Scheidender Fraktionschef:Wie Gysis Abschied der Linken helfen kann

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Gregor Gysis Abschied ist eine Befreiung, die Linke könnte historische Versäumnisse korrigieren. Aber hat sie dazu die Kraft?

Kommentar von Constanze von Bullion

Ein Ruck, auch Tränen, und weg ist Gregor Gysi. Der erste Mann der Linkspartei hat beim Bielefelder Parteitag noch einmal das ganz große Feuerwerk abgebrannt und in einer emotionalen Rede seinen Abschied angekündigt. Gysi kandidiert nicht mehr als Fraktionsvorsitzender im Bundestag und führt seine Partei auch nicht als Spitzenkandidat in die nächste Bundestagswahl.

Für die Linke ist diese Entscheidung der größte anzunehmende Verlust. Einen wie Gysi haben sie nicht zweimal in der Partei. Aber auch unter Gysis Widersachern im Bundestag dürfte mancher diesen Abgang bedauern, wenn auch heimlich.

Gysi ist eine Persönlichkeit wie sie selten geworden ist in der Politik, daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er jahrelange Stasi-Vorwürfe gegen seine Person nie hat abschütteln können. Tritt er jetzt in die zweite Reihe zurück, dürfte die Linksfraktion wieder unberechenbarer werden und der Alltag im Bundestag langweiliger.

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Ein Grund zur Trauer aber ist der Rückzug nicht. Der 67-Jährige hat drei Herzinfarkte und eine gefährliche Gehirnoperation überlebt, ohne deshalb von der Bühne abtreten zu wollen. Nun hat er sich zum Entzug von der Droge Politik entschieden.

Er hat sich bei seinen Angehörigen und Freunden entschuldigt dafür, zu wenig gemeinsame Zeit mit ihnen verbracht zu haben. Dazu sollte man ihm gratulieren. Gysi darf sich auch zugutehalten, seiner Partei und den Ostdeutschen seit 1990 mehr Gehör, auch mehr Respekt verschafft zu haben.

Noch höher aber wäre dieser Respekt ausgefallen, hätte Gysi sich nicht erst jetzt, in seiner Abschiedsrede, sondern viel früher und nicht unter äußerem Druck, sondern aus eigenem Antrieb der DDR-Vergangenheit gewidmet. Nach dem offiziellen Bruch der Partei mit dem Stalinismus unmittelbar nach der Wende ging von der Linkspartei kein eigener Impuls mehr aus zur Befassung mit dem Gestern und den Gestrigen.

Man wand sich, kämpfte vor Gericht, statt die Diktatur ohne Rücksichten auf persönliche Befindlichkeiten aufzuarbeiten. Das hat die Linke, auch Gysi, einsam gemacht im Kreis demokratischer Parteien.

Beim Parteitag in Bielefeld hat er seinen Leuten nun Mut zum Abschied zugesprochen und ihnen wortreich vor Augen geführt, wo die Reise hingehen muss, will die Partei jemals etwas bewegen in der Bundesrepublik.

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Sie muss die Angst vor dem Kompromiss hinter sich lassen, raus aus der Nische der verhuschten Opposition. Und sie muss den Willen entwickeln, die Dinge verändern zu wollen, auch regieren zu wollen, selbst wenn das ohne Schwierigkeiten nicht geht. Ein Plädoyer für mehr Selbstbewusstsein war das. Gysi wird seinen Leuten fehlen.

Das war es dann aber auch mit den Meriten. Denn was dieser begnadete Unterhaltungskünstler hinterlässt, ist milde ausgedrückt ein unsortierter Nachlass. Die Linke im Bundestag ist immer noch ein unberechenbarer Haufen und weit entfernt von der Regierungsfähigkeit.

Wer wollte mit einer Partei ein Bündnis schmieden, die pausenlos Feuerchen in den eigenen Reihen austreten muss? Gysi, der immer groß war im Reden, aber klein im Kümmern um seine eigenen Leute, hat es auch versäumt - wie so viele, die sich für unverzichtbar halten - den Nachwuchs rechtzeitig vorzubereiten auf die Zeit, die jetzt anbricht.

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Das Holterdiepolter dieses Übergangs könnte die Linke teuer zu stehen kommen. Nicht nur, weil die Partei mit Gysi Sympathien und Zustimmung verlieren wird. Tritt jetzt, nach langem Hin und Her, doch die linke Volkstribunin Sahra Wagenknecht mit dem Reformer Dietmar Bartsch an die Spitze der Bundestagfraktion, verspricht das zwar eine gewisse Kontinuität. Man kennt sich.

Die beiden aber harmonieren so gut wie Tom und Jerry. Ob Krieg und Frieden, Griechenland-Rettung oder Regierungsbeteiligung: Es gibt eigentlich kein Thema, bei dem Bartsch und Wagenknecht sich einig wären. Da wünscht man viel Freude bei der Mehrheitsbeschaffung.

Überzeugender wäre jetzt der ganz große Schnitt in der Linken und eine Stabübergabe an Leute, die sich nicht wie Sahra Wagenknecht über Jahrzehnte im Schützengraben der Strömungskriege verschanzt haben oder wie Dietmar Bartsch noch in der Generation der SED-Erben sozialisiert wurden.

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Der Abschied von Gregor Gysi kann zur Befreiung werden, nicht nur für ihn selbst, auch für seine Partei, die sich jetzt endlich von ihren Altvorderen emanzipieren muss - genauso wie vom unbewältigten Geschichtsballast der DDR. Gerade die Historie bleibt für die Linke ein Hindernis auf dem Weg zu politischer Anerkennung.

Höchste Zeit, diesen Ballast abzuwerfen. Nur so kann sich die Partei der Zukunft zuwenden. Auch ohne Gregor Gysi.

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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