Deutsche Euro-Hilfe:Koalition spannt Schirm über 148 Milliarden

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Der Bundestag winkt den deutschen Anteil am Euro-Hilfspaket durch - ohne die Stimmen von Opposition und zehn schwarz-gelben Abweichlern. Westerwelle attackiert Rot-Grün rüde.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre schwarz-gelbe Koalition haben das Rettungspaket trotz erheblicher Bedenken durchgeboxt. SPD und Grüne hatten schon vor der Abstimmung angekündigt, sich enthalten wollen. Die Linken wollten von Anfang an gegen das Rettungspaket stimmen. Auch in der Unionsfraktion und FDP gab es bei Probeabstimmungen am Donnerstag Nein-Stimmen und Enthaltungen.

Zitterpartie für die Kanzlerin: Der Bundestag hat über das gigantische Rettungspaket für kriselnde Euro-Länder abgestimmt. Auch nach der Zustimmung wirken Angela Merkel und ihr Vizekanzler Guido Westerwelle nach wie vor angespannt. (Foto: Foto: Reuters)

Für den Gesetzentwurf stimmten 319 Abgeordnete, 73 votierten dagegen, 195 Parlamentarier enthielten sich der Stimme. Die Koalition von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat 332 Stimmen, die Mehrheit liegt bei 312.

Zehn Abgeordnete der schwarz-gelben Koalition stimmten nicht für das Gesetz. Bei der Union gab es nach Angaben des Parlaments vier Ablehnungen und und drei Enthaltungen.

Mit Nein stimmten danach Alexander Funk, Peter Gauweiler, Manfred Kolbe und Klaus-Peter Willsch. Veronika Bellmann, Josef Göppel und Karl-Georg Wellmann enthielten sich.

FDP-Finanzexperte Solms enthält sich

Bei der FDP stimmten Lutz Knopek und Frank Schäffler mit Nein. Der FDP-Finanzexperte und Bundestags- Vizepräsident Hermann Otto Solms enthielt sich. Andere Koalitionsabgeordnete wie Parlamentschef Norbert Lammert (CDU) meldeten in Erklärungen Vorbehalte an, stimmten aber dem Gesetz zu. Von der Opposition gab es keine Ja-Stimme. Mit Ausnahme einer Nein-Stimme enthielt sich die SPD-Fraktion ebenso wie die Grünen. Die Linke votierte geschlossen dagegen.

Zuvor gab es eine kontroverse Debatte im Plenum: Außenminister Guido Westerwelle warf der Opposition vor, aus parteitaktischen Gründen eine breite Zustimmung des Bundestages zum Euro-Rettungsschirm zu verweigern. "Innenpolitik ist ihr Motiv, aber nicht die Verantwortung für unser Land", sagte der FDP-Chef.

SPD und Grüne haben sich enthalten, die Linke lehnte ab. "Enthaltung ist kein Stehen, das ist wankelmütig", sagte Westerwelle. Die Opposition suche nach Ausflüchten, weil sie eine Abrechnung mit der Regierung wolle. Die zentrale Frage sei aber: "Finden sie, dass Europa stehen soll oder dass es fallen soll?"

Speziell an die Adresse der SPD gewandt unterstrich der FDP-Chef, sie suche nur einen Grund, sich aus der Verantwortung zu verabschieden. Das sei falsch und feige. "Es geht darum, dass wir unsere Währung schützen, dass wir unser Land schützen", rief Westerwelle. Stattdessen aber flüchte die Opposition in eine kleinliche innenpolitische Abrechnung und in eine Generalabrechnung mit der Bundesregierung. "Hier ist aber heute nicht die Stunde dafür, dass sie uns sagen: Frau Merkel ist furchtbar, Herr Schäuble ist furchtbar, ich bin furchtbar."

SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel einen Schlingerkurs bei der Euro-Rettung und im Kampf gegen Spekulanten vor. Wenn die Regierung inzwischen für die Finanztransaktionssteuer sei, so stellte sich die Frage, "warum beschließen wir das nicht heute hier im Parlament", fragte Gabriel im Bundestag. Der Grund sei, dass es sich nur um einen Formelkompromiss ohne inhaltliche Substanz handle.

