Deutsch-französische Freundschaft:Merkels "lieber Freund" in Paris

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Seit wenigen Wochen wirken Merkel und Hollande fast unzertrennlich. (Foto: dpa)

Das Verhältnis von Merkel und Hollande war lange steif und bemüht. Wenn die Kanzlerin heute den französischen Präsidenten in Paris zur Vorbereitung des G-7-Gipfels trifft, wird deutlich: Sie sind sich politisch näher gekommen.

Eine Analyse Stefan Braun, Berlin, und Christian Wernicke, Paris, Berlin/Paris

Eigentlich steht an diesem Tag ein Besuch bei David Cameron im Kalender. Also klettert Angela Merkel am Vormittag dieses 7. Januar in ein Flugzeug, an Bord eine Handvoll ihrer engsten Mitarbeiter, und hebt ab in Richtung London. Die Lage in der EU ist vertrackt in diesen Wochen, der Besuch in Downing Street 10 soll helfen, das Jahr entspannter zu beginnen.

Merkel grübelt über den Wolken über das Verhältnis zu den Briten, als in Paris schreckliche Dinge geschehen. Zwei Attentäter töten zwölf Menschen in den Redaktionsräumen der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Der Terror ist in einem Herzland Europas angekommen, Frankreich erstarrt vor Angst, Schreck, Erschütterung.

Merkel zögert nicht. Zusammen mit Cameron greift sie zum Telefonhörer. Am anderen Ende ist ein bestürzter Staatspräsident zu vernehmen. Die Kanzlerin signalisiert François Hollande mit wenigen Worten, dass sie an seiner Seite sein werde: "Egal, was du entscheidest zu tun - ich werde da sein." Das Gespräch dauert nur wenige Minuten. Aber es hat große Bedeutung. Es verbindet Hollande und Merkel mehr, als es hundert EU-Gipfel oder tausend offizielle Begegnungen hätten tun können.

Seit jenem Moment wirken die beiden fast unzertrennlich. Vier Tage später treffen beide auf den Stufen des Élysée-Palasts zusammen. Der Franzose drückt die Deutsche an sich, es folgt der Augenblick, der inzwischen zur jüngsten Ikone deutsch-französischer Freundschaft geworden ist: Merkel schmiegt mit geschlossenen Augen ihren Kopf an Hollandes Schulter. Die wirkliche Szene war ganz so innig nicht. Egal, beide Seiten, Bundeskanzleramt wie Élysée, rühmen mittlerweile die Symbolkraft des Schnappschusses. Es folgte der nächtliche Verhandlungsmarathon von Minsk, bei dem beide mit Wladimir Putin um einen Frieden in der Ukraine ringen. Und an diesem Freitag treffen sie sich schon wieder: Merkel ist G-7-Chefin, zu Besuch in Paris will sie mit ihrem "cher ami" die Weltpolitik ausloten, Terror, Frieden, Klima.

Gesten statt Worte: Angela Merkel und ihr "cher ami" François Hollande. (Foto: Thibault Camus/AP)

Zu Beginn soll Hollande gegen Merkels Wirtschaftspolitik gar Intrigen gesponnen haben

Dass Merkel und Hollande miteinander je so viel Nähe aushalten würden, hätte zu Beginn dieser Beziehung niemand für möglich gehalten. Anno 2012, als der Sozialist noch Kandidat und Nicolas Sarkozy Bewohner im Élysée war, hatten sich Merkel und Hollande so verhalten, als wollten sie nie viel miteinander zu tun bekommen. Merkel hatte - zum ersten Mal überhaupt - erwogen, im heraufziehenden Präsidentschaftswahlkampf an der Seite Sarkozys aufzutreten. Hollande wiederum hatte sich so eng mit den damals oppositionellen deutschen Sozialdemokraten verbündet, dass freundschaftliche Bande zwischen den beiden ausgeschlossen erschienen.

Daran änderte sich auch nach Hollandes Wahl zunächst wenig. Nur fünf Tage nach Hollandes Amtsantritt treffen sich beide beim G-8-Gipfel im amerikanischen Camp David. Es ist die Zeit, da Merkel überall in Europa mit Sparappellen ihren Ruf als "Eiserne Lady" begründet. Hollande hingegen hat Europa einen neuen, spendableren Kurs versprochen - und in Gastgeber Barack Obama einen Verbündeten gefunden: Der Amerikaner bangt, Berlins strenge Politik könnte die Euro-Zone zerreißen und die Weltwirtschaft unmittelbar vor den US-Präsidentschaftswahlen in eine Deflation stürzen.

Merkel, so geht die Erzählung, sei während einer Gipfel-Pause in eines der noblen Blockhäuser von Camp David geschlendert - und habe Obama und Hollande in flagranti beim Versuch wirtschaftspolitischer Konspiration gegen sie ertappt. Das, so raunt es aus dem Kanzleramt, habe sie dem Franzosen lange nicht verziehen.

Es bleibt unterkühlt, noch lange. Fast krampfhaft sucht man Gemeinsames: Hollande und Merkel, beide Fußballfans, hocken im Februar 2013 zusammen auf der Tribüne beim Länderspiel in Paris, aber es bleibt "steif und bemüht", wie ein Beobachter später berichtet. Erstmals wirklich aufgetaut sei die Atmosphäre zwischen beiden erst vor einem knappen Jahr: Im Mai 2014 lud Merkel den französischen Präsidenten quasi zu sich nach Hause ein, in ihren Wahlkreis an der Ostsee. In Stralsund seien die Gespräche endlich persönlicher geworden, neugierig, "zunehmend freundlich", wie ein Zeuge später erzählen wird.

Paris indes erinnert lieber ein anderes Datum für den Beginn dieser wundersamen Freundschaft. Angefangen habe alles vier Wochen später, am 6. Juni 2014, dem 70. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie. Da trafen sich Staats- und Regierungschefs aus zwei Dutzend Ländern zum Kriegsgedenken - Gastgeber Hollande und Merkel nutzten ein Mittagessen, um die Präsidenten von Russland und Ukraine zu einem ersten Gespräch zu nötigen. "Das war das erste Mal, dass Madame Merkel und François Hollande zusammen an einem gemeinsamen Projekt gearbeitet haben, in dem es nicht um die beiderseitigen Beziehungen ging", heißt es aus der Entourage des Präsidenten, "seither erleben wir eine sehr große Annäherung."

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Kommentar von Kurt Kister

Rückblickend wundern sich Vertraute beiderseits des Rheins, warum diese bilaterale Zuwendung so lange gedauert hat. Eigentlich seien sich Merkel und Hollande durchaus wesensnah: zwei Vernunftpolitiker mit ungefähr sozialdemokratischer Neigung, vorsichtig, uneitel, von trockenem Witz. Die Nacht von Minsk war der Höhepunkt dieser Annäherung. Das Vertrauen trägt, nun auch beim Euro: Der linken Regierung in Athen nämlich hat François Hollande klar gesagt, ein Schuldenschnitt komme nicht infrage. Und er hat den Griechen geraten, auf "Provokationen" wie Forderungen nach Reparationszahlungen zu verzichten. "Verständigt euch mit den Deutschen", lautet die Parole im Élysée. Der Mann, der dort wohnt, weiß: Das ist möglich.

© SZ vom 20.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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