Deutsch-türkische Beziehungen:Wie Ankara Yücels Freilassung nutzen will

Deutsch-türkische Beziehungen: Deniz Yücel am Tag seiner Freilassung.

Deniz Yücel am Tag seiner Freilassung.

(Foto: Yasin Akgul/AFP)
  • Die Türkei setzt die Bundesregierung unter Druck, nachdem sie den Journalisten Deniz Yücel freigelassen hat.
  • Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz sagte der türkische Regierungschef Binali Yıldırım, er wünsche sich eine deutsche Beteiligung am Bau von Kampfpanzern.
  • Am Freitag, dem Tag von Yücels Freilassung, wurden in Istanbul drei prominente türkische Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt, die sie fast vollständig in Isolation verbringen müssen.

Von Christiane Schlötzer

Nach der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Untersuchungshaft hofft die Türkei auf eine Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen. Dazu zählt der türkische Regierungschef Binali Yıldırım ausdrücklich die Rüstungskooperation. Damit setzt er die Bundesregierung unter Druck. Der geschäftsführende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hatte zuvor betont, es habe im Fall Yücel "keinen politischen Handel" gegeben. Auch Yücel selbst hatte noch aus dem Gefängnis heraus jeden "schmutzigen Deal" abgelehnt.

Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz sagte Yıldırım der dpa, Ankara wünsche sich eine deutsche Beteiligung am geplanten Bau des türkischen Kampfpanzers Altay, davon würden beide Seiten profitieren. Die Türkei plant den Bau von etwa 1000 Kampfpanzern im Wert von sieben Milliarden Euro. Für die erste Tranche von 100 bis 200 Stück hat der türkische Lastwagen- und Omnibusbauer BMC bereits mit dem Rheinmetall-Konzern 2016 das Gemeinschaftsunternehmen RBSS gegründet. Rheinmetall hält mit 40 Prozent eine Minderheit, Firmensitz ist Ankara. Die Entscheidung über den Auftrag sollte eigentlich Anfang 2018 fallen. Ohne Genehmigung der Bundesregierung ist eine Beteiligung von Rheinmetall an dem Panzerbau nicht möglich.

Als "selbstverständlich" verteidigte Yıldırım den Einsatz deutscher Panzer vom Typ Leopard 2 bei der umstrittenen türkischen Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Syrien. Er sagte: "Wir haben sie ja für Tage wie heute gekauft, wenn wir angegriffen werden. Wann sollten wir sie denn sonst einsetzen?" Yıldırım kritisierte die Weigerung der Bundesregierung, die Panzer mit Minenschutz nachzurüsten. Diese Nachrüstung hatte die Regierung nach SZ-Informationen durchaus erwogen. Nachdem die Leo 2 aber über die syrische Grenze rollten, wurde dies verworfen. Yıldırım sagte, "wenn wir es von Deutschland bekommen: gut. Wenn nicht, haben wir Alternativen, und zwar immer." Die türkische Rüstungsindustrie könne den Minenschutz selbst herstellen. Deutschland hatte der Türkei zwischen 2006 und 2011 insgesamt 354 Leopard 2 geliefert - ohne Auflagen für den Einsatz.

Viele Menschen sind nur in Haft, weil sie "eine oppositionelle Haltung zu diesem Regime haben"

Deniz Yücel, 44, Korrespondent der Welt, war in der Türkei ein Jahr ohne Anklage in Untersuchungshaft, am Freitag konnte er das Land verlassen, nach einem kurzen Gerichtsverfahren per Videolink ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft forderte 18 Jahre Haft wegen "Terrorpropaganda", ein Vorwurf, den Yücel zurückweist. Am Freitagabend traf Yücel in Berlin ein, am Samstagmittag war er schon wieder im Ausland. "Ich bin nicht in Deutschland. Aber ich bin unter Freunden", twitterte er.

WeltChefredakteur Ulf Poschardt rief dazu auf, Yücel nun in Ruhe zu lassen. In einer Videobotschaft hatte Yücel zuvor noch mitgeteilt: "Ich weiß immer noch nicht, warum ich vor einem Jahr verhaftet wurde, genauer, warum ich vor einem Jahr als Geisel genommen wurde. Und ich weiß auch nicht, warum ich freigelassen wurde." Natürlich freue er sich, "aber es bleibt etwas Bitteres zurück." Yücel sagte, viele Menschen säßen in der Türkei nur in Haft, weil sie "eine oppositionelle Haltung zu diesem Regime haben".

Ebenfalls am Freitag wurden in Istanbul drei prominente türkische Journalisten zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt, wegen angeblicher Unterstützung des Putschversuchs im Juli 2016. Alle drei haben dies entschieden bestritten. Erschwerte Haft heißt, dass die Häftlinge 23 Stunden am Tag in Isolation verbringen müssen. Für eine Freilassung von Ahmet Altan, 67, einem der drei, hatte sich unter anderem der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk eingesetzt. Ahmet Altans Tochter Sanem sagte der Deutschen Welle, "wir werden uns an das türkische Kassationsgericht wenden, als gäbe es eine unabhängige Justiz". Wenn man sich später erinnere, "müssen wir über alle Gesetzlosigkeiten Bescheid wissen".

Der zweite Verurteilte ist Ahmet Altans Bruder Mehmet Altan, 65, der als Wirtschaftsautor und liberaler Denker bekannt ist. Seine Haftentlassung hatte im Januar noch das türkische Verfassungsgericht gefordert. Dies hatte - erstmals überhaupt - ein einfaches Gericht revidiert. Dazu sagte der im Exil lebende Journalist Yavuz Baydar der SZ: "Nun gibt es keine Instanz mehr in der Türkei, vor der Türken ihr Recht suchen können." Deshalb müsse sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit ihren Fällen befassen. "Es gibt in der Türkei keine Gewaltenteilung mehr", sagte Baydar, die Urteile seien auf "politische Weisung" erfolgt. Die dritte Verurteilte, die 73-jährige Nazlı Ilıcak, war kurz Abgeordnete für eine islamistische Partei und engagierte sich dann für Recep Tayyip Erdoğans AKP.

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