CSU-Politiker Bernd Posselt:Seehofers bester Mann

64. Sudetendeutscher Tag

"Ich habe keinen Stress, ich habe nur Arbeit": Der CSU-Politiker und Europaabgeordnete Bernd Posselt.

(Foto: dpa)

Kein CSU-Politiker ist länger im Europaparlament als Bernd Posselt. Die Partei lobt sein rhetorisches Geschick und historisches Verständnis. Aber nie würde sie ihm zu großer Prominenz verhelfen. Warum nur? Eine Erkundung in München über unausgesprochene Gesetze der Politik.

Von Ulrike Nimz

"Wir leben in einer widersprüchlichen Welt", sagt Bernd Posselt und faltet die Hände über dem Bauch. Das ist ein Satz, wie man ihn von einem Mann erwartet, der seit 20 Jahren im Europaparlament sitzt. Nur dass er damit nicht die politische Lage kommentiert, sondern den Umstand, dass das Büro eines Christsozialen dieselbe Anschrift haben kann wie ein Stripklub.

Seit Neuestem residiert das "Boobs" in der Dachauer Straße 17. Im dritten Stock hat Posselt sein Büro. Es ist schwierig, ihn dort zu erwischen. Die Europawahl steht bevor, es ist Posselts fünfte. Kein CSU-Abgeordneter ist länger dabei als er. An der Wand hängen Holzkreuz und Weltkarte. Kinder haben sie gemalt, dicke Pinselstriche und Friedenstauben, ein Utopia in Komplementärfarben. "Hätt' ich mir einen röhrenden Hirsch hinhängen sollen?", fragt Posselt.

Vor Kurzem hat die CSU ihr Europaprogramm vorgestellt, Posselt belegt Platz sechs der Landesliste. In der Partei heißt es, er könnte längst weiter oben stehen, wäre er ein wenig mehr auf Linie, hinge er nicht der alten Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" nach, und, ja: Wöge er zehn Kilo weniger. Warum spielt ein Mann, dessen rhetorisches Geschick und historisches Verständnis von Parteikollegen immer wieder gelobt wird, so eine untergeordnete Rolle?

Er plakatierte nicht sich selbst. Sondern einen Stier mit Krawatte

"Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, ist morgen verwitwet", soll Otto von Habsburg einmal gesagt haben. Posselt war jahrelang Sprecher und engster Vertrauter des Kaisersohns. Jetzt sitzt er an einem Tisch mit azurblauer Wachstischdecke und nutzt die Nachwehen eines Zahnarztbesuchs, um zu erklären, dass er noch nie Aspirin genommen hat, ein triebhafter Zeitungsleser ist ("die Druckerschwärze an den Fingern") und kein Handy besitzt ("als einziger EU-Abgeordneter"). Man könnte also sagen, Bernd Posselt, 57, ist schmerzfrei und macht sich gern die Hände schmutzig.

Ein Anfang wäre das - denn medial ist dem Mann bislang kaum Aufmerksamkeit zuteil geworden. Die Süddeutsche Zeitung widmete ihm vor fünf Jahren 70 Zeilen, allerdings nur seinem Schnurrbart. Physiognomie schlägt Politik. Als Posselt vor wenigen Wochen für die Europawahl plakatieren ließ, blickte von den Laternenmasten nicht etwa der Kandidat, sondern ein Stier mit Krawatte. Mit einem äußerlichen Konservatismus habe er nie etwas anfangen können, sagt Posselt. Und wie steht es mit dem inneren?

Bernd Posselt gilt als überzeugter Föderalist. Wer ihn nach Zielen fragt, hört von einem Europa, das sich frei machen muss vom selbst verschuldeten Protektorat der Vereinigten Staaten, das sich behaupten muss gegen ein größenwahnsinniges Russland und ein boomendes China. Seit Jahren spricht Posselt sich gegen den Beitritt der Türkei aus - für ihn ein Land zwischen Griechenland und Iran, aber eben kein europäisches. "Alles hat seine Grenzen", sagt Bernd Posselt, nicht verheiratet, keine Kinder.

Warum dringt so einer so selten durch?

Zwei seiner Neffen, Franziskus und Antonius Posselt, engagieren sich in der Jugendorganisation der Paneuropa-Union. Der eine postet bei Facebook Fotos vom 60. Jubiläum der "Böhmerwald Sing- und Volkstanzgruppe", der andere Selfies mit Edmund Stoiber. Auch Posselt selbst ist seit 1975 bei Paneuropa aktiv, der ältesten europäischen Einigungsbewegung, seit 1998 als deren deutscher Präsident. Antikommunismus, katholische Soziallehre, Volksgruppen-Politik zusammen mit Unionsparteien, Kirche und Vertriebenenverbänden bestimmen die Arbeit der Paneuropa-Union bis heute. Posselt, der all diese Institutionen von innen kennt, ist ein wertvoller Mittelsmann.

So rügte er 2007 den fehlenden Gottesbezug einer EU-Erklärung in einem Beitrag für die Junge Freiheit. Sein Engagement als Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und gegen den EU-Beitritt der Türkei vermeldet dieses Sprachrohr der Neuen Rechten seit Jahren wohlwollend. "Ich würde die Zeitung weder abonnieren noch dort inserieren. Aber warum sollen nicht auch diese Leute meinen Standpunkt kennenlernen?", sagt Posselt; in einem launigen Interview ließ er die Leser der Jungen Freiheit auch wissen, dass er für ein "Brathendl" alles stehen und liegen lässt.

