Deutsche Behörden und das Olympia-Attentat:Erst versagt, dann vertuscht

Bisher unveröffentlichte Dokumente legen nahe: Das Münchner Attentat im September 1972 war keineswegs unvorhersehbar, wie das die deutschen Behörden glauben machen wollten. Offenbar agierten die Terroristen chaotisch - und hatten es mit Ermittlern zu tun, die erst konkrete Hinweise ignorierten und dann ihr Fehlverhalten vertuschten.

Bastian Obermayer

Es sollten unbeschwerte, fröhliche Spiele werden, ein Gegenentwurf zu den Aufmärschen 1936 in Berlin; die ganze Welt sollte Olympia '72 als buntes Fest der Völker in Erinnerung behalten. Es kam anders, weil ein palästinensisches Terrorkommando diesen Traum platzen ließ, mit einer kühl und bis ins letzte Detail geplanten Operation, die von den deutschen Behörden weder im Vorhinein zu ahnen noch zu stoppen gewesen sei.

Vor 40 Jahren: Die Geiselnahme waehrend der Olympischen Spiele von Muenchen 1972

Die Geiselnahme während der Olympischen Spiele von München 1972: Zwei deutsche Polizisten in Sportkleidung mit Maschinenpistolen nähern sich dem Sportlerquartier, in dem Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" Athleten der israelischen Mannschaft als Geiseln halten.

(Foto: dapd)

Das war bislang die offizielle Sicht der Dinge. Nun, vierzig Jahre nach dem blutigen Anschlag und wenige Tage vor Beginn der Olympischen Spiele in London, gerät diese Version ins Wanken. Stattdessen ist die Rede von chaotischen Terroristen und vor allem von deutschen Behörden, die erst konkrete Hinweise auf Anschläge ignoriert und dann, nach der Tragödie, auch noch versucht hätten, ihr Fehlverhalten zu vertuschen - oder zumindest eine mögliche Diskussion über gemachte Fehler im Keim zu ersticken.

Wie das Magazin Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, belegen bislang unveröffentlichte oder unbeachtete Dokumente, dass der Anschlag nicht, wie bisher meist behauptet, völlig unvorhersehbar über das olympische München hereinbrach. Gleichzeitig erscheinen die Attentäter zumindest in Teilen als eine kaum trainierte Truppe, die einer solchen Operation eigentlich nicht gewachsen war.

Weltweite Aufmerksamkeit für einen Triumph des Terrors

In London werden 23.000 Sicherheitskräfte, davon allein 13.500 Soldaten, die Olympischen Spiele 2012 bewachen. Die Sicherheit wird dort eines der großen Themen sein, mitunter auch auf Kosten einer entspannten und gelassenen Atmosphäre. Aber das sind eben die Lehren aus den vergangenen Jahrzehnten, aus den spektakulären Terroranschlägen, die New York, Bombay, Madrid und eben auch London erschüttert haben. Heute wissen die Behörden, dass ein solches Großereignis besonders gefährdet ist, Ziel eines Anschlags zu werden, weil die weltweite Aufmerksamkeit für einen solchen Triumph des Terrors enorm wäre.

In München ging diese Logik auf: 900 Millionen Menschen in 100 Ländern sahen live, wie palästinensische Terroristen die Olympischen Spiele kaperten. Dieser Überfall aber, schreibt der Spiegel heute, sei eben nicht aus dem heiterem Himmel gekommen. Tatsächlich seien in den fünf Wochen vor Beginn der Spiele immerhin 17 Hinweise auf palästinensische Terrorplanungen beim Bundesamt für Verfassungsschutz eingetroffen, vor allem von ausländischen Geheimdiensten. Zudem sei von den Organisatoren ignoriert worden, dass weltweit die Gefahr von Anschlägen in den vergangenen Jahren gestiegen war, obwohl sicherlich nicht nur das bayerischen Landeskriminalamt zu dem Schluss gekommen war, dass "auch terroristische Aktionen zu befürchten" gewesen seien.

Vor allem zwei konkrete Warnungen aber hätten die für die Spiele zuständigen deutschen Sicherheitskreise eigentlich aufschrecken lassen müssen:

Die deutsche Botschaft in Beirut gab Mitte August 1972 weiter, ein libanesischer Journalist habe mitbekommen, dass "von palästinensischer Seite während der Olympischen Spiele ein Zwischenfall inszeniert" werden solle. Diesen Hinweis habe das Außenministerium an den Verfassungsschutz in Bayern weitergegeben, mit der Maßgabe, "alle im Rahmen des Möglichen liegenden Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen". Die Warnung versickerte.

