Demokratie:Der Bundestag darf nicht zur Bühne für Rassisten werden

Berliner Reichstag

Die Kuppel wurde nicht auf den Reichstag gebaut, damit Demokratinnen und Demokraten tatenlos zusehen, wie sie bespuckt wird.

(Foto: dpa)

Merkel und Kauder haben in dieser Woche gezeigt, wie man der AfD begegnet. Der aufmerksame, kontrollierende Blick in unserer Demokratie ist unentbehrlich.

Von Jagoda Marinić

Die Kuppel des deutschen Bundestags ist 23 Meter hoch und 40 Meter breit. Der Architekt Sir Norman Foster setzte sich 1995 mit Stahl und Glas gegen alle anderen Entwürfe durch. So eine Glaskuppel auf dem Regierungsgebäude eines demokratischen Staates weckt naturgemäß unzählige Assoziationen. Gehen Menschen auf dem Reichstag spazieren, sieht es aus, als würden sie über den Plenarsaal wachen. Manchmal gehen sie wie Schlafwandler oder blicken nur ins Weite. Die Generaldebatte im Bundestag diese Woche zeigt, wie unentbehrlich künftig der aufmerksame, kontrollierende Blick durch die Glaskuppel sein wird.

Wer sein Niveau von Woche zu Woche senkt, dem ist nichts heilig außer der eigenen Macht

Die AfD-Abgeordnete Alice Weidel scheint im deutschen Parlament nicht mehr als eine Werbeplattform für jene abwertenden Kampfansagen zu sehen, die sie ansonsten in den sozialen Medien verbreitet: "Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern." Bundestagspräsident Schäuble sprach umgehend eine Rüge aus, gegen die sich Weidel medienwirksam zur Wehr setzen wird, weil die AfD ja in den Bundestag gezogen ist, um sich der wirklichen Probleme dieses Landes anzunehmen. Dieser Politikstil soll nun im Hohen Haus der Demokratie Normalität werden. Dort, fern der rechten Netzwerke, ist er jedoch ein Angriff auf die demokratische Diskussionskultur, die von Respekt und Achtung - gerade auch gegenüber Minderheiten - lebt.

Das deutsche Parlament ist der Ort, an dem das deutsche Volk repräsentiert wird. Verbalausdünstungen wie in dieser Woche haben die Bürger nicht verdient. Wer in den Plenarsaal blickt, will nicht sehen, wie deutsche Abgeordnete sich vor Schadenfreude die Lippen lecken, weil sie soeben andere Menschen bespuckt haben. Weite Teile der Welt leiten daraus ab: "So wollen es die Deutschen!" Wie ließe sich nun glaubwürdig das Gegenteil versichern? Das lange kritisierte Schweigen von Angela Merkel erhält unter diesen Umständen plötzlich das Prädikat "wertvoll". Andere bekämpfen den drohenden Kulturverlust konfrontativ. Allen scheint klar geworden zu sein: Wer sein Niveau von Woche zu Woche kalkuliert senkt, dabei nicht haltmacht vor der Ehrwürdigkeit der eigenen Regierungsmauern, vor ihren historischen Narben, vor den Lehren, die aus der Geschichte erwuchsen, dem scheint nichts anderes heilig zu sein als der eigene Zugang zu Macht.

Viele Bundesbürger werden sich überrascht auf der Seite des Unions-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder wiedergefunden haben, der sich klar positionierte: Deutschland verliere mit diesen rechten Grenzüberschreitungen nicht nur Teile seiner Diskussionskultur, es verliere auch seine Glaubwürdigkeit, wenn es von christlichen Werten spricht. Der Graben zwischen rechts außen und allen anderen im Parlament wird immer größer. Den Spaltern geht es nicht mehr um Argumente, sie schüren blanken Hass.

Ein solches Pseudoargument der extrem rechten Seite ist die Behauptung, wer Deutschland kritisiere, sei voller Selbsthass. Wer helfen wolle, sei nur einer von vielen mit verinnerlichtem Schuldgefühl. Ein weiterer Mythos, der von rechts derzeit konstruiert wird: Wenn Einwanderer Deutsche würden, gäbe es bald keine Deutschen mehr. Der rechteste aller rechten Schlüsse, die mit logischem Denken nichts zu tun haben: Der deutsche Umgang mit dem Holocaust sei eine Art Holocaust-Mythos, den es zu bekämpfen gelte. Natürlich wolle damit niemand die Grausamkeit des Holocaust negieren, man wolle nur klarstellen, dass man nicht jahrzehntelang für die Taten der Großeltern in Sippenhaft genommen werden könne. Von kollektivem Gedächtnis und individueller Erinnerung aber will man nichts hören. Medial wird diese Weltsicht immer wieder als die Denkleistung rechter Intellektueller beschrieben. Manche gehen sogar so weit zu fragen, wo denn die linken Denker geblieben seien, um etwas entgegenzuhalten.

Sicher, man kann hier dagegenhalten, doch muss man dabei zunächst klarstellen, dass es sich bei solchen als Argumentationsketten getarnten Behauptungen um reine Bösartigkeiten handelt, nicht um eine Denkleistung. Die eigentliche Denkleistung ist der kalkulierte Einsatz dieser Bösartigkeit zur Manipulation. Aus diesem Grund kann jedes Entgegnen nur die Demaskierung der Intention hinter dieser Bösartigkeit bedeuten. Diese Woche im Plenarsaal ist die Maske abgefallen. Zwischenrufe, Rügen, Grenzüberschreitungen - wie viel davon braucht es noch? In jedem Fall braucht es Politiker, die das Handwerk der Demaskierung beherrschen, wie Kauder es diese Woche tat.

Wie viele Zwischenrufe, Rügen, Grenzüberschreitungen braucht es noch?

Kolumne von Jagoda Marinić

Jagoda Marinić, Jahrgang 1977, ist Schriftstellerin, Kulturmanagerin und Journalistin. Auf Twitter unter @jagodamarinic. Sie studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Anglistik an der Universität Heidelberg. In ihrem aktuellen Debattenbuch "Sheroes" plädiert sie für ein lebhaftes Gespräch unter den Geschlechtern. Alle Kolumnen von ihr finden Sie hier.

Der Bundestag ist nicht die Probebühne für die Auslotung der Grenzen von Rassismus. Das könnte die Stunde der Konservativen sein: Wer jetzt nicht deutsche Werte verteidigt, darf sich nicht konservativ schimpfen. Auch außerhalb des Plenarsaals melden sich Stimmen: Siemens hat, gemeinsam mit der IG Metall, eine Erklärung gegen Rassismus abgegeben. Abgeordnete werden diese Form der Rückversicherung künftig brauchen. Siemens macht in seiner Erklärung Schluss mit der Angst vor dem Vorwurf politischer Korrektheit und nennt Rassismus beim Namen. Dieses Wort, das viele hierzulande wegen der deutschen Geschichte meiden. Dabei muss man gerade wegen der eigenen Geschichte lernen, es in den Mund zu nehmen. Andernfalls entsteht im Ausland der Eindruck, in Deutschland sehe man sich durch das derzeitige Niveau unter der Glaskuppel repräsentiert.

Die Kuppel wurde nicht auf den Reichstag gebaut, damit Demokratinnen und Demokraten tatenlos zusehen, wie sie bespuckt wird. Es wurde uns Demokraten eine Glaskuppel gebaut, damit wir sehen, wann unsere Werte angegriffen werden und wann es Zeit ist, sie zu verteidigen.

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