China im Fall Snowden:Geschenk für die Zensoren

Hong Kong Snowden

Edward Snowden flimmert über eine großen Bildschirm in der Fußgängerzone von Hongkong.

(Foto: dpa)

"USA" und "Heuchler" sind in Chinas sozialen Netzwerken momentan ein beliebtes Begriffspaar: Der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Snowden hat der chinesischen Regierung durch seine Enthüllungen einen unverhofften Erfolg beschert. Plötzlich gibt es Stimmen, die den versperrten Zugang zu Facebook & Co. als Schutz der Bürger verkaufen - und noch stärkere Abschottung fordern.

Von Kai Strittmatter, Peking

Gute Tage für Peking sind das. Nicht für die USA, auch nicht fürs amerikanisch-chinesische Verhältnis. Nachdem Edward Snowden am Sonntag Hongkong ungehindert verlassen hatte, drohten zuerst die erbosten Amerikaner mit "negativen Auswirkungen" für die Beziehungen. Das "gegenseitige Vertrauen" habe mit Snowdens Ausreise einen Rückschlag erlitten - ein Vorwurf, der sich in Pekings Ohren nach den Enthüllungen des Whistleblowers über die massive US-Spionage in Chinas Netzwerken merkwürdig anhören muss. Pekings Volkszeitung revanchierte sich am Dienstag mit der Beschreibung der USA als "verrückter Eindringling" in die Netzwerke anderer Länder.

Snowden hat etwas Seltenes vollbracht: Er hat dem überraschten Peking einen Propaganda-Erfolg über Washington beschert, einen, von dem Chinas Regierung wohl noch Jahre wird zehren können. Die Volkszeitung ist das Sprachrohr der KP, hinter all ihrer zur Schau gestellten Empörung war die Schadenfreude nicht zu überlesen: Die USA seien vom angeblichen Menschenrechtsvorbild zum "Manipulator" des von ihnen gesteuerten Internets geworden. Snowdens Furchtlosigkeit habe "Washington die Maske der Scheinheiligkeit heruntergerissen".

Anderswo in Peking war jedoch Zurückhaltung zu spüren. Das Außenministerium reagierte gelassen auf die US-Vorwürfe: Die Kritik sei grundlos, sagte eine Sprecherin am Dienstag. Hongkong habe "dem Gesetz gemäß gehandelt". Und die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, die am Sonntag noch die USA als "größten Schurken unserer Ära" gegeißelt hatte, rief zu Besonnenheit und Kooperation auf: Man solle sich "zusammensetzen und über das gegenseitige Misstrauen diskutieren". Peking kann sich die Gelassenheit leisten: Der Gewinner in dem Drama ist China.

Kurzer Krach statt langfristige Klimavergiftung

Kaum einer zweifelt daran, dass es Pekings Entscheidung war, Snowden ziehen zu lassen. "Die Hongkonger Regierung hatte kaum etwas zu melden", sagte Snowdens Anwalt Albert Ho. "Sie hatten die Anweisung, ihn am Flughafen nicht aufzuhalten." Anders als von den USA unterstellt, scheint es keineswegs Chinas Absicht gewesen zu sein, Amerika größtmöglich zu brüskieren. Snowden an die USA auszuliefern war nicht wirklich eine Option für eine Regierung, die seit Jahren mit dem Anspruch auftritt, "Nein" sagen zu können zu Washington. Peking zog offenbar den kurzen Krach der langfristigen Vergiftung des Klimas vor, die ein unbefristeter Aufenthalt Snowdens auf chinesischem Territorium gehabt hätte.

Blogger hoffen auf chinesischen Nachahmer Snowdens

Snowden hatte Peking ohnehin schon genug Geschenke gemacht. Die Lufthoheit der USA an der Front der Cybersicherheit ist dahin. Das Begriffspaar USA und Heuchler war wohl in den vergangenen Tagen eines der meistverwendeten in Chinas sozialen Netzwerken. Und auch wenn viele Nutzer so wie der Blogger Wen Yunchao Snowden als Held feierten, dem hoffentlich bald ein chinesischer Nachahmer folge, "der dann Chinas 'Great Firewall' ans Tageslicht zerrt", so haben die Enthüllungen erst einmal den gegenteiligen Effekt. Sie bestärken Chinas ungeliebte Zensoren.

Fang Binxing, Präsident der Pekinger Telekommunikations-Universität, ist einer der Architekten dieses Zensurwalls, der den Chinesen den Zugang zu Seiten wie Facebook und Twitter verwehrt, und dessen ausgeklügelte Kontrollmechanismen das Netz in Schach halten. Wegen seiner Rolle wurde er bei Reden schon von jungen Chinesen mit Schuhen beworfen. Mit einem Mal kann er sagen, er habe es schon immer gewusst: In Interviews warnte er letztes Jahr vor der Verwendung ausländischer Ausrüstung in der Telekommunikation. Mit einem Mal gibt es Stimmen, die den versperrten Zugang zu Facebook & Co. als Schutz der Bürger vor dem Zugriff fremder Mächte verkaufen können: "Bedeutet das nicht auch, dass China seine Leute behütet?", schrieb ein Nutzer nach den Prism-Enthüllungen vor zwei Wochen.

Am besten bewachtes Internet der Welt

China hat längst das am besten überwachte Internet der Welt, Reporter ohne Grenzen zählte im März 69 Blogger im Gefängnis. Nun heißt es in Staatsmedien wie der Pekinger Global Times, das Land werde auf keinen Fall "der größte Fisch in Amerikas Netz" und müsse dringend seine "Internetsicherheitskräfte ausbauen" - bislang habe man sich da leider bis zu einem gewissen Grad "von der öffentlichen Meinung im Westen" bremsen lassen.

Das klingt nach noch mehr Abschottung, und nach bedeutend weniger Geschäft für westliche Software- und Telekommunikationsfirmen. Die Aktien chinesischer Sicherheitsfirmen legten zuletzt kräftig zu. Die National Business Daily meldete, der Telekom-Anbieter China Unicom habe im letzten Jahr schon bei einem Netzknoten in Wuxi heimlich alle Router der US-Firma Cisco gegen chinesische Ausrüstung ausgetauscht. Mit einem Mal erscheint auch das amerikanische Misstrauen gegen den chinesischen Telekomausrüster Huawei in ganz neuem Licht: Manche in Washington fürchteten schlicht, schreibt der Chinabeobachter Bill Bishop in seinem Newsletter Sinocism, "Chinas Regierung könnte Huawei ebenso einsetzen wie sie das mit der NSA tun."

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