Bundespräsident:Steinmeier macht den Balten Mut

Bundespräsident: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine estnische Amtskollegin Kersti Kaljulaid.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine estnische Amtskollegin Kersti Kaljulaid.

(Foto: AFP)
  • Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist zu Besuch im Baltikum.
  • Vier Tage lang will er Esten, Letten und Litauern den Rücken stärken in Zeiten der Verunsicherung.
  • Die Balten blicken mit Unbehagen auf den neuen US-Präsidenten und seinen machthungrigen russischen Kollegen.

Von Constanze von Bullion, Tallinn

Wer sich fragt, was eigentlich die Botschaft dieses Besuchs werden soll, wird irgendwann auf zwei Sätze stoßen: "Wir wollen keine Eskalation. Auch keine Eskalation der Erinnerung."

Dienstag vor dem Präsidentenpalast in Estlands Hauptstadt Tallinn, ein rosarotes Barockschloss steht hier in einem Park. Es windet, es blitzt, und es beginnt zu donnern, als kündige sich mit dem Herrn auf dem roten Teppich nicht nur Gemütlichkeit an. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender sind zu Besuch im Baltikum.

Vier Tage lang wollen sie Esten, Letten und Litauern den Rücken stärken in Zeiten der Verunsicherung. Die Balten blicken mit Unbehagen auf den neuen US-Präsidenten und seinen machthungrigen russischen Kollegen. Militärmanöver an der baltischen Grenze, ein tief verunsichertes Europa, das alles weckt im Baltikum alte Ängste.

78 Jahre ist es am Mittwoch her, dass die beiden größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts sich verbündeten, um Deutschland den Weg in den Zweiten Weltkrieg frei zu machen. Am 23. August 1939 vereinbarten NS-Deutschland und die UdSSR den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt.

Im geheimen Zusatzprotokoll wurden große Teile des Baltikums der Sowjetunion zugeschanzt. Zwei Jahre später brach der Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht über die baltischen Länder herein. Hunderttausende Juden wurden ermordet, auch mithilfe Einheimischer. Von 1944 an landeten im sowjetisch okkupierten Baltikum Zehntausende im Gulag.

Million Bürger demonstrierten für die Loslösung von der Sowjetunion

Der 23. August, das war an dieser historischen Nahtstelle zwischen Ost und West lange ein Tag anti-russischer Emotionen. Die Erinnerung an die Zeiten des Kommunismus ist hier wacher geblieben als die an die deutsche Besatzung. Doch der Tag steht auch für die Unabhängigkeit der Balten. Am 23. August 1989 demonstrierten zwischen Tallinn und Wilna mehr als eine Million Bürger mit einer Menschenkette für die Loslösung von der Sowjetunion - Monate vor den Montagsdemos in Leipzig.

Der 23. August symbolisiert für Steinmeier nicht "den Handschlag zweier zynischer Diktatoren" sondern den "hunderttausendfachen Handschlag der Mutigen des Jahres 1989" - so wird der Bundespräsident an diesem Mittwoch in seiner Rede vor der Akademie in Tallinn sagen, laut seinem vorab verbreiteten Manuskript.

Zu den Lehren der Geschichte gehört die Verantwortung

Ihr seid nicht allein, ihr werdet nicht wieder zermalmt zwischen skrupellosen Großmächten - das ist die erste Botschaft bei Steinmeiers Besuch. Fanfare also und Empfang bei der estnischen Präsidentin Kersti Kaljulaid, die vor ihrem Amtssitz so lässig über den roten Teppich schlendert, als sei sie am Strand.

Was sie nach dem Gespräch mit dem Gast sagt, klingt dann nicht ganz so entspannt. "Wir freuen uns, dass man sich in Europa der Verteidigungsfrage immer stärker annimmt", so Kaljulaid. Sie lässt Estland zwar gern als rundum digitalisiertes Wlan-Wunderland loben.

Etwas mehr Enthusiasmus für die internationale Sicherheit aber, so lässt sie erkennen, würde sie den EU-Partnern nicht verübeln. Dann soll Steinmeier sagen, ob die aktuellen Spannungen mehr Anstrengung in der Verteidigung erfordern. Man müsse erst einmal sehen, "inwieweit die einzelnen Mitgliedsländer bereit sind, sich zu engagieren", antwortet der Gast vorsichtig.

Viel Geschichte und auch ein Gespräch mit Jugendlichen über soziale Medien steht auf dem Programm. Doch bei freundlichem Interesse will der Gast es nicht belassen. Das Baltikum liege geografisch am Rand Europas, aber "mitten in der Wertegemeinschaft" der Europäischen Union, wird er in seiner Rede in Tallinn laut Manuskript sagen.

In einem demokratischen Europa herrsche "die Stärke des Rechts - und nicht das Recht des Stärkeren". Gemeint: die russische Regierung. "Wer das Völkerrecht bricht, wer die Institutionen des Friedens gefährdet, der erntet unsere gemeinsamen Widerstand. Auch "verdeckte Einmischung mit hybriden Mitteln oder gezielte Desinformation" oder militärische Drohzenarien "lehnen wir ab".

Solche Töne kommen an bei den Balten. Doch Steinmeier hat noch ein anderes Mitbringsel im Gepäck. Bei allem Verständnis für die Sorgen angesichts des russischen Vorgehens in der Ost-Ukraine: den Versuch, mit dem Leid in der Zeit des Kommunismus Nationalismus und anti-russiches Ressentiment zu rechtfertigen, hält Steinmeier für kontraproduktiv.

Dass Politiker "die Geschichte zu Waffen schmieden", erlebe man in Russland,aber auch in der EU. Zu den Lehren der Geschichte gehöre aber auch die Verantwortung, "nie wieder Sprachlosigkeit und blinde Feindschaft zu Russland zuzulassen". Am Mittwoch führt die Zeitreise des Präsidenten nach Lettland, bevor sie am Freitag beim Nato-Kommando in Litauen endet.

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