Ehemalige Sowjetunion:Die große Freiheit muss warten

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1991 wurde die Lenin-Statue in Berlin demontiert, der Kopf verbuddelt, erst dieses Jahr wieder geborgen. In zahlreichen Ex-Sowjetstaaten ist der Personenkult der UdSSR noch präsenter. (Foto: dpa)
  • Nach dem Zerfall der UdSSR demokratisierte sich das Baltikum schnell, in vielen Staaten allerdings herrscht noch Personenkult und Autokratie.
  • Vor allem die Zentralasiatischen "-stan" Ländern setzen "Stabilität" vor Bürgerbeteiligung.
  • Auch spüren viele Ex-Sowjestaaten wie die Ukraine oder Georgien noch die Nachwehen des Kalten Krieges, sind zwischen Ost und West gefangen

Von Frank Nienhuysen, München

Noch dringt wenig aus dem exotischen Reich, in das westliche Journalisten nur privat als Tourist einreisen dürfen, um sich den türkisfarbenen Registan-Platz von Samarkand anzusehen, den Basar von Buchara oder die Oasenstadt Chiwa. Usbekistan ist seit 25 Jahren unabhängig, und erstmals seit einem Vierteljahrhundert hat es jetzt einen neuen Präsidenten: Schawkat Mirsijajew. So viel weiß man wenigstens: Er hat sogleich eine Ausschreibung eingeleitet, um den verstorbenen Vorgänger Islam Karimow mit einem stattlichen Denkmal zu würdigen. Personenkult ist Ehrensache in vielen der ehemaligen Sowjetrepubliken.

Von Dauerpräsidenten und Repressionskultur

Vor allem die zentralasiatischen Staaten haben einige prägende Merkmale des sowjetischen Herrschaftssystems übernommen: einen zentralistischen Staat, eine autoritäre Führung und kaum Kontrolle durch eine Opposition, ein starkes Parlament oder freie Medien. Karimow hat in Usbekistan bis zu seinem Lebensende regiert, das tat auch Turkmenbaschi, der "Vater aller Turkmenen" in Turkmenistan, bis sein Herz stehen blieb. Und in Tadschikistan herrscht seit mehr als 20 Jahren Emomali Rachmon. Autoritäre Dauerpräsidenten gibt es auch in europäischen Ex-Republiken der UdSSR: in Weißrussland Alexander Lukaschenko und in Aserbaidschan, wo die Familie Alijew - erst der Vater, jetzt der Sohn - ebenfalls seit zwei Jahrzehnten ohne offene Herausforderer den Kurs bestimmen.

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Stabilität ist für sie alle das entscheidende Zauberwort, mit dem sie ihre harte Hand rechtfertigen und vor Chaos, Bürgerkrieg oder vor einem um sich greifenden Islamismus (in Zentralasien) warnen. Erst vor wenigen Tagen hat die zentrale Wahlkommission von Weißrussland empfohlen, die Amtszeit des Präsidenten von fünf auf sieben Jahre zu verlängern, weil dies "die Gesellschaft stabilisieren" würde.

Mitbestimmung als Element der politischen Kultur hat es in diesen Gesellschaften selten gegeben, und die Menschen sind es auch nicht gewohnt, dafür zu kämpfen. Sie wagen es selten, denn sie wissen: Wer allzu forsch aufbegehrt, muss mit Gefängnis rechnen. Eine Ausnahme in Zentralasien ist am ehesten Kirgistan, wo im Jahr 2005 die Tulpenrevolution das System aufbrach und sich seitdem so etwas wie Meinungsvielfalt etabliert hat. Energiereiche Staaten wie Aserbaidschan und Kasachstan können es sich immerhin leisten, mit prachtvollen Uferpromenaden und neuem, glanzvollem Dubai-Ambiente die Bevölkerung über mangelnden politischen Wettbewerb und diverse Unfreiheiten hinwegzutrösten.

Nationalstolz wird seit dem Ende der Sowjetunion überall gepflegt - zum Verdruss Russlands, für das nur schwer erträglich ist, dass in den früheren Sowjetrepubliken immer weniger Menschen Russisch sprechen. Mit den autoritären Staatschefs der "-stan" endenden Staaten kann Moskau immerhin leichter stabile Beziehungen pflegen. Anders ist dies mit jenen Ländern, die sich als Demokratien verstehen. Vor allem mit jenen, die nach Westen streben, in die Europäische Union etwa.

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Georgien, das die sowjetische Vergangenheit schnell hinter sich lassen wollte und unter dem früheren Präsidenten Michail Saakaschwili schnurstracks in Richtung EU und Nato strebte, bekam den noch immer großen Einfluss Moskaus zu spüren. Die Fehde führte zu wirtschaftlichem Druck, Einfuhrverboten, schließlich zu Krieg. Trotz allem ist Georgien auf Kurs geblieben, es gab - selten genug im postsowjetischen Raum - einen reibungslosen demokratischen Machtwechsel. Das Land schaffte es sogar, gleichzeitig sein Verhältnis zu Russland und zur EU zu verbessern. Sehr bald schon dürfen die Georgier mit einer visafreien Einreise in die Europäische Union rechnen. Mehr kann sich das Kaukasus-Land derzeit nicht erwarten, solange die EU sich erst mal selber retten muss.

Die große Freiheit, souverän und unabhängig ihren Weg zu gehen, dachten auch Armenien, die Ukraine und die Republik Moldau zu haben. Armenien, das mit der EU schon handelseinig war über ein Assoziierungsabkommen, schloss sich im letzten Moment Russlands Zollunion an - auch weil es im Konfliktfall mit Aserbaidschan auf russische Militärhilfe angewiesen ist. Die Republik Moldau, das ärmste Land Europas, bleibt hin- und hergerissen zwischen Ost und West. So wie lange auch die Ukraine, die ihren Wunsch nach Demokratie und mehr Europa bis heute bezahlt.

Und die drei Balten? Ihr frühes Streben nach Unabhängigkeit hat einst maßgeblich zum Zerfall des Sowjetimperiums beigetragen. Sie sind seit mehr als einem Jahrzehnt in EU und Nato, und sie haben mit Abstand das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller 15 Ex-Republiken. Eines aber haben selbst Estland & Co., Tadschikistan und auch Weißrussland gemeinsam: Die Sowjetunion will ernsthaft niemand zurück.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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