Bundeswehreinsatz in Afghanistan:Operation Rückzug

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Wenn die Nato-Truppen Afghanistan verlassen, steht die Bundeswehr vor einer Herausforderung in ungekannter Größenordnung: Sie muss allein 6000 Großcontainer voller Ausrüstung, Waffen und Munition aus dem Land transportieren. Das deutsche Feldlager in Masar-i-Sharif soll auch den Truppen anderer Länder als Drehkreuz dienen.

Peter Blechschmidt

Oft ist es schwieriger, von einem Baum wieder herunterzukommen, als hinaufzuklettern. Für Verteidigungsminister Thomas de Maizière das passende Bild, um den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu beschreiben. Über die politischen und die militärischen Unwägbarkeiten wird viel gesprochen, doch auch die Logistiker der Bundeswehr stehen vor einer Herausforderung in bisher ungekannter Größenordnung.

Die Bundeswehr hat im Norden Afghanistans 1700 Fahrzeuge stehen - vom kleinen Geländewagen Wolf über den Schützenpanzer Marder bis hin zu schweren Räumfahrzeugen. Insgesamt füllt das gesamte Material - Ausrüstung, Waffen, Munition - schätzungsweise 6000 Großcontainer.

Ein Teil wird per Lastwagen durch Tadschikistan oder Usbekistan abtransportiert, ein mühsamer Weg, denn die Konvois müssen von Soldaten vor Angriffen geschützt, die Straßen regelmäßig auf Sprengfallen und Minen überprüft werden. Manche Waffen, aber auch Kommunikations- und Verschlüsselungstechniken, sollen nicht dem Risiko des Landtransports ausgesetzt werden. Sie müssen ausgeflogen werden.

Eine komplizierte Operation also, die Oberst Gerald Funke planen muss, Abteilungsleiter Logistik im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam. Derzeit läuft Stufe eins der Abzugsvorbereitung, bis zum Herbst, so Funke, soll sie abgeschlossen sein. Seine Leute sind dabei, das Material zu sichten und zu klassifizieren: Was muss im Einsatzgebiet bleiben, weil es auch nach 2014 benötigt wird, wenn die Kampfeinsätze beendet sein, aber die afghanischen Sicherheitskräfte weiter unterstützt werden sollen? Was kann zur Nutzung an die Afghanen, was an Verbündete übergeben werden? Wo wäre der Rücktransport teurer, als das Material im Land zu lassen?

Damit nicht genug der Probleme. Bis jetzt weiß niemand, welche Soldaten - und vor allem wie viele - nach 2014 in Afghanistan bleiben, um dort Sicherheitskräfte auszubilden und zu unterstützen. Ungewiss ist auch, wann wie viele Soldaten abgezogen werden. Diese Unwägbarkeit macht Funke die genaue Planung schwer. "Logistik hängt immer von der Operationsplanung ab", sagt der Chefplaner. "Logistik folgt dem Einsatz." Soll heißen: Material, das für militärische Aktionen noch benötigt wird, kann nicht abtransportiert werden.

Ein großer Teil der Soldaten wird für den Rückzug benötigt. Das muss beim Personalbedarf berücksichtigt werden, wenn der Bundestag das Mandat für den Afghanistan-Einsatz das nächste Mal verlängert. Anfang 2013 sollen noch maximal 4400 Soldaten statt bisher 4900 im Einsatz sein. Um 250 bis 600 Mann will Funke seine Truppe verstärken. Nach einem Erfahrungsbericht der niederländischen Streitkräfte, die ihr 1600 Mann starkes Kontingent Ende 2010 aus der Provinz Urusgan abgezogen hatten, umfasste die "Task Force" für den Rückzug die Hälfte der Kampftruppenstärke.

Die Bundeswehr wird ihren Abzug über die nördlichen Nachbarn Afghanistans und über den Luftweg organisieren. Dabei wird das Feldlager bei Masar-i-Scharif, das längst die Ausmaße einer mittleren Stadt angenommen hat, zum Dreh- und Angelpunkt. Dabei muss die Bundeswehr, die im Norden das Kommando über die Einheiten der Internationalen Unterstützungstruppe Isaf hat und den nördlichen Stützpunkt mit Flughafen betreibt, auch die Bedürfnisse der Verbündeten nach Lager- und Lademöglichkeiten und nach Abwicklung des Flugverkehrs koordinieren. Denn mehr als 40 andere Nationen werden ihre Soldaten ebenfalls abziehen.

Eine gigantische Koordinationsaufgabe, wie auch Minister de Maizière kürzlich bei einer Reise in die Region sagte: "Es kann ja nicht sein, dass jeder für sich entscheidet, wann er welche Lastwagen über die Straße schickt." Allein die Amerikaner haben ein Vielfaches an Gerät und Fahrzeugen im Einsatz. Schon jetzt sind sie in Masar-i-Scharif stark vertreten, seit sie 5000 Mann und mehr als 50 Hubschrauber in den Norden verlegt haben. Außerdem haben Briten und Franzosen bereits angefragt, ob sie das Drehkreuz Masar nutzen können. Der Druck wird sich noch verstärken, wenn der südliche Nachbar Pakistan seine Grenze weiter für westliche Truppen gesperrt halten sollte.

Auch haben die Briten schon vorgefühlt, ob denn die Bundeswehr ihre Konvois bei einem Marsch durch die Nordregion schützen könnte. Für die Bundeswehr gibt es zu Lande drei Abzugsrouten, deren Kapazitäten beschränkt sind: zwei Straßen, eine nach Tadschikistan, die andere nach Usbekistan, und eine Bahnverbindung. Der Transport auf der Schiene ist ähnlich mühsam und führt ebenfalls nach Usbekistan, dann auf einer sechswöchigen Reise weiter über Russland, Litauen und die Ostsee bis zum Fährhafen Mukran auf Rügen.

Seit Ende vorigen Jahres ist Masar-i-Scharif über eine eingleisige Strecke an das zentralasiatische Schienennetz angeschlossen. Ein regelmäßiger Betrieb ist aber noch nicht möglich, da sich die usbekische Bahngesellschaft mit den afghanischen Behörden nicht auf einen Betreibervertrag einigen konnte. Die Bundeswehr rechnet, dass ein Zug 66 Container transportieren könnte. Ein Flaschenhals für die 6000 Container der Bundeswehr, ganz zu schweigen von dem Material der Verbündeten.

Für den Luftweg ist die Bundeswehr auf gecharterte ukrainische Großflugzeuge vom Typ Antonow-124 und Iljuschin-76 angewiesen. Diese Maschinen stehen nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung und können nur eine begrenzte Frachtmenge aufnehmen. Mehr als zwei Transport-Lastwagen vom Typ Dingo oder acht Container kann selbst die Antonow nicht tragen. Und der Transport ist teuer. Ein Flug der Antonow von Deutschland nach Masar-i-Scharif kostet derzeit zwischen 250 000 und 300 000 Euro. Um die Kosten zu begrenzen, denkt man bei der Bundeswehr daran, näher liegende Häfen in der Region anzufliegen und das Material dort auf billigere Schiffe zu verladen.

Was die Operation Rückverlegung kosten wird, da will sich Oberst Funke auf keine Schätzung einlassen. Genauso wenig wie auf die Dauer des Unternehmens. Am Ende dürfte es so sein, dass das Gros aller noch in Afghanistan verbliebenen Soldaten damit beschäftigt sein wird, den Rückzug zu organisieren.

© SZ vom 31.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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