalb es an Land populär wurde, ist laut Juhnke der Umstand, dass Labskaus für die alten Matrosen, deren Zähne durch Skorbut wackelig wurden, gut essbar war.

Längst hat sich das Labskaus vom Sattmacher und Seelenwärmer zum trendigen Essen gewandelt. Auch wer nicht auf See den Elementen getrotzt hat, kann es nun als kalt-warmes Entree oder Hauptgang wählen. Björn Juhnke serviert es mit selbst mariniertem Gartengürkchen und Dillblüten. Auch seine Version ist dunkelrot. Den Teller überpudert er zudem fein mit Rote-Bete-Staub. Und zur Krönung gibt es obendrauf zwei Wachteleier.

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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