Bundestags-Debatte um EU-Flüchtlingspolitik:Alle danken der Linken

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In der Erschütterung sind sich alle einig. Angesichts der Schreckensbilder von Lampedusa verbrüdert sich im Bundestag sogar fast ein CSU-Mann mit der Linken. Die Unterschiede im Umgang mit den Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen werden dennoch deutlich.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Die Nachfrage vom Grünen Volker Beck ist gut platziert. Stephan Mayer von der CSU hat zuvor die Linke dafür gescholten, dass in ihrem Antrag zur EU-Flüchtlingspolitik kein Wort stünde etwa über das Bossi-Fini-Gesetz in Italien. "Wo bleibt denn Ihr Appell, dieses unsägliche Gesetz abzuschaffen?", fragt er während der Bundestagsdebatte an diesem Freitag. Das Gesetz verbietet Fischern vor der italienischen Küste, überfüllten Flüchtlingsbooten zur Hilfe zu kommen. Sie würden sich als Schlepper strafbar machen.

CSU-Mann Mayer findet das Gesetz unmenschlich und völkerrechtswidrig. Die Linken fordern nun zwar Dinge wie die Abschaffung der europäischen Grenzsicherungsagentur Frontex - mit dem italienischen Gesetz aber beschäftigt sich ihr Antrag nicht.

Der Grüne Beck hakt nach, ob denn der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich, auch CSU, auf europäischer Ebene das Problem je angesprochen habe? Mayer zuckt mit den Schultern noch während Beck seine Frage formuliert. "Ich muss gestehen, das entzieht sich meiner Kenntnis", sagt er schließlich.

Von der Linken kommt die Nachfrage, ob Mayer und seine Fraktion denn bereit wären, einem Antrag der Linken zuzustimmen, der die italienische Regierung auffordere, das Gesetz abzuschaffen. Mayer scheint gerade nicht wohl in seiner Haut zu sein. Er wollte ja eigentlich die Linke vorführen. "Ich hätte da überhaupt kein Problem mit so einem Antrag", sagt er. In seiner Fraktion gucken einige irritiert. Ein CSU-Mann, der kein Problem mit einem Antrag der Linken hätte?

Die parlamentarische Realität wird zeigen, ob es so weit wirklich kommt. Die Debatte um die EU-Flüchtlingspolitik aber war am Ende ein Ausweis dafür, wie es laufen könnte im Bundestag, wenn Streit nicht nur um des Streits Willen zelebriert wird.

Hauptsache weg mit Frontex

Das beginnt schon damit, dass der Linken von allen Seiten gedankt wird, dass sie das Thema auf die Tagesordnung gebracht hat. Nahezu jeder Redner erinnert an die Hunderten von ertrunkenen Flüchtlingen vor Lampedusa. Die Linke Ulla Jelpke, die die Debatte eröffnet, rechnet vor, dass seit 1988 mehr als 20.000 Menschen an den Außengrenzen der Europäischen Union umgekommen seien. Die Toten seien das Ergebnis "der Abschottungspolitik der Europäischen Union", sagt sie. Es genüge nicht, sich erschüttert zu zeigen. "Es müssen endlich Taten folgen."

Die Einigkeit liegt aber vor allem in der Erschütterung. Welche Taten folgen müssen, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Linke will, wie gesagt, die europäische Grenzsicherungsagentur Frontex abschaffen. Eine Alternative bietet sie nicht an. Hauptsache weg damit.

Die Union will die Agentur beibehalten, auch weil angeblich allein im vergangenen Jahr Frontex-Kräfte rund 20.000 Flüchtlingen das Leben gerettet hätten, wie etwa CSU-Mann Thomas Silberhorn erklärt.

Grüne will sich kein X für ein U vormachen lassen

Ein Gutmenschen-Projekt ist Frontex deshalb aber wohl noch lange nicht. Ziel von Frontex ist ja, das niemand die Grenze passiert. Die Grünen wollen Frontex deshalb nicht abschaffen, sie sehen aber Reformbedarf. "Wir wissen, dass Frontex über Jahre hinweg Boote abgedrängt hat", stellt Luise Amtsberg fest. Sie habe "die Nase voll, mir ein X für ein U vormachen zu lassen". Von wegen Frontex rette Leben.

Deutschland habe derzeit den Vorsitz im Frontex-Verwaltungsrat inne. Es solle seinen Einfluss geltend machen, damit mehr Menschen gerettet werden. Statt 30 Millionen Euro für die italienische Küstenwache zur Verfügung zu stellen, solle das Geld besser in Seenotrettung und Unterbringung gesteckt werden. Die Probleme dort sind bekannt: völlig überfüllte Flüchtlingslager, unzumutbare hygienische Zustände.

Charles M. Huber, der für die CDU im Bundestag sitzt, hatte in einer Zwischenfrage an Ulla Jelpke angemerkt, dass es nicht reiche, wenn die EU gut mit Flüchtlingen umgehe, wenn deren Herkunftsländer für die Fluchtgründe sorgten. Amtsberg nimmt das auch auf, widerspricht aber gar nicht. Es sei richtig, in die Herkunftsländer zu gucken, sagt sie. "Aber meine Hoffnung, dass da etwas passiert, ist sehr gering. Die Frage ist: Was machen wir mir den Menschen, die jetzt kommen?"

Für die SPD bedankt sich Christina Kampmann bei der Linken für die Debatte. Zustimmen will sie dem Antrag dennoch nicht. Die Linke fordert etwa, dass jeder Asylsuchende sich aussuchen können soll, in welchem EU-Land er Asyl beantragt. Das würde, sagt Kampmann, nur einen Wettbewerb nach unten forcieren nach dem Motto: "Wer die schlechtesten Bedingungen anbietet, der macht sich unattraktiv für Asylsuchende." Das könne nicht das Ziel sein.

Die Debatte wird weitergehen. Gefragt ist jedoch vor allem die Regierung, deren Mitglieder im Gegensatz zu den Abgeordneten des Bundestages tatsächlich Einfluss haben. Die Bundesregierung aber war in der Debatte lange Zeit nur durch Innenstaatssekretär Ole Schröder vertreten. Und der machte nicht den Eindruck, als hätte er die Diskussion mit überbordendem Interesse verfolgt.

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