Und dann existiert ein bereits seit einiger Zeit bekanntes Telex, das die Dortmunder Polizei im Vorfeld der Olympischen Spiele an andere Sicherheitsbehörden schickte. Der Betreff: "Vermutlich konspirative Tätigkeit palästinensischer Terroristen". Der Hinweis kam vom Arbeitgeber des damaligen Neonazis Willi Pohl, der zum Terrorhelfer der palästinensischen Attentäter wurde. Pohl sympathisiere mit der PLO, hatte sein Chef weitergegeben, er habe sich mit einem Mann "arabischen Aussehens" getroffen. Dieser war, wie man heute weiß, Abu Daud, einer der maßgeblichen Drahtzieher des Anschlags. Viel näher hätte die Polizei den Terroristen nicht kommen können, aber dem Telex wurde keine größere Beachtung geschenkt.

Laxe Zugangskontrollen, keine Wachen vor dem israelischen Quartier

So blieben die Sicherheitsvorkehrungen wie sie waren: Es gab eher laxe Zugangskontrollen, einen nur zwei Meter hohen Zaun zum Olympiadorf und keine Wachen vor dem israelischen Quartier. Dabei war in der Vorbereitung auf die Spiele auch das Szenario eines palästinensischen Angriffs vorgetragen, jedoch vom Münchner Polizeichef Manfred Schreiber beiseite geschoben worden.

Vor 40 Jahren: Die Geiselnahme waehrend der Olympischen Spiele von Muenchen 1972

Zwei Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes, in dem Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" und ihre Geiseln, Athleten der israelischen Olympia-Mannschaft, befördert wurden, nach dem missglückten Befreiungsversuch.

(Foto: dapd)

Aber auch das angeblich so perfekt durchorganisierte Terrorkommando erscheint angesichts der nun vorliegenden Dokumente in einem anderen Licht. Einige Terroristen waren ohne größere Ausbildung in den Einsatz geschickt worden, auch waren die dem Attentat vorausgehenden Planungen keineswegs so penibel, wie von den deutschen Behörden im Nachhinein oft dargestellt. Einer der Männer musste erst über eine Kleinanzeige in der Süddeutschen Zeitung nach einer Unterkunft suchen, und als es losging, drangen die Attentäter zunächst in die falsche Wohnung ein - in die von Sportlern aus Hongkong. In einem internen Papier stellt die Münchner Kriminalpolizei 1974 fest, es habe "vor dem Angriff keine präzise Erkundung" durch die Terroristen gegeben. Nach außen hin aber blieb die Darstellung, die Angreifer hätten Präzisionsarbeit geleistet.

Jener ehemalige Neonazi Pohl, der heute unter dem Namen Willi Voss lebt, gab nun dem Bayerischen Fernsehen ein längeres Interview, das am Mittwochabend ausgestrahlt wird. Darin bestätigt Voss alias Pohl unter anderem, tagelang mit dem Terrorführer Abu Daud unterwegs gewesen zu sein.

Im Nachhinein ist diese verpasste Möglichkeit, den Palästinenser festzunehmen, wohl das größte Versäumnis. Denn dadurch hätte vielleicht sogar die Bewaffnung der Geiselnehmer verhindert werden können. Über den Weg der Waffen war Willi Voss nämlich informiert, dem Bayerischen Fernsehen sagte er, sie seien mit dem Zug nach München gekommen, und zwar aus Spanien, genauer gesagt aus Mallorca: "Da gibt es ein libysches Volksbüro, eine Art Konsulat. Ich glaube, dass die Waffen von dort gekommen sind. Es muss in Libyen ein Depot gegeben haben, auf das die Fatah Zugriff hatte."

Verzicht auf Selbstkritik

Voss wurde im Oktober 1972 festgenommen und im April 1974 wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu zwei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Wenige Tage später kam er jedoch frei. Voss sagt dazu heute, es sei wohl ein Abkommen geschlossen worden, "denn seltsamer Weise ist anschließend auch die Strafe im Register gelöscht worden. Die Bundesregierung scheint daran interessiert gewesen zu sein, Ruhe zu bekommen." Dies würde zumindest in das Bild passen, das die nun bekannt gewordenen Dokumente vermitteln. Schon einen Tag nach der offiziellen Trauerfeier für die ermordeten israelischen Geiseln und den ums Leben gekommen deutschen Polizisten hieß es in einer Vorlage für die Kabinettssitzung: "gegenseitige Beschuldigungen" müssten vermieden werden, und es solle "auch keine Selbstkritik" geben.

Und so geschah es auch. Der damalige deutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher dankte stattdessen noch im September 1972 dem Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit, dessen Bediensteten mit ihrem "tatkräftigen Einsatz" zu dem Gelingen der Spiele beigetragen hätten.

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