"Wer Moscheen verbietet, wird morgen Kirchtürme schleifen"

In einer weniger widersprüchlichen Welt wäre es ein Leichtes, ihn zum Maskottchen rechts-konservativer Kreise zu stilisieren. Doch es war Bernd Posselt, der 1989 das Paneuropäische Picknick bei Sopron mitorganisierte, das 661 DDR-Bürgern die Ausreise über die ungarisch-österreichische Grenze ermöglichte. Als sich die Schweizer 2010 gegen den Bau von Minaretten aussprachen, war es Posselt, der im Namen seiner Partei warnte: "Wer Moscheen verbietet, wird morgen Kirchtürme schleifen und Kreuze abhängen." Dass Anfang April zwei Vertreter der Jungen Union triumphierend neben dem geräumten Flüchtlingscamp am Berliner Oranienplatz posierten, quittiert er mit zwei Worten: "geschmacklos" und "doof" .

Warum also dringt so einer so selten durch? Wie einst Otto von Habsburg nennt auch Posselt sich einen glühenden Europäer. Von ihnen gibt es derzeit nicht viele unter den Christsozialen. Als Horst Seehofer 2011 den Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone in Betracht zog, hielt Posselt dagegen. Trotzdem will er den CSU-Chef nicht als Antipoden bezeichnen. Der gehöre einfach zum Stamm der Altbayern. "Die knallen eben die Meinung auf den Tisch. Ein Problem gibt es nur, wenn einer hinterher beleidigt ist. Ich war das nie."

Der heutige Parteivize Peter Gauweiler ist seit jeher Skeptiker supranationaler Ideen. Aber er war es, der Posselt 1994 überhaupt erst für das Europaparlament vorgeschlagen hatte. Zuletzt distanzierte sich Posselt öffentlich von Gauweilers Sympathiebekundungen für Russland. Nur politisches Fingerhakeln? "Wenn du meiner Linie bedingungslos folgst, würde ich dich entsetzlich verachten", soll Gauweiler ihm in einer ruhigen Minute gesagt haben. Gauweiler selbst sagt, das sei nicht sein Sprachgebrauch. Der Zwist scheint für die CSU kein Problem, sondern natürlich zu sein.

Posselt ist ein Überzeuger

Jetzt aber ist Wahlkampf, man will geschlossen vor die Wähler treten. "Ich habe keinen Stress, ich habe nur Arbeit" - Posselt kokettiert, wenn das Gespräch auf seinen berstenden Terminkalender kommt. An diesem Nachmittag lädt die Seniorenunion zum Gespräch in ein Café am Starnberger See. Nur zehn Fahrminuten von hier, in Pöcking, entschlief Otto von Habsburg. Seinen Nachbarn Posselt hatte es da schon nach München gezogen. Im Café hat man ihm den Tisch unter dem Porträt des Prinzregenten Luitpold frei gehalten.

Posselt, eine Hand auf dem Bauch, eine an der Tischkante, spricht freier, als er steht. Ein Mann, der Jahreszahlen und vermutlich jedes Bonmot von Franz Josef Strauß aufsagen kann. Er ist ein Überzeuger, weiß Anekdoten so zu streuen, dass am Ende noch die steilste These in Zement gegossen zu sein scheint. Er kann reden.

Posselt nennt seine Zuhörer "Freunde"

Posselt ist der Sohn sudetendeutsch-steirischer Eltern. Als er auf einem Familienspaziergang in Colmar verloren ging, weil er einer Frau hinterhertrippelte, die den gleichen Mantel wie die Mutter trug, fanden die besorgten Eltern ihren fünfjährigen Spross an einer Straßenecke - wo er, statt zu weinen, laut über sein Schicksal referierte. Ähnlich bildreich seine Schilderung der ersten Unterredung mit Helmut Kohl: zwei Männer, umweht vom Geist der europäischen Idee, im Jahr 1976 rittlings auf einer Bierbank im Aachener Katschhof. Will man sich heute lieber nicht mehr ausmalen, wer da zuerst aufgestanden ist.

Posselt nennt seine Zuhörer "Freunde". Immer dann, wenn er Zweifel zerstreuen will. Dann spricht er lauter, nutzt seinen natürlichen Resonanzraum. Im Séparée nebenan drehen sie den Kopf. Posselt kann beides, Tortenstübchen und Bierzelt. Doch manchmal vergisst er, wo er ist. So war er es, der die Spitzenkandidatin der Freien Wähler, Gabriele Pauli, einst "Türken-Gabi" nannte, als diese anregte, einen EU-Beitritt der Türkei offenzuhalten. In Straßburg, während einer Plenardebatte vor Ostern, nannte er Wladimir Putin einen "Menschenverächter, Menschenschinder, Massenmörder und Aggressor".

In Starnberg verhindert auch gelegentliches Aufbrausen nicht, dass der erste Gast nach zwei Stunden über seinem Weißbier einnickt. Eine Runde Schulterklopfen noch, dann geht es mit dem Mietwagen zurück in die Dachauer Straße: Ob er schon mal unten war, bei den Damen im Gentlemen's Club? "Naaa", sagt Bernd Posselt. Alles hat Grenzen; gerade wenn es um Nachbarn geht.

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