Die SPD sei nicht gegen das Rettungspaket, stellte Gabriel klar. Aber weil der Rest der Regierungspolitik nicht verlässlich sei und falsch in der Richtung, werde sich die SPD enthalten. Gabriel hielt der Kanzlerin vor, sie sei vor zwei Wochen in Brüssel überhaupt nicht im Bilde gewesen, als es um den Euro-Rettungsschirm gegangen sei.

Die Kanzlerin des größten EU-Landes "kommt auf einen EU-Gipfel und wird von Frankreich und anderen EU-Staaten vor vollendete Tatsachen gestellt", hielt er Merkel vor. So sei seit Konrad Adenauer kein deutsche Bundeskanzler in Europa vorgeführt worden, so sei die deutsch-französische Achse lange nicht ruiniert worden.

Nicht nur habe die Regierung noch kurze Zeit vor dem neuen Milliarden-Schutzschirm in Abrede gestellt, dass es neue Hilfen geben müsse. Auch bei der Transaktionssteuer gebe es immer neue Positionen der Koalition. "Sie sind doch nicht Deutschlands oberste Animateurin, sie müssen doch selbst führen", rief er Merkel zu. "Sie haben keine Linie, sie haben kein Ziel."

Auch den Finanzminister Schäuble ging Gabriel hart an. "Herr Schäuble, was sollen wir ihnen denn nun eigentlich glauben?", fragte er und warf auch ihm widersprüchliche Positionen gerade zur Finanztransaktionssteuer vor.

Selbst in der Koalition gebe es Zweifel an Schäubles Glaubwürdigkeit, sagte Gabriel und bezog sich damit auf kritische Worte von CSU-Chef Horst Seehofer. Der hatte in der Süddeutschen Zeitung erklärt, ihn hätten die Äußerungen Schäubles zur Transaktionssteuer irritiert.

Die Linken-Abgeordnete Dagmar Enkelmann kritisierte: "Dieses Verfahren ist verantwortungslos." Es fehle ein europäischer Vertrag, auf dessen Basis das Kredithilfepaket funktionieren solle. Volker Beck, der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, warnte, das Parlament dürfe keine Blankovollmacht über riesige Summen ausstellen.

Es gehe um eine der wichtigsten Gesetzesvorhaben der vergangenen Jahrzehnte im Bundestag, argumentierte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier. Dieses vertrage keinen Aufschub.

Der deutsche Anteil an dem 750 Milliarden Euro schweren Paket beträgt fast 148 Milliarden Euro an Bürgschaften. Vor der Beschlussfassung wurde eine Geschäftsordnungsdebatte darüber angesetzt, ob die Abstimmung verschoben wird oder nicht. Mit der Koalitionsmehrheit lehnte der Bundestag Anträge aus der Opposition aber ab, die Entscheidung auszusetzen oder zu verschieben.

Um die Finanzmärkte zu beruhigen, werden die Hilfen für kriselnde Euro-Länder im Eilverfahren auf den Weg gebracht. Am Nachmittag billigte auch der Bundesrat in einer Sondersitzung das Gesetz.

Die Länderkammer verzichtete darauf, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Nur so hätten die Länder das Paket vorläufig stoppen können.

Nun fehlt noch die Unterschrift von Bundespräsident Horst Köhler. Er muss das Gesetz ausfertigen. Das Staatsoberhaupt kommt erst am Freitagabend von einer China-Reise nach Deutschland zurück.

Mit dem Gesetz soll das Bundesfinanzministerium ermächtigt werden, Bürgschaften für Kredite der Zweckgesellschaft an Mitgliedstaaten der Euro-Zone zu übernehmen, deren Zahlungsfähigkeit konkret gefährdet ist.

Voraussetzung sei, dass diese Kredite als Notmaßnahmen zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaates erforderlich sind und nur so die Finanzstabilität in der Währungsunion sichergestellt werden kann.

Am Dienstag war das Paket vom Bundeskabinett beschlossen worden. Am Mittwoch stand es bereits im Bundestag in erster Lesung zur Debatte. Am Mittwochabend gab der Haushaltsauschuss des Bundestages seinen Segen.

© sueddeutsche.de/apn/Reuters/dpa/pfau/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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