Bundestagswahl:Jedes AfD-Stöckchen jagen

Bundestagswahl: Die Gesichter der neugewählten AfD-Fraktionsvorsitzenden dominerten den Bundestagswahlkampf: Alice Weidel und Alexander Gauland. Noch immer ist das Interesse an den beiden Rechtspopulisten groß, wie hier vor ihrer ersten Fraktionssitzung.

Die Gesichter der neugewählten AfD-Fraktionsvorsitzenden dominerten den Bundestagswahlkampf: Alice Weidel und Alexander Gauland. Noch immer ist das Interesse an den beiden Rechtspopulisten groß, wie hier vor ihrer ersten Fraktionssitzung.

(Foto: AP)

Kaum ist der Wahlerfolg der AfD da, haben Kritiker einen Schuldigen gefunden: die Medien. Denn Journalisten stürzen sich reflexartig auf jede Aussage der Rechtspopulisten.

Kommentar von Detlef Esslinger

Wenn das Debakel da ist, steht eine Frage stets ganz eilig an: Wer hat Schuld? Das Debakel in diesen Tagen besteht in den 12,6 Prozent für die AfD. Selten äußern sich Politiker von CSU, SPD und Grünen derart einig: Die Medien, besonders die öffentlich-rechtlichen, hätten den Rechtsradikalen den Turbo geliefert. Der Chefredakteur der ARD reagiert auf die Anwürfe mit einem Reflex: Wir? Ihr! Die Kritik müssten sich die Parteien selbst gefallen lassen, sagt Rainald Becker, "und nicht an ARD und ZDF weiterreichen".

Eine der weniger charmanten Eigenarten vieler Journalisten ist, dass sie auf Kritik so unzugänglich reagieren, wie sie beim Austeilen derselben großzügig sind. Der Versuch, jegliche Verantwortung abzustreiten und abzuwälzen, ist aber in der Regel Geschichtsklitterung, egal, welche Seite ihn in welchem Konflikt unternimmt. Man müsste schon die vergangenen Jahre in Bhutan oder auf der Weihnachtsinsel verbracht haben, um eine Beteiligung des Medienbetriebs am Erfolg der AfD ernsthaft zu bestreiten.

Auf die Reflexe der Medien ist Verlass

Diese Beteiligung bestand nicht darin, der Partei mit Absicht geholfen zu haben. Sie bestand darin, immer wieder über das Stöckchen der AfD gesprungen zu sein. Wie war das, als ihr Landesverband Baden-Württemberg die Medien ausschloss vom Parteitag? Ausführlichste Berichte und Kommentare darüber; unter anderem mit der Konsequenz, dass für einen gleichzeitigen Grünen-Parteitag leider kaum Platz war. Was passierte, als die AfD-Spitzenkandidatin neulich eine ZDF-Wahlsendung mittendrin verließ? Anderntags in der Früh war sie mit dem Act das beherrschende Thema in den Onlinemedien (und nicht die anderen Politiker mit ihrer Debatte zu Sachthemen).

Niemand aber musste so naiv sein, hier plötzlichen Zorn zu vermuten. Schon im Januar war ein Papier der AfD bekannt geworden, in dem ihre Strategen "sorgsam geplante Provokationen" zum Konzept erklärten. Sie wussten, wie verlässlich Journalisten darauf reagieren würden: weil sie um Himmels willen keine Story, die alle anderen auch haben, verpassen möchten - oder weil sie es für ihre Pflicht halten, Empörung auszudrücken. Und schon waren sie übers Stöckchen gesprungen. Je stärker der Versuch, "die AfD wegen provokanter Worte oder Aktionen zu stigmatisieren, desto positiver ist das für das Profil", stand in dem AfD-Papier.

Es ist nämlich eine gesicherte Erkenntnis der Hirnforschung: Eine Debatte gewinnt immer derjenige, der die Agenda setzt und die Begriffe prägt. Der Linguist George Lakoff von der Universität Berkeley hat dies am Beispiel von Trump beschrieben. Der begeht all seine Unverschämtheiten mit dem Kalkül, dass seine Gegner sich über ihn ja nur aufregen können, indem sie ihn weiterverbreiten. Meinungsbildung aber ist ein Prozess, der im Hirn zum großen Teil unbewusst abläuft. Und was gelingt Trump, permanent? Dass Millionen Amerikaner wieder und wieder zu hören bekommen, dass es sich bei der einen um eine Betrügerin und dem anderen um einen Hurensohn handelt. Lakoff sagt: "Wenn Sie Trump wiederholen, helfen Sie Trump."

Der Mann, der nun das Weiße Haus besetzt, ist so sehr und so wenig eine Mediengeburt, wie es in Deutschland die AfD ist. Entgegen einem Klischee sind Medien nicht in der Lage, Stars zu schaffen oder zu vernichten. Dafür ist der Zeitgeist stets zu mächtig. Wozu sie aber in der Lage sind: im Zusammenwirken mit anderen einen bestehenden Trend zu verstärken.

Der Wendepunkt im Wahlkampf war das "Duell" zwischen Merkel und Schulz. Die Kanzlerin hatte dieses Format diktiert, bei dem in einer Sendung zwei Kandidaten auf vier Moderatoren trafen. Dies gab ihr die Hoffnung, dass ein Wettbewerb der Fragesteller ihr den Wettbewerb mit dem Herausforderer ersparen würde. So kam es dann ja auch; leider um den Preis, dass Teile der Wählerschaft den Eindruck gewannen, diese beiden Figuren da im TV seien heimliche Kameraden. Und die Umfragewerte der AfD zogen an.

An den 12,6 Prozent haben viele mitgewirkt; unter den Politikern neben Merkel übrigens auch alle anderen, die hochbegabte Handwerker der Macht sind, doch gruselig in der Kommunikation. Wenige können beides.

Doch gibt es noch eine weitere Gruppe, deren Mitglieder jetzt ebenfalls Anlass hätten, in sich zu gehen. Zwar ist es in Deutschland Brauch, niemals Wähler für ein Wahlresultat verantwortlich zu machen. Doch wessen Ängste sind so groß, dass man Rassisten und Neonazis befördern müsste? Ja, mancher mag das Stöckchen übersehen, mit dem Gauland und Co. spielen. Aber ihren gesunden Menschenverstand sollten neben Journalisten und Politikern auch alle anderen eingeschaltet lassen.

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