Bundestagswahl:Die Ausgeschlossenen

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Am Sonntag wählen die Deutschen den neuen Bundestag. Doch wer glaubt, dass alle Bundesbürger über 18 ihre Stimme abgeben dürfen, hat sich getäuscht. Tausende wollen wählen, dürfen aber nicht: Welche Gruppen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind - eine Übersicht.

Von Ronen Steinke

61,8 Millionen Deutsche sind am Sonntag aufgerufen, einen neuen Bundestag zu wählen. Klingt nach viel? Ist viel zu wenig, sagen jene, die in diesen letzten Tagen des Wahlkampfs unter Hochdruck dafür streiten, doch noch abstimmen zu dürfen. In Papenburg in Niedersachsen zum Beispiel: Dort liegen derzeit Anträge von 200 Bürgern, die gern dabei wären, es aber nicht sein dürfen.

Es sind deutschstämmige Polen, die beide Pässe besitzen, den deutschen wie den polnischen. Insgesamt 150.000 von ihnen gibt es. Nach einer Gesetzesänderung im vergangenen Jahr dürften sie eigentlich Hoffnung darauf haben, als Wähler an die Urne zu dürfen. Denn das neue Bundeswahlgesetz gibt Auslandsdeutschen - also Inhabern eines deutschen Passes, die dauerhaft im Ausland leben - unter bestimmten Voraussetzungen das Wahlrecht.

Doch die Praxis macht es ihnen schwer. Und: Die 200 polnischen Antragsteller in Papenburg sind noch bei Weitem nicht die Einzigen, die in diesen Tagen um ihre Wahlberechtigung kämpfen.

  • Auslandsdeutschen ist der Gesetzgeber gerade eigentlich entgegengekommen, auf Drängen des Bundesverfassungsgerichts: Sie dürfen nun wählen, wenn sie denn mindestens drei Monate in Deutschland gelebt haben, was aber nicht länger als 25 Jahre her sein darf, oder wenn sie nachweisen können, persönlich und unmittelbar mit den politischen Verhältnissen in Deutschland vertraut und von ihnen betroffen zu sein. Nur: Was heißt das? In Papenburg heißt es wenig: Dass die 200 Auslandsdeutschen eine Städtefreundschaft und kulturellen Austausch mit der Stadt pflegten, reiche nicht aus, erklärte Papenburgs Wahlbehörde - und wies die Wahlwilligen kurzerhand ab. Andernorts ist man liberaler. Diese uneinheitliche Praxis kritisiert Łukasz Biły vom Dachverband der deutschen Minderheit in Polen, VdG. Dem Deutschlandfunk sagte er: "Für eine Gemeinde kann zum Beispiel nur die Tatsache, dass ich Verwandte in Deutschland habe, schon der Beweis der Betroffenheit von den politischen Verhältnissen in Deutschland sein. Für die andere Gemeinde ist das zu wenig. Das ist eben das Problem, dass jede Gemeinde für sich entscheiden kann."
  • Menschen mit geistiger Behinderung oder einer Demenzerkrankung werden in Deutschland vielfach vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen - was Behindertenverbände, und nicht nur diese, mit zunehmender Vehemenz kritisieren. Das Bundeswahlgesetz schränkt in seinem Paragrafen 13 zwar ein, dass wirklich nur schwere Fälle gemeint seien: Menschen mit Behinderung, die in allen ihren Angelegenheiten und dauerhaft einem Betreuer unterstellt sind. Dagegen steht indessen die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie sagt in Artikel 29 klar: Das Wahlrecht behinderter Menschen darf nicht unterlaufen werden. Seit 2009 ist diese Konvention für Deutschland bindend, die Umsetzung läuft allerdings erst schleppend an. Deshalb dürfte die Problematik den kommenden Bundestag noch beschäftigen.
  • Verurteilte Straftäter können für eine Zeit zwischen zwei und fünf Jahren im Wahlregister gesperrt werden. Solche Fälle sind zwar selten, nur bei ganz bestimmten politischen Delikten kann dies von einem Richter angeordnet werden. Dazu zählen so spektakuläre Straftaten wie Landesverrat, Wahlbehinderung, Abgeordnetenbestechung und beispielsweise Angriffe auf den Bundespräsidenten. Doch diese wenigen Fälle beschäftigen die Bürokratie dann gleich umfassend. Das Gericht muss der Kommune Bescheid geben, die Kommune wiederum der Wahlbehörde. Und wenn dabei einmal die Fristen besonders eng sind, etwa kurz vor einer Wahl, dann beschäftigt das Ganze schnell auch Anwälte.
  • Psychiatrisch Verwahrte, also solche Straftäter, denen ein Richter eine "tiefgreifende Bewusstseinsstörung" attestiert und die er nach Paragraf 63 des Strafgesetzbuchs in eine geschlossene Anstalt eingewiesen hat, haben in den Augen der Wahlbehörden automatisch auch nicht das "Mindestmaß an Einsichtsfähigkeit", um am Wahlsonntag ihr Kreuz zu machen. Ein berühmter Fall ist Gustl Mollath. Bis vor Kurzem in Bayern psychiatrisiert, ist er allerdings noch rechtzeitig vor der Landtags- und Bundestagswahl freigekommen.
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